Konzert:Klang von Klage

Fazil Say; Fazil Say

Politische Musik: Fazil Say vermittelt in seiner Komposition die bedrückende Stimmung in der Türkei.

(Foto: dpa)

Der türkische Pianist Fazil Say hat eine Sonate über die Stimmung in seinem Heimatland komponiert. Sie heißt "Gezi Park". Bei den Salzburger Festspielen führte er sie auf. Ein verstörendes Stück.

Von Helmut Mauró

Auch auf seiner jüngsten CD mit Nocturnes des polnisch-französischen Klavierromantikers Frédéric Chopin bleibt er zurückhaltender als die meisten seiner Kollegen. Der türkische Pianist Fazil Say, 47, ist ein eher scheuer Mensch, dabei zu jedermann offen und liebenswürdig. Das Cover dieser Chopin-CD ist in dunklen Grautönen gehalten, Say sitzt an einem kleinen schwarzen Tisch, der auch in einem Verhörzimmer stehen könnte. Er blickt schräg nach oben, gefangen in Trauer und Ungewissheit. Die Düsternis des Coverbildes ist vielleicht nicht nur Chopins Nachtstücken geschuldet. Sie kann auch als Hinweis auf eine andere Gefühlsdimension verstanden werden, in der Say angesichts der sich stetig verschlimmernden politischen Verhältnisse in der Türkei ständig lebt.

Fazil Say, der einmal nach New York zog, dann aber zurückkam nach Istanbul und dort weiter ausharrt, stand im Oktober 2012 wegen öffentlicher Verunglimpfung religiöser Werte selbst vor Gericht. Auf Twitter hatte er gefragt, ob es ein Paradoxon sei, dass dort, wo es besonders viele Schwätzer und Diebe gebe, auch der Glaube besonders stark ausgeprägt sei. Und er retweetete Verse des mittelalterlichen persischen Dichters Omar Chajjam. Der fragte unter anderem, ob das Paradies wegen der versprochenen Jungfrauen etwa ein Bordell sei. Im April 2013 wurde Say zu zehn Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Erst nach weiteren drei Jahren juristischer Auseinandersetzungen wurde das Urteil kassiert.

Als in dieser Zeit die Proteste gegen den zunehmend diktatorischen Recep Erdoğan im Istanbuler Gezi-Park aufflammten, meldete sich auch Say zu Wort und komponierte seinen dreiteiligen Zyklus "Gezi Park 1-3". Ende Mai 2016 führte das Radiosinfonieorchester Berlin die Orchesterfassung auf, nun hat Say das Stück in der Klavierfassung gespielt. Und zwar in einem der Zentren der Hochkultur: bei den Salzburger Festspielen, wo neben A- und B-Prominenz auch Politiker anwesend sind, Wirtschaftsbosse, globaler Geld-, Hoch-, Ex- und Unterholzadel. Dort also spielte Fazil Say nicht die Nocturnes von Chopin, sondern ein ganz und gar politisches Werk, wie es in der Musikgeschichte nicht so häufig vorkommt.

Man braucht nicht nur Unerschrockenheit und entschlossene Tatkraft, wie sie im Ernstfall unerwartet oft bei weniger eloquenten Zeitgenossen zutage tritt, sondern außer der politischen Tapferkeit auch eine gehörige Portion Mut zum Pathos und ein untrügliches Gefühl für die Balance zwischen intimer Klage und offener Anklage. In der Regel hört man dann ein lautstarkes klangliches Äquivalent zu Gewalt und Schmerzerfahrung, oft auch religiöse Standardtexte, gerne aus Requiem, Kaddisch oder anderen Totengebeten.

Fazil Say geht in "Gezi Park 2 - Sonate für Klavier op.52" ein bisschen anders vor. Den Krach der Tränengasgranaten und Polizeigeschoße nimmt er zwar gerne mit, aber bei oberflächlichen Klangexzessen bleibt er nicht. In die stampfenden Rhythmen und düsteren, bedrohlichen Bassmonsterklänge schieben sich schon bald lakonisch verzweifelte Melodie- und Motivfetzen in höherer Mittellage - dort, wo die menschliche Stimme sitzt. Die Klaviersaiten sind jetzt so abgedämpft, dass jede klangliche Entwicklung im Keim erstickt wird. An eine freie Entfaltung ist nicht mehr zu denken. Das sind eindrückliche Details, und doch wäre es unerträglich, würde der Komponist hier im vergoldeten Mozarteumssaal auf dem Klavier nur nachmalen, was in Istanbul an blutiger Gewalt passiert ist. Nein, hier findet kein expressionistisches Tastentheater statt. Say spürt vielmehr in einer Art Klavier-Fieberfantasie den Gefühlszuständen der Demonstranten und der Situation nach. Die Musik beschreibt und umkreist eine tiefe Verstörung, da spielt sich Say in Rage, aber manchmal ist Stille die schlimmste Tongewalt. Als würde man bei einem Dokumentarfilm über diese Szenerien den Ton abdrehen, und die Geräuschfantasien verselbständigten sich aufs Schrecklichste.

Einen kleinen Kompromiss musste Say aber eingehen: Das Ganze fand innerhalb eines Liederabends mit Marianne Crébassa statt, die in der Festspielproduktion von Mozarts "Titus" geglänzt hatte und nun auch in "Gezi Park 3" auftrat. Hier rückt nun die menschliche Stimme mit wortlos lallendem Klagegesang in den Mittelpunkt - als Fortsetzung und Intensivierung von "Gezi Park 2", ein letztes Aufbäumen und Verstummen.

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