Extremismus:Starke Gesten machen noch keine starke Demokratie

Man muss kein Sympathisant der autonomen Szene sein, um Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Verbots von Indymedia zu haben.

Kommentar von Joachim Käppner

Würde man der alten Devise folgen, dass auf einen groben Klotz ein grober Keil gehöre, dann hätte der Bundesinnenminister alles richtig gemacht, als er gleich die ganze linksradikale Internet-Plattform indymedia verbieten ließ, jedenfalls ihre deutsche Variante. Dass manche Beiträge, die darauf zu finden sind, mit grobem Klotz noch mild umschrieben sind, ist unstrittig - etwa jene, in denen sich Leute rühmen, die Autos der Familie eines Polizeibeamten angezündet zu haben. Ob der Staat gleich mit dem groben Keil des Verbots der ganzen Plattform antworten muss, ist eine andere Frage.

Was an den Vorwürfen dran ist, werden die Ermittlungen zeigen

Man kann dieses auch, wie es der Berliner SPD-Politiker Christopher Lauer und sogar der Bund deutscher Kriminalbeamter tun, für "Symbolpolitik" halten, die nach der Pleite des G-20-Gipfels demonstrieren soll, dass der Staat gegen linksextremistische Straftäter entschieden durchgreift. Und man muss kein Sympathisant der autonomen Szene sein, um Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieses Verbots zu haben. Zugegeben: Wegen der strikten Anonymität vieler, die sich auf der Plattform äußerten, war es für die Behörden schwer, einzelne Urheber ausfindig zu machen, die dort strafbare Beiträge ins Netz stellten. Es gibt freilich ein verfassungsrechtliches Übermaßverbot: Der Staat soll nicht im Übermaß, sondern so maßvoll wie möglich eingreifen.

Das Vorgehen dagegen, erst ein generelles Verbot auszusprechen und dann weitere Beweise dafür zu sammeln, erinnert ein wenig an das alte Motto aus dem Western: Schieß erst, frage später. Nach den Hamburger Chaostagen ist die Frustration der Strafverfolger noch gestiegen, weil viele der angekündigten Strafverfahren im Sande verliefen - etliche Vorwürfe ließen sich nicht belegen. Was an den Vorwürfen gegen indymedia wirklich dran ist, werden erst die weiteren Ermittlungen und auch die Ergebnisse der Hausdurchsuchungen bei den Betreibern zeigen. Nach dem G 20-Gipfel ist zumindest Skepsis geboten. Die ausgewählten Zitate aus Beiträgen für indymedia, die Thomas de Maizière der Öffentlichkeit präsentierte, sind ekelerregend, gewaltverherrlichend und von selbstgerechtem Ungeist, kein Zweifel. Bei der Unkultur von Hass und Häme, die leider Teil des digitalen Zeitalters ist, müsste man aber, folgt man diesen Kriterien, sehr viel mehr Plattformen aller möglichen Betreiber dichtmachen - aber ob das wirklich wünschenswert ist? Es ist auch ein Unterschied, ob eine Plattform von vorneherein als Forum zur Begehung oder Planung von Straftaten da ist wie im Falle rechtsextremistischer oder islamistischer Seiten, die aus dem Verkehr gezogen wurden; oder ob sich auf einer Seite, deren Inhalte meist noch von der Meinungsfreiheit getragen werden, einzelne strafbare Äußerungen finden. Diese Meinungsfreiheit gehört zu den wichtigsten Werten des Grundgesetzes. Mit der scharfen Waffe des Verbots sollten die Behörden sehr zurückhaltend umgehen.

Der Kriminalbeamten-Bund weist übrigens darauf hin, dass die polizeiliche Beobachtung der linksradikalen Szene durch das Verbot deutlich erschwert würde. In diesem Lichte wäre der angebliche Schlag gegen politische Gewalttäter sogar ein ermittlungstaktischer Fehler. Starke Gesten sind eben nicht dasselbe wie eine starke Demokratie.

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