Vom Hauptbahnhof bis ins Lehel:Mehr als Geld und Glitzer

Lesezeit: 6 min

In der Innenstadt bestimmt oft der Kommerz die Entwicklung. Doch die Veränderung bietet auch Chancen.

Von Alfred Dürr (Texte) und Robert Haas (Fotos)

Rostige Fassaden an den Gebäuden, rissige Steinplatten am Boden und dunkle Ecken unter dem weiten Vordach am Haupteingang, das wegen seiner Pilzform Schwammerl genannt wird: Münchens Hauptbahnhof wirkt nicht einladend. Der Betrieb funktioniert, aber die Zeit für die in die Jahre gekommenen Gebäude ist abgelaufen. Nur die Gleishalle mit ihrer weit gespannten und filigranen Dachkonstruktion, die unter Denkmalschutz steht, bleibt erhalten. Neu präsentiert sich in Zukunft der Eingangskomplex. Hier soll es attraktive Geschäfte, Gastronomiebetriebe und Büros geben. Die Altbauten am Starnberger Flügelbahnhof kommen weg. Geplant ist dafür ein 19-geschossiges Hochhaus. Kein modernes Verkehrsbauwerk entstehe, spotten manche, sondern ein Einkaufszentrum mit Gleisanschluss.

Der neue Hauptbahnhof steht beispielhaft für die rasanten Veränderungen in der Innenstadt. Bauen ohne Stillstand: Kaum sind die Bagger und Kräne an einer Stelle verschwunden, tauchen sie schon wieder am nächsten Grundstück auf. Sind die Immobilienpotenziale nicht längst erschöpft und reicht es nicht langsam mit dem Ausmaß der Veränderung? Solche Fragen stellen sich, wenn man durch die Fußgängerzone spaziert. Der wirtschaftliche Verwertungsdruck auf das Zentrum ist enorm, der Kommerz bestimmt den Takt der Entwicklung. Nicht nur die Bahn, auch Banken und andere Unternehmen, selbst der Staat, schwimmen auf der Boomwelle mit. Die Hypovereinsbank baute vor Jahren ihr Stammgelände radikal um und errichtete die exklusive Einkaufspassage Fünf Höfe. Einen ähnlichen Wandel erlebte das Stammgelände der Süddeutschen Zeitung und der Abendzeitung an der Sendlinger Straße. An der vornehmen Maximilianstraße entstanden die Maximilianhöfe. Die Fassade hin zur Straße wurde im Stil des Architekten Friedrich Bürklein nachgebaut, damit sich der neue Komplex gut in das historische Bild der Prachtmeile einfügt. Die Maximilianstraße wirkt über die Regierung von Oberbayern und dem gegenüberliegenden Museum Fünf Kontinente bis hin zum Bayerischen Landtag durch die einheitliche Gebäudestruktur. Ein Komplex aus Glas und Stahl wäre gewiss fehl am Platz.

Der Alte Hof, die einstige Kaiserburg und Keimzelle Bayerns, ist von renovierter Bausubstanz geprägt, aber auch von Neubauten mit Luxuswohnungen, Büros, Praxen und Geschäften. Demnächst soll auch die Alte Akademie, über Jahrhunderte hinweg ein Ort der Bildung und der Kultur, mit dem bekannten Nutzungsmix aus Läden, Gastronomie, Büros und Wohnungen modernisiert werden. Noch immer streiten Stadt und Investor, ob die Arkaden vor den Schaufenstern verschwinden können oder ob sie als wesentlicher Bestandteil des Komplexes erhalten werden müssen.

Nur die Aspekte von Geld und Glitzer zu betonen, wäre allerdings zu wenig. Es gibt in der Altstadt auch noch etwas anderes als Läden und Büros. Der Umbau einer Schule zum Literaturhaus und die Renovierung der Kammerspiele mit ihren modernen Nebengebäuden sind Beispiele für herausragende Kulturbauten. Vor allem das Jüdische Gemeindezentrum mit der Synagoge auf dem Jakobsplatz zeigt, dass bei neuen Projekten nicht immer nur Umsatzzahlen und Renditedenken bestimmend sind.

