Diversität:Warum ist das deutsche Fernsehen so weiß?

Das Traumschiff

Das "Traumschiff" vom ZDF, hier in der aktuellen Stammbesetzung, mag ein Paradebeispiel sein, trägt aber dieselbe Verantwortung wie andere Formate.

(Foto: ZDF)

Flüchtling, Drogendealer, Shisha-Bar-Besitzer: Ausländer in Filmen und Serien landen noch oft in Klischee- oder Nebenrollen - und selten auf dem Traumschiff. Dabei tut sich gerade viel in der Branche.

Von Joshua Beer

Was sieht man an einem ganz normalen Tag in der Münchner Innenstadt? In der Fußgängerzone singen südamerikanische Schülerinnen im Chor, eine Studentin lehnt an der Schulter ihres dunkelhäutigen Freundes. Eine Gruppe grauhaariger Türken sitzt laut debattierend vor einem indischen Restaurant, und nebenan servieren asiatische Kellnerinnen Weißwürste im Wirtshaus.

Was aber sieht man abends vor dem Fernseher? Versunken im Sofa und eingetaucht ins öffentlich-rechtliche Programm kommt das dumpfe Gefühl auf, die Soko München ermittle in einer anderen Stadt und das Großstadtrevier in einem anderen Hamburg. Unterschiedliche Kulturen mag es auf der Straße geben, auf dem Bildschirm aber findet man sie kaum.

Murali Perumal hat ebendiese Beobachtung gemacht. Während draußen die Mittagshitze anhebt, sitzt der Theater- und Filmschauspieler in einem Café in Schwabing. Schon vor vier Jahren trat der gebürtige Bonner mit indischen Wurzeln eine Debatte zu dem Thema los, das ihm seit Jahren ein Anliegen ist: In einem offenen Brief an die Süddeutsche Zeitung bezeichnete er deutsche Stadt- und Staatstheater als "Armutszeugnis für die deutschsprachige Theaterwelt", da wie auf den meisten Bühnen "Theater von Weißen für Weiße" gegeben werde. "Den Brief kannst du eins zu eins aufs Fernsehen übertragen oder aufs Kino", sagt Perumal.

Klar, die deutsche Fernsehlandschaft bietet auch Positivbeispiele, mit Migranten erster oder zweiter Generation, die in Film und Fernsehen mehr als nur angekommen sind. Elyas M'Barek zum Beispiel, Österreicher mit tunesischen Wurzeln. Nach seinem Durchbruch mit der ARD-Serie Türkisch für Anfänger wurde seine Karriere zum Selbstläufer. Speziell Bayern ist wohl auch Tim Seyfi ein Begriff oder zumindest die Krimireihe Kommissar Pascha, in der er die Hauptrolle spielt.

Murali Perumal spielte auch schon einen Herbert Reiser - aber viel zu selten

Fündig wird man auch im Tatort: Als Til-Schweiger-Sidekick spielt Fahri Yardim in Hamburg und trat damit das "türkische Erbe" von Mehmet Kurtuluş an. Aylin Tezel ermittelt seit 2012 in Dortmund, und Sibel Kekilli schaffte gar den Sprung von Kiel nach Westeros (Game of Thrones). Als Kommissarin folgt ihr nun Almila Bagriacik, sodass sich das Tatort-Ermittler-Ensemble wieder auf drei nichtdeutsche Namen einpendelt. Die Öffentlich-Rechtlichen verweisen auf diese und andere Erfolgsbeispiele. Die Liste liest sich gut, doch bleibt sie letztlich überschaubar.

Murali Perumal spielte auch schon im Tatort, im Polizeiruf und in diversen Soko-Serien. Nicht immer war er in seinen Auftritten ein Inder, er trug auch schon Namen wie Herbert Reiser oder Rüdiger Zimmermann. "Das ist super und davon sollte es mehr Beispiele geben. Wir müssen weitergehen und nicht auf halber Strecke stehen bleiben!" Und die Strecke führe dahin, mehr Menschen mit Migrationshintergrund abseits vom Klischee zu besetzen. Also als Anwälte, Polizisten oder Gerichtsmediziner statt als Flüchtlinge, Drogendealer oder Shisha-Bar-Betreiber.

Filme und Serien, also fiktionale Formate, geben vor, unsere Lebenswelten zu spiegeln. Anders als Dokus oder Talkshows, in denen Meinungen deutlich gekennzeichnet werden, erreichen sie den Zuschauer auf subtileren Kanälen. Sie haben große Wirkung, die immer kritischer hinterfragt wird, weshalb sich in den vergangenen Monaten Filmemacher und Schauspieler in einem nie da gewesenen Umfang kritisch, zuweilen sogar selbstkritisch der Frage stellen, warum es so wenig angemessene Rollen mit Helden gibt, die nicht männlich, weiß und heterosexuell sind.

