Erfolgreiche Unternehmer:Der Osten lebt

Sie sind nicht unbedingt groß, dafür aber ehrgeizig: Firmen aus Ostdeutschland rollen mit innovativen Produkten die Weltmärkte auf. Eine Sorge treibt die Firmen jedoch um - Fachkräfte werden knapp.

Michael Bauchmüller

Der Kasten sieht aus wie ein Computergehäuse mit einer handgroßen Glasplatte. "Ich hoffe, dass Sie das nie benutzen müssen", sagt Bernd Reinhold und legt selbst kurz die Hand auf die Platte. Das Gerät findet sich vornehmlich auf Polizeiwachen, es dient der erkennungsdienstlichen Behandlung.

Erfolgreiche Unternehmer: Solarzellenproduktion bei Ersol in Erfurt: Fast 90 Prozent der deutschen Solarzellen-Produktion kommt aus Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt.

Solarzellenproduktion bei Ersol in Erfurt: Fast 90 Prozent der deutschen Solarzellen-Produktion kommt aus Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt.

(Foto: Foto: AP)

International ist der "livescan" ein Verkaufsschlager - made in Jena. Reinhold, Gründer des Jenaer Herstellers Crossmatch, betet dazu einfach nur Zahlen herunter: 100 Prozent Marktanteil in Australien und Großbritannien, 60 Prozent in Japan, 50 Prozent in den USA. Das Ding verkauft sich gut. "Wir sind zufrieden", sagt Reinhold, dessen Visitenkarte ihn als "Senior Vice President & Chief Technology Strategist" ausweist. "Ohne die Umgebung hier in Jena wäre das nie möglich gewesen." Die Umgebung, das sind viele kleine und große Unternehmen, die im weitesten Sinn Optik produzieren und erforschen. Davon gibt es in Jena, dem Standort von Zeiss und Jenoptik, ganz schön viele.

Fortschritte im Verborgenen

So klingen die Geschichten häufig. Vor zehn Jahren noch war der Osten der Republik, jedenfalls industriell gesehen, ein hoffnungsloser Fall. Wo Werke entstanden oder überlebten, standen meist große Konzerne dahinter. Danach kam lange nichts. Aber es tut sich mächtig was, wenn auch oft im Verborgenen.

Im Technikum des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik in Halle steht Norbert Thiel vor einem Ofen von der Größe eines Kleinlasters. Fast flüsternd hat er erklärt, wie das Ding funktioniert. Dass da aus Silizium eine Art Suppe kocht, aus der wiederum die Vorstufe von Solarzellen wird. Jetzt aber hebt Thiel die Stimme. "Was hier passiert, ist einmalig", sagt er. "Hier entsteht gerade eine neue Branche, die bald so wichtig sein wird wie die Chemie." Thiels Arbeitgeber, der Mittelständler PVA Tepla, hatte 2005 noch 50 Millionen Euro Umsatz, jetzt läuft er auf die 170 Millionen Euro zu. Aufträge im selben Umfang stehen schon in den Büchern. Produziert werden die Öfen übrigens ebenfalls in Jena.

Die Kundschaft sitzt in der direkten Umgebung: im "Solar-Valley", einem Zusammenschluss der mitteldeutschen Solarfirmen. Fast 90 Prozent der gesamten deutschen Solarzellen-Produktion kommt inzwischen aus Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt, 18 Prozent des Weltmarktes werden von hier aus bedient. "Wir sind hier nicht nur das Zentrum der deutschen Solarindustrie, sondern auch der weltweiten", schwärmt Jörg Bagdahn, Chef des Fraunhofer-Centers für Silizium-Photovoltaik.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie die Unternehmen aus dem "Solar Valley" Sonnenstrom wettbewerbsfähig machen wollen - und warum fehlendes Kapital nicht das größte Problem der Firmen ist.

Der Osten lebt

In Halle haben sie aufgebaut, was sich neudeutsch "Cluster" nennt: Firmen und Institute einer Branche und einer Region schließen sich zusammen, um gemeinsam schneller voranzukommen. Das gemeinsame Ziel im "Solar-Valley" rund um Halle: Bis 2015 wollen sie die Preise für den Sonnenstrom so weit senken, dass er mit dem herkömmlichen ganz ohne Subventionen konkurrieren kann.

Gelingt das, winkt den knapp 30 beteiligten Firmen ein Riesengeschäft. "Dann geht die Branche in Richtung 100.000 Arbeitsplätze", sagt PVA-Tepla-Mann Thiel. Es sind die "Leuchttürme", von denen in der Vergangenheit so viele sprachen, ohne sie wirklich zu sehen. "Die Strategie, die Stärken zu stärken, geht jetzt auf", sagt der Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Tiefensee (SPD). "Und die Schere schließt sich." Zumindest dort, wo die Industrien auch für den Export produzieren. An vielen anderen Orten, jenseits der Leuchttürme, bleiben die Fortschritte eher mau. Alles hängt jetzt von der Strahlkraft der Vorzeigeprojekte ab.

Gehälter locken westwärts

Vor allem Hochtechnologien sollen die Basis für neue Industrien legen. Derzeit buhlen drei ostdeutsche Regionen um zusätzliche Mittel aus einem Wettbewerb der "Spitzencluster", und die Chancen stehen nicht schlecht. Aus insgesamt zwölf deutschen Regionen soll eine Jury fünf auswählen, sie dürfen einen Topf von 200 Millionen Euro Fördergeldern unter sich aufteilen. Neben dem Solar-Valley und der optischen Industrie in Jena haben auch die Chipfirmen in Dresden schon ein Auge darauf geworfen. Sie werben mit sparsamen Bauteilen, unter anderem wollen sie den Stromverbrauch von Computern halbieren.

Gebrauchen können das Geld alle, denn ohne öffentliche Unterstützung kommt keines der Netzwerke aus. Nur geht es bei den Firmen-Kooperationen weniger um direkte Förderung, als um die Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft - also auch die Ausstattung der beteiligten Forschungsinstitute und Hochschulen. Das soll nicht nur den Fortschritt beschleunigen - es könnte auch ein Problem lösen, das für Ostdeutschland bislang eher untypisch ist: Fachkräftemangel.

Waren die neuen Länder ursprünglich mit qualifiziertem Personal gesegnet, wird es nun zusehends rar. Die Technische Universität Chemnitz bietet mittlerweile englischsprachige Ingenieurs-Studiengänge an. Von den ausländischen Studenten, so die Hoffnung, werden einige in der Region bleiben. An der Uni Jena haben sie vergangenen Dienstag die Abbe School of Photonics gegründet, denn schon jetzt ist klar: Bis übernächstes Jahr brauchen die Firmen in Jena 3000 neue Leute - mindestens.

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