Spezielle Vorbereitungskurse:Tagsüber arbeiten, nachts die Schatten bekämpfen

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Mit einem Sommerkurs bereitet der Verband In Via junge Menschen mit Fluchthintergrund auf ihren Ausbildungsstart vor. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Lehrer, die kaum zu verstehen sind, keine Familie zur Unterstützung: Lehrlinge mit Fluchterfahrung haben es doppelt schwer. Ein Verband hilft ihnen dabei, den Weg in den Beruf zu meistern

Von Jasmin Siebert, München

Nach nur vier Monaten brach Yussif Sani seine Ausbildung zum Karosseriebauer ab. Da waren immer die Schatten der Vergangenheit und da war die Angst, Deutschland wieder verlassen zu müssen. "Ich träume immer über diese Dinge", sagt Sani. Weil er so schlecht schlief, hatte er tagsüber Angst, Werkzeug fallen zu lassen. Im Mai 2014 war der heute 20-Jährige als Flüchtling aus Ghana nach München gekommen, die Ausbildung begann er vergangenes Jahr. Er ist ein freundlicher junger Mann, der gern neue Menschen kennenlernt. Vielleicht war der Beruf auch einfach nicht der richtige für ihn.

Am Freitagmorgen um sechs beginnt seine zweite Chance: eine Ausbildung zum Hotelfachmann. Dass er diese überhaupt antreten darf, war bis zuletzt nicht sicher. Ghana gilt als sicheres Herkunftsland und wer von dort flüchtet, erhält nicht so einfach eine Arbeits- oder Ausbildungserlaubnis. Sani half ein Anwalt, am vergangenen Freitag gab die Ausländerbehörde ihr Okay. Dass Sani seine Ausbildung dieses Mal durchsteht, dafür wollen auch die Mitarbeiter des Programms "Brücken auf dem Weg in den Beruf" (WIB) des katholischen Verbands In Via helfen. Es wurde vor fünf Jahren ins Leben gerufen, um Auszubildende mit Fluchtgeschichte zu begleiten. Während nach Angaben der Handwerkskammer für München und Oberbayern mehr als die Hälfte der geflüchteten Lehrlinge ihre Ausbildung wieder abbricht, waren es bei den von In Via betreuten Azubis im Jahr 2016 nur elf Prozent. 75 Plätze gibt es und inzwischen sogar eine Warteliste.

Zum dritten Mal hat der Verein nun einen Sommerkurs zur Vorbereitung auf die Ausbildung angeboten. Eineinhalb Wochen dauerte der, 22 junge Leute nahmen teil. Was muss ich tun, wenn ich krank bin oder die S-Bahn Verspätung hat? Was sind meine Rechte und Pflichten? Wie spreche ich Probleme an? Wie gehe ich mit Stress um? Und, immer wieder: Wie läuft die Berufsschule? "Die Berufsschule, das war echt - puh!", sagt Sani und schüttelt sich, als er an seine Erfahrungen zurückdenkt: Lehrer, die nur tiefstes Bairisch oder viel zu schnell sprachen - und er, der einzige Ausländer in der Klasse, verstand kein Wort. Auch bei seiner neuen Ausbildung könnte Sani wieder der Einzige mit Fluchtgeschichte sein, sind es doch nur ein paar hundert Flüchtlinge, die in München eine Ausbildung antreten. Um die Situation für diese zu verbessern, bietet der Verein nicht nur einmal pro Woche einen Deutschkurs an, sondern vermittelt auch Helfer, die mit den Azubis Fachvokabular pauken oder Mathe-Nachhilfe geben. 46 solcher ehrenamtlichen Tutoren gibt es momentan, weitere werden gesucht.

Auch Maisam Jamali, gebürtiger Afghane, der viele Jahre im Iran lebte, ehe er im Dezember 2015 nach München flüchtete, hat am meisten Bammel vor der Berufsschule. Der 20-Jährige beginnt eine Ausbildung zum Zweiradmechatroniker. Mit Fahrrädern kennt er sich aus, er schraubt schon seit Jahren gern an ihnen herum. Aber auch er schläft schlecht, sein Asylantrag wurde vor einigen Monaten abgelehnt, sein Anwalt hat dagegen geklagt.

Weil die geflüchteten Azubis mit ganz anderen Problemen umgehen müssen als deutsche Lehrlinge und viele von ihnen eine posttraumatische Belastungsstörung haben, standen auch Entspannungstechniken auf dem Programm im Sommerkurs. "Tiefer atmen bei Stress" ist bei Jamali hängen geblieben. "Eine Acht malen", erinnert sich Sani. Er hat jetzt auch immer ein paar scharfe Bonbons in der Tasche, für den Notfall. Die sollen ablenken, wenn alter Schmerz hervorbricht. "Unsere Situation kann man mit deutschen Azubis nicht vergleichen. Wir haben noch nicht einmal ein eigenes Zimmer", sagt Jamali. Was er und viele andere Geflüchtete auch nicht haben: eine Familie. "Ich habe niemanden in Europa", sagt Jamali. Seine Mutter lebt im Iran. Doch immerhin weiß er jetzt, dass er sich stets an seine Betreuerin von In Via wenden kann.

© SZ vom 30.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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