Einrichtung:Gut in Form

Ganz schön praktisch: Auch im Kinderzimmer gibt es Designikonen.Eine Ausstellung in Berlin widmet sich nun den kleinen Klassikern.

Von Verena Mayer

Neulich, auf der Suche nach einem halbwegs ansehnlichen Tisch für eine Sechsjährige. In der Kinderabteilung des Möbelladens kommt man vorbei an Sitzlandschaften in Orange, winzigen bunten Wippstühlen von Verner Panton, und die Kinderlampe ist eines dieser Leucht-Moleküle, wie es auch in einer minimalistischen New Yorker Szenebar stehen könnte. Alles hier sieht aus, als sei jemand durchgegangen und hätte gerufen: Liebling, ich habe die Designermöbel geschrumpft!

Und so ist es ja auch, Kinderzimmer sind schon lange nicht mehr nur Orte, in denen gespielt, gelernt und geschlafen wird, seltsame Poster an den Wänden hängen und Schmutzwäsche herumliegt. Sondern Räume, die Stilbewusstsein und Status der Eltern widerspiegeln sollen. Wenn man sich schon keinen großen Freischwinger leisten kann, dann zumindest einen Panton Junior.

Der Tripp Trapp hat bewiesen: Formschöne Dinge für Kinder können einfach praktisch sein

Dass formschöne Dinge für Kinder nicht unbedingt an die Selbstdarstellung der Eltern gekoppelt sein müssen, zeigt derzeit die Ausstellung "Century of the Child - Nordisches Design für Kinder von 1900 bis heute" in den Nordischen Botschaften in Berlin. Dort sind in Räumen, die selbst etwas von einem modernen Museum haben, all die Klassiker skandinavischer Gestaltung zu sehen, die zu den Must-haves von mehreren Jungeltern-Generationen gehören. Die Tragen von Babybjörn etwa, mit denen man sich einen Säugling umschnallen kann, oder die Lastenfahrräder von Christiania, die vorne eine Art Holzkiste mit kleinen Bänken haben. Und natürlich der Hochstuhl Tripp Trapp, mit seinem schlichten Gestell und den beiden verschiebbaren Brettern, auf dem Kinder Platz finden, sobald sie Sitzen gelernt haben. Alles Dinge, die nur aus einem Grund so aussehen, wie sie aussehen: weil sie auf die Bedürfnisse von Kindern zugeschnitten wurden. Darauf, es bequem zu haben, am Leben der Eltern teilzunehmen oder ihr eigenes gestalten zu können. Durch "Peter's Chair" etwa, ein Set aus Tischchen und Stühlen, das der dänische Designer Hans J. Wegner 1944 aus abgerundeten Holzteilen entwickelte, die ein Kind erst selbst zusammenbauen musste. Der Entwurf, der aus der Not geboren wurde, weil Wegner ein gut zu transportierendes Geschenk für seinen Patensohn brauchte, gilt inzwischen als Musterbeispiel dafür, wie Design für Kinder Funktion, Spiel und pädagogischen Anreiz verschmelzen lassen kann.

Für Designer sind Kinder ja eine relativ neue Zielgruppe. Jahrhunderte lang wurden sie "ungesitteten Äffchen" gleichgestellt, wie der französische Historiker Philippe Ariès in seinem Klassiker "Die Geschichte der Kindheit" schrieb. Kaum konnten Mädchen und Jungen sich halbwegs artikulieren, wurden sie den Erwachsenen zugerechnet. In Heimatmuseen kann man noch die wenigen Dinge bewundern, die einst für Kinder entworfen wurden: die Schubladen etwa, die man irgendwo rauszog, um Babys darin schlafen zu legen, oder die Nuckel, die man bei Bedarf mit (opiumhaltigen) Mohn tränkte, als archaische Variante des Eltern-Ratgebers "Jedes Kind kann schlafen lernen" gewissermaßen.

Erst durch die Schriften Rousseaus im 18. Jahrhundert wurde Kindheit als etwas Besonderes, Schützenswertes angesehen. Die moderne Kindheit wiederum ist eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Das Kind als eigenständiges Individuum, aber auch als Konsument, der materielle Bedürfnisse befriedigen will.

"Das hat positive und negative Auswirkungen auf Kinder", sagt Juliet Kinchin, eine der beiden Kuratorinnen, die eine ähnliche Ausstellung bereits für das New Yorker MoMA eingerichtet haben. Einerseits hätten sich die Bedingungen, unter denen Kindern aufwachsen, durch den Fortschritt enorm verbessert, andererseits wird der Fortschritt in vielen Teilen der Welt noch immer von Kinderarbeit vorangetrieben. Design für Kinder sei daher nicht zu trennen von der Lebenswelt der Erwachsenen, im Guten wie im Schlechten. In Berlin sieht man vor allem das Gute, nämlich die demokratische Gesellschaft Skandinaviens, die alle meint und niemanden ausschließen will. Da findet man Besteck für behinderte Kinder ebenso wie Strohhalme, mit denen sich in Entwicklungsländern Flusswasser filtern lässt. Oder die "Little Sun" des dänischen Künstlers Olafur Eliasson: Eine Lampe, die zugleich Solaranlage und Akku ist. Sie soll Kindern in afrikanischen oder asiatischen Gegenden ohne Strom das Lesen ermöglichen - zu einem für ihre Familien erschwinglichen Preis, der dadurch zustande kommt, dass man in Europa für das Teil bis zu 99 Euro anlegen muss. Schön ist auch das Gelände "Puckelball Pitch" in Malmö. Was mit grünem Rasen und weißen Linien aussieht wie ein gewöhnlicher Fußballplatz, ist im wahrsten Sinn des Wortes eine Spielwiese. Die Linien sind krumm, die Tore verzerrt, der Boden ist leicht hügelig, sodass man auch Spaß an der Bewegung hat, wenn man nicht Fußball spielt. Ein Ort, der Trainingsplatz, öffentlicher Raum und Skulptur ist.

Kein Bauklotz in der Berliner Ausstellung, der nicht absolut formvollendet ist, kein Tischchen, dem nicht eine Sozialutopie eingeschrieben wäre. Kurioserweise ist die Erwachsenenwelt parallel dazu immer infantiler geworden. Das Bunte, Runde und Knubbelige ist im Design seit den Sechzigerjahren allgegenwärtig, und im modernen Arbeitsleben weiß man sowieso nicht mehr, wo das Start-up-Büro aufhört und der Spielplatz anfängt, seit in den Zentralen der Digitalwirtschaft Rutschen, Bällebäder, Kicker und Kuschelecken zur Standardausstattung gehören.

Als Elternteil fragt man sich am Ende der Ausstellung allerdings, ob man etwas falsch macht, wenn die eigenen Kinder nicht auf minimalistische Stoffgestaltung abfahren oder auf Puppenstuben aus edlem Sperrholz, die aussehen wie Architektenhäuser. Keine Sorge, sagt Kuratorin Juliet Kinchin: "Auch das hässlichste Barbie-Haus aus rosa Plastik kann Kinder dazu anregen, kreativ zu sein."

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