Nichtwähler:"Es wird sich ja eh nichts ändern"

Symbolfoto: Nichtwähler, 2005

Manche Menschen verzichten lieber auf ihr Wahlrecht. Bei der Bundestagswahl 2009 haben fast 30 Prozent keine oder ungültige Stimmzettel abgegeben.

(Foto: Robert Haas)

So sehr sich die Parteien auch bemühen: Etwa ein Fünftel der Wahlberechtigten wird sie voraussichtlich trotzdem nicht wählen. Warum? Und wer sind die Nichtwähler?

Von Veronika Wulf

Pascal K. hat nur einmal in seinem Leben gewählt, als er gerade 18 geworden war. Seither nie wieder. "Es wird sich eh nichts ändern, egal, was man wählt", sagt der Stuttgarter. Den Politikern gehe es nur ums Geld und die Karriere. "Auf die Menschen, die Arbeiter, die Mittel- und Unterschicht achtet keiner."

Die SPD setzt auf soziale Gerechtigkeit, die CDU probiert es mit "Weiter so" und auch die anderen Parteien kämpfen darum, die Wähler für sich zu gewinnen, werfen mit vielversprechenden Parolen um sich und pflastern die Innenstädte mit ihren Plakaten zu. Doch einen gehörigen Teil der Gesellschaft werden sie damit nicht erreichen. Glaubt man den aktuellen Umfragen, wird bei der Bundestagswahl am 24. September gut ein Fünftel der Bürger keine der Parteien wählen. So wie Pascal K.

Immer weniger Menschen gehen wählen

Pascal K. ist 26 Jahre alt, ausgebildeter Stahl- und Betonbauer und verdient 1900 Euro netto im Monat. Rein statistisch gesehen, ist es nicht überraschend, dass er nicht wählen geht. Nichtwähler haben meistens kein Abitur, ein niedriges Einkommen, sind eher jung und unzufrieden. Mehrere Studien haben sich mit den politischen Verweigerern beschäftigt, seit die Wahlbeteiligung stetig zurückgeht. Im Grunde ist das seit der Wende der Fall - das zeigen Wahlen in den Ländern, im Bund und für Europa. Auf Kommunalebene stimmt oft nur noch die Hälfte der Wahlberechtigten ab oder sogar noch weniger.

Auf Bundesebene gab es 2009 einen Einbruch auf 70,8 Prozent - die niedrigste Wahlbeteiligung seit 1949. Bei der vergangenen Bundestagswahl stieg sie zwar wieder, aber nur um 0,7 Prozentpunkte. Für 2017 wird ein stärkerer Anstieg erwartet, aber es bleiben voraussichtlich etwa 20 Prozent der Wahlberechtigten, die keinen oder einen ungültigen Stimmzettel abgeben werden.

Die meisten Studien fassen die Nichtwähler als "sozial Benachteiligte" zusammen. Bei ihnen war die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2013 einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge um bis zu 40 Prozentpunkte niedriger als in den sozial privilegierten Schichten. Das durchschnittliche Haushaltseinkommen der Nichtwähler liegt bei 2460 Euro netto im Monat, ergab eine Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Zum Vergleich: Das Einkommen derjenigen, die wählen gehen, reicht von durchschnittlich 2540 bei den Anhängern der Linken bis zu 3900 bei denen der FDP. Außerdem haben bei den Nichtwählern doppelt so viele keine Berufsausbildung (16 Prozent) wie bei allen Wahlberechtigten.

"Warum kann nicht jeder ein warmes, gemütliches Zuhause haben?"

Auch Alex L., 46, aus Niedersachsen, hat keinen Beruf erlernt und geht nicht wählen oder gibt einen ungültigen Stimmzettel ab. Obwohl ihn viel umtreibt: Er versteht nicht, warum keiner etwas dagegen tue, dass die Reichen immer reicher werden, warum nicht jeder ein "warmes, gemütliches Zuhause" haben könne, warum sein Hartz-IV-Satz gekürzt werde, wenn er endlich eine Arbeit finde, und warum Raketen auf den Mars geschossen werden, statt dass erst mal der eigene Planet gerettet werde.

Und dann erzählt er von seinen Fußnägeln, denn manchmal sind es ganz konkrete Probleme, die zu Politikverdrossenheit führen. Alex L. kann sich wegen körperlicher Einschränkungen nicht selbst die Fußnägel schneiden. Für eine professionelle Pflege reiche das Geld, das er durch Hartz IV und den 450-Euro-Job zusammenbekommt, nicht aus, sagt er. Die Krankenkasse übernehme die Kosten nicht. Das Gesundheitswesen, das er sich wünscht, eines, das stärker auf individuelle Bedürfnisse eingeht, findet er in keinem Parteiprogramm.