Hierzulande wird noch oft die "Lightvariante" des Migranten besetzt

In den USA ist aus der Oscars-so-white-Debatte längst auch eine über Asiaten und Hispanics im Showgeschäft geworden; und in Deutschland hat erst kürzlich eine von Maria Furtwängler initiierte Studie über Frauen im Fernsehen für große Aufmerksamkeit gesorgt. Die Frage, ob das Fernsehen denn noch die Wirklichkeit abbildet, treibt auch die Branche sichtlich um. Dennoch erscheinen viele fiktionale Produktionen von dem Trend seltsam unberührt.

In jenen, die nicht explizit "Migrantenthemen" ausleuchten, sagt Perumal, werde lieber die "Lightvariante des Migranten" besetzt, also jemand, der westeuropäisch aussieht. Sogenannte "sichtbare" Migranten, sprich afrikanisch-, asiatisch- und arabischstämmige, landen dann eher in Klischeerollen. Anwälte und Polizisten gehören selten dazu. "Sie sind zu speziell", bekam Perumal mehrmals zu hören: "Letztendlich heißt das: Du hast eine andere Hautfarbe, und wir lassen unser Fernsehen weiß." Exemplarisch überzeichnet begegnet dem Zuschauer das Phänomen im ZDF-Traumschiff, das seit Äonen über die Weltmeere tuckert. An Bord ist alles, einschließlich des Schiffs selbst, penibel in Weiß gehalten. Dunkelhäutige dürfen allenfalls den Hintergrund beleben oder Limousinentüren öffnen, denen dann Damen in geblümten Kleidern entsteigen.

Dabei könnten buntere Besetzungen dem deutschen Fernsehen auch ökonomisch guttun, denn der Druck konkurrierender Filmmärkte wächst. Und die sind oft weiter: In den USA sind zwar bei Weitem nicht alle Klischees beseitigt, doch wird Vielfalt von der Krimiserie bis zur Sitcom in allen Formaten zelebriert. Ganz nebenbei erschließen die Filmemacher neue Zuschauergruppen in Minderheiten, weil die plötzlich Identifikationsfiguren in Film und Fernsehen bekommen.

Die ARD sieht "keinen bewussten Rassismus", das ZDF darin gar kein Thema mehr

Die Bundesrepublik, in der mittlerweile jeder Fünfte ausländische Wurzeln hat, hinkt da hinterher, so schätzt es zumindest Norbert Ghafouri ein, Gründer und Vorsitzender des Verbands deutschsprachiger privater Schauspielschulen: "Es wird eher konservativ und deutsch besetzt."

Die Gründe dafür sind vielfältig, auch weil alle Entscheidungen von einzelnen Menschen getroffen werden. Einen davon nennt Florian Oeller, Drehbuchautor beim Polizeiruf, das "Zirkelproblem": "Durch den gigantischen Kostendruck besetzen die Redakteure und Regisseure bis in die Nebenrollen Darsteller, die ihre Verlässlichkeit schon unter Beweis gestellt haben, deren Gesichter man kennt." Viele, auch sehr gute Darsteller haben Probleme, in diese Rotation zu gelangen. Oeller: "Das primäre Gesetz ist: Keine Experimente!"

Etwas anders betrachten die Sender das Problem. Nach Nationalität und Hautfarbe werde sicher nicht ausgesiebt, doch Letzteres müsse eben auch in die Story passen, erklärt die ARD-Pressestelle. Und: "Die Redaktionen versichern mir, dass es keinen bewussten Rassismus gibt." Das ZDF findet gar, dass das alles überhaupt kein Thema mehr sei: "Menschen mit Migrationshintergrund gehören bei uns schlicht zum Programmalltag. Entscheidend für die Besetzung einer Rolle ist in erster Linie die schauspielerische Eignung." Ein idyllisches Ideal, dem die Realität noch hinterherhinkt.

Murali Perumals Vision für die Zukunft? Die Antwort kramt er aus seinen zahlreichen, bekritzelten Papierbögen, die er zum Gespräch mitgebracht hat. Es ist ein Motto von Raumschiff Enterprise: "Von beiden Geschlechtern, von jeder Hautfarbe, von jedem Stern gehört einer auf die Kommandobrücke." Kann man so stehen lassen.

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