Thyssen Krupp:Italiener in Rage über Arbeitsunfälle

Im Extremfall 21 Jahre Knast: Ein deutscher Manager steht in Turin vor Gericht - er soll sieben italienische Arbeiter vorsätzlich umgebracht haben.

Stefan Ulrich

"Eine Wunde, die die ganze Stadt bewegt", so nennt die Zeitung La Stampa das Unglück, bei dem in der Nacht auf den 6. Dezember 2007 sieben Arbeiter eines Stahlwerks in Turin starben. Doch das ist noch untertrieben: Die Wunde bewegt nicht nur die Stadt, sie treibt ganz Italien um. An vielen Orten kam es zu Demonstrationen, Proteststreiks und Gedenkgottesdiensten. In Betrieben, Fußballstadien und der Mailänder Scala wurden Schweigeminuten eingelegt. Die Regierung versprach, viel mehr für die Sicherheit am Arbeitsplatz zu tun. Die Bürger wählten einen der überlebenden Arbeiter ins Parlament. Als sich der Unfall vergangenen Dezember jährte, marschierten Tausende im Trauerzug durch Turin. Manche riefen: "Mörder!" Der Vater eines der Opfer forderte: "Diese Mörder aus der Führung von Thyssen sollen für immer im Gefängnis landen."

Thyssen-Krupp Italiener in Rage über Arbeitsunfälle DPA

Sieben Arbeiter starben im Dezember 2007 bei einem Arbeitsunfall in einem Turiner Stahlwerk.

(Foto: Foto: DPA)

Historisches Verfahren

An diesem Donnerstag beginnt nun vor einem Schwurgericht in Turin der Strafprozess. Für die italienische Justiz ist es ein historisches Verfahren. Normalerweise wird den Firmen-Verantwortlichen bei Arbeitsunfällen "nur" fahrlässige Tötung vorgeworfen. Jetzt ist zum ersten Mal überhaupt ein Manager wegen Totschlags angeklagt. Die Staatsanwaltschaft hält dem Deutschen Harald Espenhahn damit vor, er habe die italienischen Arbeiter vorsätzlich umgebracht. Er hat, ohne etwas zu unternehmen, bewusst das Risiko in Kauf genommen, dass ein Unglück passiert, wie es dann auch pünktlich eingetreten ist", heißt es in dem Beschluss, der die Anklage zulässt.

Espenhahn ist Vorstandschef des italienischen Edelstahl-Unternehmens "Thyssen Krupp AST", einer Tochter des deutschen Thyssen-Krupp-Konzerns. Im Falle einer Verurteilung drohen Espenhahn bis zu 21 Jahren Haft. Neben ihm müssen sich fünf weitere Manager der Stahlfirma wegen fahrlässiger Tötung verantworten. In dem Prozess treten zudem die Region Piemont, die Stadt Turin sowie mehrere Gewerkschaften als Nebenkläger auf.

"Verbrannt wie Fackeln"

Der Verlauf des Verfahrens ist auch für das deutsch-italienische Verhältnis bedeutsam. In der Berichterstattung der italienischen Medien, die normalerweise wohlwollend gegenüber der Bundesrepublik ist, wurde im Fall Thyssen teilweise suggeriert, am Tod der Arbeiter sei irgendwie Deutschland mit schuld.

Es hat mehrere Gründe, dass der Unglücksfall in dem Stahlwerk derartiges Aufsehen erregt und als nationale Tragödie behandelt wird. Zum einen wird Deutschland gern als Hort der Effizienz und perfekten Organisation angesehen. Warum konnte dann in dem Turiner Werk dieser Brand ausbrechen, der zu einer Explosion führte und die Arbeiter wie "Fackeln", so die Zeitungen, brennen ließ? Weil es "nur" um italienische Arbeiter ging? Solche überzogenen Verdächtigungen wurden vom Verhalten der Thyssen-Krupp-Verantwortlichen nach dem Unglück bestärkt. Der Konzern benahm sich zunächst kühl und geschäftsmäßig, bevor er begriff, dass dies in Italien einen fatalen Eindruck machte.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Vorwürfe Espenhahn und anderen Managern gemacht werden.

Italiener in Rage über Arbeitsunfälle

Während in Deutschland über Todesfälle am Arbeitsplatz, im Straßenverkehr oder bei Familienkonflikten eher im Lokalteil berichtet wird, erregen sie südlich der Alpen landesweites Aufsehen. So kann es vorkommen, dass ein berauschter Autofahrer, der einen Passanten überfährt, tagelang in den Schlagzeilen steht und heftige politische Debatten auslöst. Im Unglücksfall von Turin kommt hinzu, dass er zu einem Zeitpunkt geschah, als das Thema Arbeitsunfälle das Land besonders beschäftigte. Schließlich verloren allein im Jahr 2007 in Italien mehr als 1200 Menschen ihr Leben bei Arbeitsunglücken. "Thyssen Krupp in Turin" wurde zum Symbol für diese Missstände.

Feuerlöscher leer

In Turin war man damals ohnehin ärgerlich über Thyssen Krupp AST. Denn das Unternehmen plante, das Zweigwerk in der Stadt zu schließen, um die Produktion am Hauptwerk im mittelitalienischen Terni zu konzentrieren. Radikale Teile der Gewerkschaften nahmen das Brandunglück außerdem zum Anlass, die "seelenlosen" internationalen Großkonzerne anzuprangern. Dies alles und der Totschlagsvorwurf der Staatsanwaltschaft machen den Prozess zu einem besonders heiklen Fall.

Der Kern der Vorwürfe lautet, Espenhahn und andere Manager hätten nicht genug in die Sicherheit des Turiner Werks investiert, da dieses vor der Stilllegung stand. Laut der Staatsanwaltschaft, die hundert Zeugen benannt hat, wurde die Unternehmensleitung von ihrer Brandversicherung und von Aufsichtsbehörden vergeblich auf Mängel hingewiesen. Dennoch habe sie nicht nachgerüstet. Auch sollen Feuerlöscher leer und ein Nottelefon defekt gewesen sein. Zudem seien die Arbeiter überlastet gewesen.

Die Verteidigung dürfte einwenden, die Beanstandungen der Versicherung und der Behörden hätten gar nicht die Produktionslinie betroffen, an der sich dann das Unglück ereignete. Die Rechtsanwälte von Thyssen Krupp AST könnten außerdem thematisieren, warum die Arbeiter, die in der Unglücksnacht im Einsatz waren, das Feuer nicht früher bemerkten und rechtzeitig löschten. Allerdings ist sich der Konzern bewusst, dass es ein verheerendes Bild in Italien abgeben würde, wenn er nun im Prozess die Opfer als Schuldige hinstellte.

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