Judo-WM:Zu alt für Deutschland

19 02 2016 Mitsubishi Electric Hall Duesseldorf Judo Grand Prix Düsseldorf Duesseldorf 2016 Vo

Gar nicht so lang her: Judoka Miryam Roper (rechts) tritt 2016 noch für Deutschland gegen die Brasilianerin Rafaela Silva an.

(Foto: imago/Conny Kurth)
  • Miryam Roper tritt bei der Judo-WM in Budapest für Panama an.
  • Noch 2016 startete sie für Deutschland bei den Olympischen Spielen.
  • Danach entschied der Deutsche Judo-Bund (DJB): Sie sei zu alt, um im Hinblick auf die Olympischen Spiele in Tokio 2020 noch eine Perspektive zu haben.

Von Sebastian Fischer

Die Hymne klingt noch etwas komisch, wenn Miryam Roper sie singt. Das sagt sie selbst, sie lacht: "Die Töne sind so hoch, das ist ganz schlimm." Doch den Refrain bekommt sie inzwischen fehlerfrei hin. Roper, eine der besten Judoka aus Deutschland, hätte sicherlich auch nach ihren Kämpfen bei den Weltmeisterschaften in Budapest an diesem Mittwoch nichts dagegen, sie zu singen: die Nationalhymne Panamas.

Roper, 35, geboren in Aachen, kämpft seit April für das Geburtsland ihres Vaters, weil sie für Deutschland nicht mehr kämpfen durfte. Ihr Fall ist einer, der die Hürden im deutschen Sport zeigt - und den starken Willen einer Athletin. Roper sagt: "Ich bin glücklich."

Dabei hatte das Jahr unglücklich begonnen. Nach den Olympischen Spielen in Rio entschied der Deutsche Judo-Bund (DJB), Roper fortan nicht mehr zu berücksichtigen. Sie sei zu alt, um im Hinblick auf die Olympischen Spiele in Tokio 2020 noch eine Perspektive zu haben. Dabei war sie, die frühere Weltranglistenerste und WM-Dritte, noch immer eine der besten Deutschen in ihrer Gewichtsklasse bis 57 Kilogramm. "Das nimmt einem die Basis", sagt Roper, sie fühlte sich allein gelassen und überhaupt nicht zu alt. Sie störte vor allem die Art und Weise, wie der Bundestrainer ihr den Entschluss mitgeteilt hatte: am Telefon. "Respektlos", sagt sie.

"Natürlich war's blöd am Telefon"

Ja, gibt Peter Frese zu, der DJB-Präsident, "natürlich war's blöd am Telefon. Aber sonst kann ich uns nichts vorwerfen." Die Leistungssportreform des Deutschen Olympischen Sportbundes schreibe es ihm vor, auf junge Leute zu bauen. Für alles andere, für Einzelfälle, "haben wir nicht die Mittel". Keine Chance.

Roper studiert in Köln, sie verlor ihren Status als Sportsoldatin in der Fördergruppe. Sie überlegte, ihren Ausschluss vor Gericht anzufechten. Doch sie wollte nicht mehr mit Leuten arbeiten, die nicht mehr an sie glaubten. Und sie erinnerte sich, was sie schon immer mal tun wollte: "meine panamaische Seite ausleben".

Sie flog nach Panama, beantragte einen Pass, fühlte sich wohl am Strand, in der Sonne, ihr fielen gar die bunten Schmetterlinge auf. Es war jedoch nicht alles einfach. Dem panamaischen Judoverband fehlen Geld und Strukturen. "Es war ein harter Weg", sagt Roper. Sie war auf ihr altes Umfeld angewiesen, auf ihren früheren, ebenfalls entlassenen Bundestrainer Michael Bazynski, der nun für den holländischen Verband arbeitet, aber in seiner Freizeit Ropers Pläne fürs Krafttraining entwarf. Sie brauchte die Hilfe des Weltverbands, der ihr Reisekosten erstattet, und mehr denn je die Unterstützung ihres Vereins Bayer Leverkusen.

"Ich gönne ihr eine Medaille", sagt DJB-Präsident Frese

Doch dann kämpfte sie erstmals für Panama. Und aus einer Geschichte, die unglücklich begann, wurde eine glückliche.

Roper gewann im Mai den Grand Slam in Jekaterinburg, einen der wichtigsten überhaupt. Sie schlug im Finale die Japanerin Udaka Nae mit Ippon. Die Konkurrenz staunte, noch nie hatte dort eine Athletin in Ropers Alter gewonnen. Auf dem Podest lauschte sie gerührt der Hymne, die erstmals bei einem Judo-Grand-Slam gespielt wurde. "Alcanzamos por fin la victoria", heißt es darin: "Letztlich haben wir den Sieg errungen." Roper findet, der Text sei durchaus symbolisch für ihren Weg.

Sie hatte auch im deutschen Team oft um ihren Status kämpfen müssen, galt als hochveranlagt, doch bei ihren zwei Olympia-Teilnahmen schied sie jeweils in der ersten Runde gegen die Brasilianerin Rafaela Silva aus, die Olympiasiegerin 2016. Ihre erste WM-Medaille gewann Roper spät in ihrer Karriere, mit 31. "Ich habe bewiesen, dass ich dahin gehöre", in die Spitze, sagt sie. Im Juni wurde sie Zweite beim Grand Prix in Cancún in Mexiko.

Sie gab Interviews im panamaischen Fernsehen, sie wird im September wieder hinfliegen. Roper will ihrem Sport dort in die Zukunft helfen. Doch schon jetzt, vor der WM, sind die Erwartungen hoch. Die Zeitung Metro Libre druckte eine ganze Judo-Seite. Die Frage ist: Kann Miryam Roper es wirklich noch mal allen zeigen?

In der Judo-Familie ist man sich nicht lange böse

"Ich gönne ihr eine Medaille, ganz ehrlich", sagt DJB-Präsident Frese. Der Kurs des Verbands hat sich durchaus bewährt, Theresa Stoll, 21, aus München gewann im April in Ropers Gewichtsklasse EM-Silber, bei der WM ist Stolls Zwillingsschwester Amelie dabei. Auch Roper hat ihren Frieden mit dem deutschen Verband gemacht, in der Judo-Familie ist man sich nicht lange böse. Sie darf weiterhin in Köln trainieren, in Budapest lässt sie sich von den deutschen Physiotherapeuten behandeln. Sie ist dankbar. "Ich habe viel mehr Spaß mit dem, was ich tue, als vorher", sagt sie, und: "Im deutschen System hätte ich mich nicht so wohl gefühlt wie jetzt", nicht so frei.

Und eine Medaille? "Es ist ein Riesenerfolg, dass ich bei der WM dabei bin", sagt Roper. Aber wenn sie nicht daran glauben würde, gewinnen zu können, dann hätte sie die Hymne ja nicht auswendig lernen müssen.

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