Neue ZDF-Serie "Zarah":Jedes dämliche Geschlechtsstereotyp bedient

Zarah

Zarah Wolf (Claudia Eisinger) kämpft, wie sich das für eine Journalistin in den Siebzigern gehört, für das Recht auf Abtreibung.

(Foto: ZDF und Georges Pauly)

In der neuen ZDF-Serie "Zarah" kämpft eine Journalistin für Gleichberechtigung. Das könnte brandaktuell sein - der Sender verlegt die Geschichte aber vorsichtshalber weit in die Vergangenheit.

Von Katharina Riehl

Am 8. Dezember 1977 erschien in der Hamburger Illustrierten Stern eine Titelgeschichte der Journalistin Ingrid Kolb, und dieser Text sei hier eingangs erwähnt, weil die Story (und vor allem die Aufregung darum) die Lage recht schwungvoll auf der Punkt bringt. "Deutsche Chefs - Ferkel im Betrieb" war der Text überschrieben, Kolb ließ darin acht Frauen zu Wort kommen, die über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz sprachen.

Der Text von Ingrid Kolb, die später noch Ressortleiterin bei Gruner + Jahrs Großmagazin wurde und dann Leiterin der Henri-Nannen-Schule, löste eine Empörung aus, die man beim Stern heute nur noch erreicht, wenn die Journalistin von einem FDP-Spitzenpolitiker für ihren hübschen Busen gelobt wird. Damals (immerhin sechs Jahre nach dem spektakulären Stern-Titel "Wir haben abgetrieben") aber gab es unzählige wutschnaubende Leserbriefe, etwa den von Monika J. aus Köln: "Betatscht wird nur, wer vernascht werden will! Schlimm nur, dass solche Frauen ihre verdrängten sexuellen Wünsche den Männern unterschieben und sie so zum Sündenbock machen." Bertelsmann-Chef Reinhard Mohn bezeichnete den Text als "lächerlich primitiv". Feminismus und der große Journalismus waren 1977 noch sehr entfernte Planeten.

Die Männer in der Redaktion pinkeln in Papierkörbe und wollen mit jeder Frau schlafen

Das alles ist die Kulisse, vor die das ZDF eine Fernsehserie nagelt, die deutsche Antwort auf die US-Serie Good Girls Revolt, in der Journalistinnen 1969 das Magazin Newsweek auf faire Bezahlung verklagen. Zarah - Wilde Jahre erzählt von Zarah Wolf (Claudia Eisinger), einer erfolgreichen und frauenbewegten Autorin, die 1973 zur ersten stellvertretenden Chefredakteurin in der Geschichte von "Relevant" wird, der TV-Version des Stern. (Eine Titelfindung, die man durchaus ein bisschen lustig finden darf, weil Relevanz ja vermutlich das ist, was dem Stern seit 1973 am konsequentesten verloren gegangen ist.)

„STERN“-Leserbrief von 1977

"Mit einem Chef, der mich als Frau nicht beachtet, (...) und mit dem ich mir nicht vorstellen könnte, auch ins Bett zu gehen, kann und will ich nicht zusammenarbeiten. Keine Frau ist ein Neutrum."

Zarah Wolf nun ist nicht Ingrid Kolb, aber Vertreterin einer "mutigen Generation von Redakteurinnen und Autorinnen", die sich in das "Minenfeld des Pressemachismo" wagt, und immerhin eine Frau "wie Ingrid Kolb, Peggy Parnass, Alice Schwarzer oder Wibke Bruhns". So steht es im Presseheft, das designt ist wie das Magazin "Relevant". Das sind große Namen, und damit hängt man in Mainz die Latte nicht gerade niedrig, um sie dann zuverlässig und mit einigem Karacho zu reißen.

Zarah (Buch: Eva Zahn und Volker A. Zahn) will unterhaltsam sein, wie man es im ZDF donnerstags um 21 Uhr eben ist, nicht politisch oder relevant, und niemand hat behauptet, dass es sich um eine Doku handelt. Aber eine sechsteilige Geschichte über Feminismus und Machogehabe zu erzählen, und dann auch da, wo es wirklich nicht nötig ist, jedes dämliche Geschlechtsstereotyp zu bedienen, das schafft eben auch nicht jeder. Hier noch einmal ein Blick ins Presseheft: Zarah Wolf, heißt es da, "kleidet sich geschmackvoll, weiblich und up to date, ist aber zugleich sehr energisch in der Durchsetzung ihrer Ziele". Die Chefsekretärin ist der "Typ Elbschnitte" und über die Tochter des Verlegers steht geschrieben, ihre Sinnlichkeit kenne "keine Geschlechtergrenzen. Jenny sieht aus wie ein Model und ist in Sachen Mode immer ganz vorne." Liest denn da beim ZDF niemand noch mal drüber?

