Haftbefehl für Schriftsteller:Die Türkei lässt Doğan Akhanlı nicht los

Haftbefehl für Schriftsteller: Ein Deutscher, der einst Türke war, ein Kölner, der so gerne Istanbuler geblieben wäre: der Schriftsteller Doğan Akhanlı, hier bei einer Diskussion während eines Literaturfestivals im März in Köln.

Ein Deutscher, der einst Türke war, ein Kölner, der so gerne Istanbuler geblieben wäre: der Schriftsteller Doğan Akhanlı, hier bei einer Diskussion während eines Literaturfestivals im März in Köln.

(Foto: Henning Kaiser/AFP)

Der deutsche Schriftsteller, der einst Türke war, wurde von der Justiz seines Vaterlandes nun sogar in Spanien eingeholt. Das ist absurd - und die Fortschreibung eines bizarren Schicksals.

Von Kai Strittmatter

Deshalb ist Doğan Akhanlı Schriftsteller geworden. Wegen des Erinnerns. Um aufzuschreiben, was andere lieber vergessen wollen. Auch weil es ihnen der Staat gebietet: Es sind schließlich seine, es sind ihre Verbrechen. Da kommt ihnen der Schriftsteller in die Quere, der die Gewalt ans Tageslicht zerrt aus den Folterkellern der Putschgeneräle, der nicht zulässt, dass die Untaten verschwinden mit den getöteten und vertriebenen Armeniern. Sie mögen das nicht, sagte Doğan Akhanlı einmal über sein Volk. Das Erinnern, das sei den Türken fremd.

Nur ihn, den Deutschen, der einst Türke war, den Kölner, der so gern Istanbuler geblieben wäre, ihn vergessen sie offenbar nie.

Schon wieder greift die türkische Justiz nach Doğan Akhanlı. Sie lässt den heute 60-Jährigen nicht los. Diesmal reicht ihr Arm, über Interpol, sogar bis nach Spanien. Ein leiser, ein vorsichtiger Mann ist dieser Doğan Akhanlı, einer, der einst deshalb Deutscher wurde, weil er Schutz suchte. "Wenn man sich sicher fühlt, dann ist man weniger heimatlos", sagte er im vergangenen Jahr der Welt. Nur wenn er sich frei und sicher fühle, könne er auch schreiben. Den in der Türkei nun bedrängten und verfolgten Schriftstellern riet er: Kommt nach Europa, arbeitet hier. Jetzt hat ihn die spanische Polizei festgenommen, mitten in Europa, auf Ersuchen der Türkei. Ein Richter hat ihn vorübergehend auf freien Fuß gesetzt, er darf allerdings Madrid nicht verlassen. Man kann sich vorstellen, wie ihn das erschreckt.

Den Tag, da es ihm nicht mehr möglich war, "meinen Frieden mit dem Staat zu schließen", kann Doğan Akhanlı genau benennen: Er war 18, kaufte eine linke Zeitung am Kiosk - und landete dafür das erste Mal im Gefängnis. Nach dem Militärputsch 1980 ging der Lehrersohn in den Untergrund. 1985 wurde er erneut verhaftet, gemeinsam mit seiner Frau Ayşe und dem 16 Monate alten Sohn. Vor den Augen des Kindes seien sie damals gefoltert worden, erzählt Akhanlı später. Nach der Freilassung, schreibt er, "waren wir drei unter dem Erlebten brotkrumenklein geworden".

1991 floh die Familie nach Deutschland. Erst dort beginnt Akhanlı mit dem Schreiben und mit der Menschenrechtsarbeit. Ein Stück Deutscher sei er geworden, wird er später sagen, nicht bloß wegen seines Ausweises: "Ich schätze es, wie Deutschland trotz der ungeheuerlichen Verbrechen in seiner Vergangenheit gezeigt hat, dass man daraus lernen und etwas anderes machen kann. Die Türkei kann von Deutschland lernen." In dem 1999 erschienenen Roman "Die Richter des jüngsten Gerichtes" beschäftigt er sich als einer der ersten türkischen Autoren mit dem Völkermord an den Armeniern 1915/17. "Der letzte Traum der Madonna" wird 2005 von der türkischen Zeitung Radikal unter die fünf besten Romane des Jahres gewählt.

Akhanlı warf Erdoğan vor, er handle "wie ein Diktator"

Das Schicksal des Doğan Akhanlı ist ein bizarres, es ist eine jener Geschichten voller Absurdität und Irrationalität, von denen die Türkei und ihr Gerichtswesen so voll sind, und die man gerne mit dem Adjektiv "kafkaesk" belegt - im Falle Doğan Akhanlıs mit etwas mehr Berechtigung als anderswo. Im August 2010 setzt er, der einstige Flüchtling, zum ersten Mal nach fast 20 Jahren wieder Fuß auf türkischen Boden. Sein Vater liegt im Sterben. Noch an der Grenze wird er festgenommen und verschwindet in Haft. Im Metris-Gefängnis, in einem Zellenblock, den sie Sibirien nennen. Es ist derselbe Block, in dem er schon 24 Jahre zuvor einsaß, vor seiner Flucht aus dem Land, das ihn eingekerkert und gefoltert hatte. Der Vorwurf diesmal: Er habe im Jahr 1989 einen Raubüberfall auf eine Istanbuler Wechselstube begangen. Er sei der Kopf einer linksradikalen Terrorgruppe gewesen und habe den Codenamen Doğan K. getragen. "Doğan K!", sagte Akhanlı damals. "Wie Josef K. in Kafkas 'Prozess'".

Die Polizei hatte früh versucht, den Überfall als Werk linksradikaler Gruppen darzustellen, drei Jahre nach der Tat hatten sie erstmals Doğan Akhanlıs Namen mit dem Überfall in Verbindung gebracht. Bald aber kam heraus: Zeugenaussagen waren unter Folter erpresst worden. Ein angeblicher Hauptbelastungszeuge - der Sohn des Getöteten - schrieb 2010 an das Gericht, "klar und deutlich" wolle er aussagen, dass Doğan Akhanlı "keine der Personen ist, die an dem Überfall beteiligt waren. Die Erklärung der Polizei, er habe Akhanlı auf einem Foto als Täter identifiziert, nannte er "falsch". Das Erstaunliche: Der zuständige Staatsanwalt weigerte sich 2010 mehrmals, die Aussagen der Zeugen zu den Akten zu nehmen. Erst nach einem Aufschrei der deutschen Öffentlichkeit - Günter Wallraff und andere setzten sich für ihn ein - und nach vier Monaten in Haft kommt er frei. Sein Vater ist da schon tot.

Jetzt, sieben Jahre später, steht Doğan Akhanlı wieder einmal vor dem Gesetz. Noch ist nicht bekannt, wie die Türkei den Interpol-Haftbefehl begründet. Mit dem Raubüberfall von damals? Akhanlı und seine Freunde vermuteten damals schon politische Gründe für die Verfolgung: "Ich bin nicht nur Schriftsteller. Ich bin auch Menschenrechtler und arbeite für die Aussöhnung von Türken, Kurden und Armeniern", sagte Akhanlı der SZ damals. Und das Verhältnis zu seinem Vaterland Türkei fasste er in diesen Satz: "Wir lieben und wir hassen uns." Auf Seiten des türkischen Staates dürften ein paar Gründe für neuen Hass hinzugekommen sein: Seit dem gescheiterten Putschversuch vom vergangenen Jahr tritt Akhanlı auf regierungskritischen Veranstaltungen auf. Staatspräsident Tayyip Erdoğan warf er vor, er handle "wie ein Diktator".

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