Bauliche Entwicklungen in der Altstadt bieten Chancen, denn Fehler beim Wiederaufbau nach dem Krieg können korrigiert werden. So gilt beispielsweise das Fina-Parkhaus neben dem Hotel Mandarin Oriental schon lange als städtebaulicher Schandfleck. Dass er verschwindet, ist kein Schaden. Projekte wie der spektakuläre - und auch umstrittene - Neubau des Hotels Königshof am Stachus oder die dezente Umgestaltung des Hugendubel-Hauses am Marienplatz setzen Zeichen und bereichern das Stadtbild. Und es ist gut, dass ein Komplex wie die Alte Akademie, die zuletzt streng abgeriegelte Büros des Statistischen Landesamts beherbergte, aufgefrischt und für Passanten geöffnet wird.

Mehr als 70 Prozent der Altstadt waren im Krieg zerstört worden. 1983 wurde der wieder aufgebaute Kern Münchens mit seinen vielen Einzeldenkmälern unter Ensembleschutz gestellt. Die historischen Strukturen bilden nach wie vor die Grundlagen für die Entwicklung von etwas Neuem, das selbstbewusst neben dem Alten stehen kann. München darf dabei aber nie seinen typischen Charakter verlieren, mit den prägenden Häusern, den Gassen, Durchgängen und Plätzen sowie einer Silhouette, die von den bekannten Kuppeln und Türmen bestimmt ist.

Tourbeschreibung

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(Foto: SZ Grafik)

Los geht es am Hauptbahnhof (U-/S-Bahnen, Busse, Tram), durch die Schützenstraße bis zum Stachus. Auf der anderen Straßenseite läuft man die Neuhauser Straße bis zum Marienplatz, dann über den Marienhof in die Theatiner- straße und die Maximilianstraße bis zum Thomas-Wimmer-Ring. Hier einen Abstecher in die Hildegardstraße. Zurück zur Maximilianstraße, diese überqueren und rechts halten. Durch die St.-Anna-Straße zum gleichnamigen Platz (U4, 5 / Lehel). Dauer: etwa eineinhalb Stunden

1. Hauptbahnhof

(Foto: Robert Haas)

Warum es sich lohnt innezuhalten: Das Erscheinungsbild des ersten Münchner Centralbahnhofs aus dem Jahr 1849, das der Architekt Friedrich Bürklein geschaffen hatte, erinnerte mit dem Stilgemisch aus Romantik, Gotik und Renaissance eher an eine Basilika als an ein Eisenbahn-Bauwerk. Im Zweiten Weltkrieg wurden große Teile davon zerstört. In den Fünfzigerjahren errichtete man einen funktionalen Hauptbahnhof. Am beeindruckendsten ist die Gleishalle, die der Architekt Franz Hart maßgeblich mitgestaltet hat. Sie stellt den größten überdachten öffentlichen Raum in der Innenstadt dar. Ansonsten macht der Hauptbahnhof einen heruntergewirtschafteten Eindruck. Aber das wird sich durch den geplanten Neubau (Auer Weber Architekten) ändern. Der Hauptbahnhof soll, sagt die Bahn, ein zukunftsorientiertes Tor zur Stadt werden. Die meisterhafte Konstruktion der Gleishalle bleibt erhalten.

2. Hotel Königshof

(Foto: Robert Haas)

Warum es sich lohnt innezuhalten: Genauso wie der Kaufhof am Marienplatz ist das Hotel Königshof ein typisches Nachkriegsgebäude mit eigenständigem Charakter. Beide Bauwerke sollten als moderne Zeichen für den Aufbruch in eine neue Zeit stehen. Sie ernten aber auch viel Kritik. Der Königshof, der im Innern Eleganz und Luxus widerspiegelt, ging durch verschiedene Umbau- und Modernisierungsphasen. Heute wirkt er mit dem vorgebauten Restaurantbereich in der Beletage und den abgerundeten Fensterrahmen etwas aus der Zeit gefallen. Die Brüder Carl, Michael und Stephan Geisel, die zu den wenigen großen Privathoteliers in Deutschland gehören, gingen mit der Neubauplanung mutig ans Werk. Am Stachus soll von Ende 2018 an ein höheres und völlig anders gestaltetes Haus entstehen (Nieto Sobejano Arquitectos), mit einem spektakulären Längsschnitt in der Fassade. Kritikern ist das viel zu modern