Vor sechs Wochen hat die Schauspielerin Maria Furtwängler eine Studie vorgestellt, die unmögliche Frauenbilder im deutschen Fernsehen anprangerte, wonach Intendanten und Programmchefs im ganzen Land gehorsam Besserung gelobten. Für Zarah kam die Studie offenbar zu spät. Die lesbische Emanze jedenfalls vernachlässigt ihre sterbenskranke Mutter, denn vermutlich fehlt ihr selbst die mütterliche Ader. Und die Männer? Pinkeln besoffen in Papierkörbe und möchten sehr gerne mit möglichst vielen Sekretärinnen schlafen, außer sie haben ein Kind verloren, dann dürfen sie Gefühle haben. Vielleicht braucht es da auch mal eine Studie.

Im Jahr 2012 hat Wibke Bruhns, Zarah-Vorbild und die erste Nachrichtensprecherin im deutschen Fernsehen, ein Buch über ihr Leben geschrieben. In Nachrichtenzeit gibt es ein Foto, auf dem der damalige Chef vom Dienst der Bild die junge Kollegin Bruhns hinterm Ohr krault. Die Aufnahme ist von 1961, Ohrenkraulen wird heutigen Chefs vom Betriebsrat vermutlich nicht mehr empfohlen, und überhaupt kann man die Situation von Frauen im Journalismus mit der von damals natürlich kaum vergleichen.

Aber, und das ist vielleicht das grundsätzliche Problem dieser Serie: Natürlich gibt es die Frauendebatte im Journalismus heute noch. Es gibt den Verein Pro Quote, auch weil es nach wie vor sehr wenige deutsche Chefredakteurinnen gibt; es gibt die Klage von Birte Meier gegen den Zarah-Sender ZDF, die beim Politmagazin Frontal 21 dasselbe verdienen will wie ihr Kollege; es gibt Shitstorms im Internet, wenn eine Frau ein Fußballspiel live kommentiert. Zarah aber zeigt hübsch bunte Siebzigerjahre-Klamotten, lässt zu Aretha Franklin tanzen und die Frauen über die Abschaffung von Paragraf 218 debattieren - die Serie verlegt damit den ganzen Konflikt vorsichtshalber in eine längst vergangene Epoche.

In der ersten Episode von Zarah zeigt sich der weibliche Kampf für einen besseren Journalismus darin, dass die neue Stellvertreterin Wolf keine nackten Brüste auf dem Titel von "Relevant" sehen möchte, was sich bei der Hamburger Illustrierten verkaufstechnisch immer bewährt hat. Sie streitet und wird ignoriert, am Ende tauscht sie das Cover heimlich aus, sodass stattdessen ein nackter Männerhintern am Kiosk liegt. Klar, das ist griffig, aber noch besser wäre die Geschichte natürlich, wenn der Stern nicht auch im Jahr 2017 noch ein Thema wie gesunde Ernährung mit einer nur spärlich bekleideten Blondine illustrieren würde. Zarah macht aus der Geschlechterdebatte Macho-Nostalgie - und alle, die man damit angreifen könnte, sind schon lange tot.

Anruf bei Ingrid Kolb, die Zarahs Vorlage ist, oder eben nicht. Kolb, 76, sagt, beim ersten Ansehen der Serie sei es "ein Schock gewesen", sie habe sich gefragt, was "das mit der Wirklichkeit zu tun habe". Dann aber, so Kolb, sei ihr klar geworden, dass auch eine Krankenhausserie nicht das echte Leben einer Krankenschwester zeige, da habe sie sich "diese Frage verboten". Manches sei ja gut getroffen, etwa in der Szene, als Zarah Wolf sich in der Kantine zu den Männern setzt und man ihr sagt, hier würde gerade über Politik gesprochen. Anderes sei dann doch "herzlich zum Lachen", was wohl nicht nur als Kompliment gemeint ist.

Ihren Schweine-Text über sexuelle Belästigung im Büro musste Ingrid Kolb übrigens nicht heimlich ins Blatt schummeln, den hatte die Stern-Redaktion sogar bestellt; Henri Nannen, der sich später vor Reinhard Mohn für die Geschichte rechtfertigen musste, soll sich bei Drucklegung aber in den USA aufgehalten haben. Ob das so war? Und ob der Text deshalb in jener Woche erschien? Henri Nannen starb 1996, und Legendenbildung ist nicht allein eine Spezialität des ZDF.

Zum Abschluss dieser Geschichte noch ein letzter Leserbrief aus dem Stern vom 22. Dezember 1977, von Johanne S. aus Oldenburg. Sie schrieb: "Da kann frau nur sagen, die Ferkel von heute sind die Schinken von morgen!"

Zarah - Wilde Jahre, ZDF, donnerstags, 21 Uhr; die erste Folge ist in der Mediathek des Senders abrufbar.

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