Hashtag:Wie eine Raute die Welt revolutionierte

Hashtag: So simpel, so weltverändernd: Die Hashtag-Raute.

So simpel, so weltverändernd: Die Hashtag-Raute.

(Foto: SZ)

Vor zehn Jahren wurde der Hashtag erfunden. Twitter lehnte ihn erst ab, weil er "nur für Nerds" geeignet sei. #Foodporn, #ootd und #blessed beweisen das Gegenteil.

Von Max Sprick

Chris Messina hatte keine Ahnung, dass er mit seiner simplen Frage die Welt in ein neues Zeitalter schicken würde. "Was haltet ihr von der Nutzung eines # für Gruppen?", twitterte der Informatiker und Blogger. Messina hielt die Raute für eine gute Idee, um Gruppen-Diskussionen auf Informatiker-Treffen einfacher zu organisieren. Die ganze Welt hält seit diesem Tag, dem 23. August 2007, die Raute für eine gute Idee, ihr Online-Verhalten zu organisieren. Und spätestens seitdem es Instagram gibt, scheinen ein paar Menschen ihr ganzes Leben nach einem Hashtag (wie die Raute fortan genannt wird) auszurichten.

Foodies zum Beispiel. Also Leute, die vom Kartoffelgratin bis zum Filet Mignon alles fotografieren, was nicht bei drei von ihrem Teller gegessen wurde. Versehen mit dem Hahstag #foodporn schicken sie den Inhalt ihres Magens in der Prä-Essversion an ihre Follower. Die globalen Favoriten dürften Avocadotoasts, Burger und Frühstücksbowls sein #eatclean. Wen das interessiert? Alle, die lieber nach #foodinspo suchen, statt in einem dieser altmodischen Dinger zu blättern #kochbuch.

Oder die Ootdler. Nie gehört? Vor der Hashtag-Erfindung hießen sie wahrscheinlich einfach Models oder noch früher Stilikonen. Was einst ein Promi-Privileg war, will heute jeder, der sich für stilvoll hält: Anderen sein super ausgewähltes "outfit of the day" präsentieren #ootd und dafür gefeiert werden #tagsforlikes. Schnell vor den Spiegel gestellt, die immer gleiche Haltung und den immer gleichen Blick eingenommen und schon ist das #instafashion-Bild in der Welt. #rippedjeans und #adidassuperstars dürften unter anderem dem Hashtag ihr Comeback verdanken - genauso wie #choker und #croptops. Plötzlich berühmte und neureiche #Instablogger verdanken dem Hashtag ihre Karrieren. Wen das interessiert? Alle, die vor ihrem vollen Kleiderschrank stehen und nicht wissen, was sie rausnehmen sollen #todayimwearing.

Dann sind da natürlich die #traveller. Es lässt sich schwer empirisch belegen, aber die Strände mit den Schweinen auf den Bahamas, der weiße Sand im mexikanischen Tulum oder der im phillipinischen Palawan dürften vor dem Hashtag deutlich leerer gewesen sein #travelgoals. Seitdem sich jeder für einen #worldtraveller hält, der mal ein paar Tage am Meer / in den Bergen / in der Großstadt verbracht hat, haben sich die Reisegewohnheiten geändert. Accounts mit Follower-Zahlen in zweistelliger Millionenhöhe machen mit ihren #wanderlust-Zielen neidisch - und sorgen dafür, dass jetzt jeder nach Sri Lanka, Bali oder Peru fliegt, um sein absolut einzigartiges, atemberaubendes Foto aus der großen weiten Welt zu instagramen #travelblog. Wen das interessiert? Leute mit Flugangst, die da nie hinkommen. Und die, denen der Lonely Planet-Reiseführer nicht mehr genügt #tripadvisor.

Ähnlich den Ootdlern verhalten sich die #fitnessjunkies. Sie müssen ihre Follower täglich darüber informieren, dass sie wieder beim Training sind #dailyroutine. Belege von Bizepsader, #abs und Beinen brauchen ständige Updates #transformation. Wen das interessiert? Menschen mit unüberwindbarem Schweinehund, die sich durch solche Posts tatsächlich aufraffen #motivation. Vielleicht aber auch schlicht und ergreifend: niemanden.

Selbstverständlich instagramt man heutzutage nicht nur sein Essen und sein Outfit, sondern auch sein Haustier. Katzenvideos und Welpenfotos sorgen dank Hashtag dafür, dass die Städte voller Möpse und Weimaraner sind #puppylove. Menschen, die sich von der Masse abheben wollen, besorgen sich tatsächlich einen Igel, den sie als Haustier, primär aber als Fotomotiv halten. Andere kreieren eigene Accounts für ihre tierischen Partner. Wen das interessiert? #doglover und #instakittys, die Tiere selbst eher nicht (außer sie bekommen für ihre Fotogenität ein #dailytreat).

Der Hashtag hat auch dafür gesorgt, dass zahlreiche Hobby-Philosophen ihre mehr oder weniger klugen Botschaften verbreiten #blessed. "Gestern ist gestern und morgen ist gestern heute. Nur der Augenblick zählt", oder "Lache so viel du atmen kannst und liebe solange du lebst", sind da Klassiker #instaquote. Wen das interessiert? Wandtattoo-Liebhaber, Glückskeks-Fans und Hobby-Philosophen #goyourownway.

Und dann gibt es noch die Menschen, die dafür gesorgt haben, dass Haushalte weltweit ordentlich und fotografierbar aussehen #minimalism. Sie ordnen ihren Laptop, ihre Kaffeetasse und ihre Brille milimetergenau akkurat an, oder bauen sich Kleiderschrank, Bett und Schreibtisch selbst #diy. Alles wird möglichst hell, möglichst weiß gehalten #clean, um den Eindruck vom perfekt-sterilen Zuhause zu erwecken. Wen das interessiert? Ordnungsfanatiker. Und Ikeaverweigerer.

Chris Messina übrigens ist heute recht stolz auf seine damalige Frage. In seiner Twitter- und Insta-Beschreibung erwähnt er seine Erfindung. Die wurde zwar 2014 ins Oxford English Dictionary aufgenommen, kam bei Twitter vor zehn Jahren aber gar nicht gut an. Zwei Tage nach seinem Tweet marschierte Messina ins Büro des damals noch ziemlich kleinen Nachrichtendienstes, um seine #-Verwendung nochmal ganz analog in einem persönlichen Gespräch vorzuschlagen. "Das ist viel zu nerdy. Niemand wird das jemals benutzen", antwortete der Twitter-Gründer Biz Stone daraufhin. Messina berichtet von der Begegnung auf dem Blog des Unternehmens. Er erzählt: "Mir wurde gesagt, das # sei toll für Nerds - mehr aber auch nicht." Er sei selbst nicht ganz überzeugt gewesen - weil die Idee so simpel war. Und deswegen sagt er heute: "Die Vorstellung, dass sie das Verhalten von Milliarden von Menschen verändert hat, ist ganz schön hart."

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