3. Alte Akademie

Warum es sich lohnt innezuhalten: Mitten in der vom Kommerz geprägten Fußgängerzone ein solches Bauwerk, das tief in die Geschichte der Stadt verweist - das ist schon etwas Besonders. Die Alte Akademie, die ein Jesuitenkolleg war und dann auch verschiedene Bildungseinrichtungen beherbergte, ist nach der Residenz der größte zusammenhängende historische Komplex in München. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie schwer zerstört. Josef Wiedemann baute sie nach historischem Vorbild wieder auf und setzte mit dem sogenannten Hettlage-Bau auch einen modernen Akzent. 2013 erwarb dieSigna-Gruppe große Bereiche der Alten Akademie vom Freistaat Bayern im Erbbaurecht. In den denkmalgeschützten Komplex sollen Geschäfte, Lokale, Büros und Wohnungen kommen. Streit gibt es nach wie vor darüber, ob die Arkaden im ehemaligen Hettlage-Haus erhalten werden müssen.

4. Hugendubel-Haus

Warum es sich lohnt innezuhalten: Wie geht man mit Häusern aus der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Krieg um, die inzwischen vom Erscheinungsbild und auch von der technischen Ausstattung in die Jahre gekommen sind? Was ist überhaupt erhaltenswert, worauf lässt sich getrost verzichten? Das sind zentrale Fragen, die sich den Stadtplanern heute stellen. Die Geschichte des sogenannten Hugendubel-Hauses, das der Bayerischen Hausbau gehört, ist ein prägnantes Beispiel für einen bemerkenswerten Wandel. In den Neunzigerjahren erfolgte die Renovierung mit einer Fassade, die Architekturkritiker wegen des Außenaufzugs und einer vorgehängten Stahlkonstruktion unter der Dachkante an eine aufgetakelte Landpomeranze erinnerte. Nach der aktuellen Modernisierung präsentiert sich nun das Haus mit einer klassisch-schlichten Fassade, die sich in die Häuserzeile gegenüber dem Rathaus einordnet.

5. Fünf Höfe

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(Foto: Robert Haas)

Einst stand auf dem Areal der heutigen Fünf Höfe ein Gebäudekomplex der HypoVereinsbank. Dieser wurde zwischen 1998 und 2003 entkernt und komplett umgestaltet.

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(Foto: Robert Haas)

Auf 14 000 Quadratmetern gibt es 60 Geschäfte sowie Cafés und Restaurants. In den oberen Etagen befinden sich Büroräume und Wohnungen.

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(Foto: Robert Haas)

Wer durch die Passage streift, sollte sich etwa Zeit nehmen: An nahezu jeder Ecke gibt es kleine architektonische Hingucker zu entdecken.

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(Foto: Robert Haas)

Sei es eine Fassade, die an einen aus unzähligen Fäden bestehenden Vorhang erinnert,...

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(Foto: Robert Haas)

...eine ungewöhnliche Wandgestaltung...

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(Foto: Robert Haas)

...oder einfach nur ein ruhiger Platz zum Erholen.

Warum es sich lohnt innezuhalten: Sie sind keine verwechselbare Einkaufspassage, wie es sie in vielen Großstädten gibt. Als architektonische Sehenswürdigkeit gehören die Fünf Höfe zum Besuchsprogramm beim Weg durch die Innenstadt. Die Schweizer Architekten Herzog und de Meuron haben auf geniale Weise ein einst verschlossenes und wenig attraktives Büroquartier der Hypovereinsbank mit Passagen und Innenhöfen geöffnet, ohne nach außen hin den ursprünglichen Charakter der Häuserzeile entlang der Theatinerstraße grundlegend zu ändern. In den Obergeschossen sind Büros und Wohnungen untergebracht. Die Fünf Höfe überzeugen nicht nur mit einem gut durchdachten funktionalen Konzept, zum Beispiel mit Läden, die sowohl von der Straßenseite als auch von den Passagen zu erreichen sind. Beim Spaziergang durch das Projekt entdeckt man außerdem eine Fülle von gestalterischen Feinheiten.