Auch Nichtwählerin Sabine Giori, Hausfrau und Mutter aus Krefeld, die für 450 Euro in einem Kindergarten kocht, hat viele politische Fragen: "Warum wird nur in Europa auf die Umwelt geachtet? Warum klärt man andere Länder nicht auf? Warum behandeln die Menschen Tiere wie ein Produkt?" Bei der Politik finde sie keine Antworten darauf, sagt sie.

42 Parteien stehen zur Wahl, aber die Nichtwähler vertrauen keiner

42 Parteien stehen im September zur Wahl: von den bekannten Großparteien über mehrere kommunistische Parteien bis hin zum "Bündnis Grundeinkommen" und der "Partei für Veränderung, Vegetarier und Veganer". Es gibt also viel Auswahl, auch wenn die meisten Kleinparteien wahrscheinlich keine Chance haben, über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen. Doch das Problem scheint ohnehin ein anderes zu sein: Viele Nichtwähler haben das Vertrauen in die Politik an sich verloren. "Ändern kann ich sowieso nichts, weil die Politiker machen ja doch alle, was sie wollen", sagt Giori. Auch Pascal K. findet: "Jetzt sagen alle Politiker: Wählt mich, ich setze mich für die Arbeiter ein. Und sobald sie gewählt sind, brechen sie ihr Versprechen."

Böse Stimmen sagen über Nichtwähler, sie seien von der Gesellschaft Abgehängte, weil sie nichts gelernt hätten, weil sie auf irgendeine Weise im Leben gescheitert seien. Das stimmt aber nicht immer. Es sind auch Studierte unter ihnen, Angestellte, Prominente sogar. Bei der Bundestagswahl 2013 hatten sich mehrere prominente Intellektuelle wie Peter Sloterdijk und Richard David Precht öffentlich dazu bekannt, nicht wählen zu gehen.

Auch Simon E. kann man nicht als sozial benachteiligt bezeichnen. Der 33-Jährige aus Mannheim, der einen Magister der Philosophie sowie der Vor- und Frühgeschichte hat und als Recruiter arbeitet, macht seine Stimmzettel ungültig, indem er kreative Sprüche darauf schreibt. Damit zählt seine Stimme zwar zu den Wahlbeteiligten, fließt aber nicht in die Berechnung der Stimmanteile und Sitze der Parteien ein. Er ist sich nicht sicher, ob dieser stille Protest bei den Behörden wahrgenommen wird. Aber er will zeigen: Es gibt auch Menschen, die nicht wählen, gerade weil sie sich für Politik interessieren.

Ob Hartz-IV-Empfänger oder Recruiter: Die Argumente sind ähnlich

"Wenn es stimmt, dass die Politik von Sachzwängen diktiert wird, dann zeigt es doch nur, dass mit dieser Form der Politik keine Veränderungen angeschoben werden können", sagt Simon E. Für ihn ist es die Wirtschaft, die mit ihren Lobbyisten die Gesellschaft steuert - und die Politiker. Und wenn er sagt, die Gesetzestexte seien komplexe Prozesse, die der nette Mensch von nebenan nicht mehr überblicke, dann drückt er das zwar anders aus, meint aber das gleiche wie Hartz-IV-Empfänger Alex L.

Nichtwähler schließen sich selbst von ihrem Recht auf Mitbestimmung aus. Deshalb wird ihnen oft gesagt, sie dürften sich hinterher nicht beschweren. Simon E. widerspricht da. "Ich legitimiere niemanden, gebe niemandem Rückendeckung, sondern stehe von Anfang an in Opposition." Er ist der Meinung, dass Wähler mit ihrer Stimme auch ihre Verantwortung abgeben.

Was müsste sich ändern, damit Nichtwähler sich wieder beteiligen? Es müsste eine Partei geben, die seine Interessen zu 100 Prozent vertritt, sagt Alex L. Die Politiker müssten ehrlich werden und dürften sich nicht steuern lassen, sagt Pascal K. Sabine Giori hat wenig Hoffnung, dass sich irgendetwas verändert. Sie ist jetzt 51 Jahre alt und hat noch nie in ihrem Leben gewählt. Und sie klingt nicht so, als könnte ein neues Gesicht, eine neue Partei oder ein neues Programm das ändern.

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