6. Tom und Hilde

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(Foto: Robert Haas)

Noch ist am Thomas-Wimmer Ring zwischen dem Isartor und der Maximilianstraße eine große Baustelle, Autos werden umgeleitet. Doch was hier im Untergrund entsteht, kann getrost als eine der größten Entwicklungen in der Altstadt bezeichnet werden.

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(Foto: N/A)

Hier entsteht das Projekt "Tom und Hilde", hinter dem der Investor Wöhr und Bauer steht. Hinter dem Projektteil "Tom" (was für Thomas-Wimmer-Ring steht) verbirgt sich der Bau einer dreistöckigen Tiefgarage. Sie ersetzt das Parkhaus am Hofbräuhaus.

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(Foto: N/A)

Die Einfahrt zu den 520 Parkplätzen erfolgt über den Thomas-Wimmer-Ring und soll die Autofahrer auf der Suche nach Parkplätzen von den engen Gassen der Altstadt fern halten.

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(Foto: N/A)

Bei dem Bau wird auf ein spezielles Bauverfahreren zurückgegriffen, das es ermöglicht, fast vollständig auf Stützpfeiler zu verzichten.

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(Foto: Simulation: Wöhr & Bauer GmbH)

Über den neu gestalteten Thomas-Wimmer-Ring gelangt man zu den Parkebenen. Wenn das Teilprojekt Tom fertig ist, startet an der Hildegardstraße der Neubaukomplex "Hilde".

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(Foto: N/A)

Mit dem Bau der beiden neuen Gebäude soll 2020 begonnen werden. Insgesamt enstehen auf 13.000 Quadratmeter Geschoßfläche Wohnungen, Gewerbe und die Erweiterung des Hotels Mandarin Oriental. Der Entwurf stammt von dem Architekturbüro Hild und K.

Warum es sich lohnt innezuhalten: Dieses Doppelprojekt, bei dem Tom für Thomas-Wimmer-Ring steht und Hilde für die Hildegardstraße, zählt zu den größten Bauvorhaben in der Altstadt. Mit dem Abriss des sogenannten Fina-Parkhauses an der Hildegardstraße kann eine der größten Bausünden der Nachkriegszeit beseitigt werden. Die Stellplätze kommen in eine Tiefgarage, direkt unter dem Thomas-Wimmer-Ring. Mit dem Bau wurde vor Kurzem begonnen. Wenn diese Garage fertig ist, starten die Arbeiten auf dem Areal des Fina-Parkhauses. Dort entstehen zwei Komplexe, die sich mit Fassaden und Dachlandschaften in das Bild der Altstadt einfügen sollen. Ein moderner Entwurf des Büros Nieto Sobejano, der den ersten Preis des Wettbewerbs gewonnen hatte, war nicht zum Zug gekommen. Vor allem die Denkmalschützer setzten sich für eine Lösung ein, die besser mit der Umgebung harmoniert.

7. Regierung von Oberbayern

(Foto: Robert Haas)

Warum es sich lohnt innezuhalten: Während beim Neubau des Hauptbahnhofs nichts mehr an den alten Centralbahnhof mit Friedrich Bürkleins Architektur erinnern wird, kommt dafür dessen Werk an der Maximilianstraße umso besser zur Geltung. Die Prachtstraße ist geprägt von seinem Baustil, der, wie schon bei der Beschreibung des Hauptbahnhofs erwähnt, an gotische und romanische Kirchenbauten erinnert. Eines der herausragendsten Zeugnisse dieses speziellen Stils ist neben dem Maximilianeum, dem Sitz des Bayerischen Landtags, die Fassade der Regierung von Oberbayern. Im zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude schwer zerstört, nur die Fassade blieb erhalten. Bis 2009 wurde die Front entlang der Maximilianstraße in verschiedenen Abschnitten restauriert. Es gibt aber nicht nur diese sehenswerte Schauseite. Im Innenhof entsteht gerade ein moderner zweistöckiger Pavillon mit Kantine und Sitzungsräumen.

© SZ vom 02.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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