Olympische Spiele:Das letzte Wasser in der Wüste

An LA2028 sign is seen at the Los Angeles Coliseum on the day Los Angeles was awarded the 2028 Olympic Games, in Los Angeles

Schmuckstück der Olympischen Spiele von 1932 und 1984 und nun auch als Zentrum für 2028 gedacht: das Los Angeles Coliseum mit seinen bewusst kopflos gestalteten Figuren. Sie stehen symbolisch für Athleten beiderlei Geschlechts.

(Foto: Lucy Nicholson/Reuters)

Mit der formalen Bestätigung von Paris 2024 und Los Angeles 2028 als Austragungsorte der Sommerspiele verschafft sich das Internationale Olympische Komitee etwas Ruhe in der Krise.

Von Thomas Kistner, Lima/München

Ein letztes Mal warf der Bewerbertross aus Paris und Los Angeles die Arme in die Höhe und Thomas Bach seine Wortschöpfung von der "Win-win-win"-Situation in die Runde: So eine schaffe ja nun die Doppelvergabe der Sommerspiele 2024/2028 - für die Ausrichter und auch für sein Internationales Olympisches Komitee. Das trifft die Situation.

Tatsächlich war der formale Schlussakt bei der Session in Lima schon vor Monaten abgesegnet worden und seit viel längerem absehbar: Das IOC schnappte sich die letzten Mohikaner, die noch in der Bewerber-Arena für 2024 standen. Im Wissen um die schwindende Attraktivität des Events, und dass es sich nicht gleichzeitig an Seine und Pazifik ausrichten lässt, wurden den Verbliebenen gleich noch die Spiele 2028 zugeschanzt, garniert mit einer dicken Finanzspritze für L.A., weil es sich hinten anstellt - fertig war das olympische Rettungspaket. Lange vorbei sind die Zeiten, als IOC-Präsidenten über die Fernseher auf allen Kontinenten flimmerten, in den Händen ein Kuvert, um nach quälenden Sekunden der Welt zu verkünden: "The winner is ...!"

Paris und L.A. haben die Reihenfolge locker am grünen Tisch ausgekartelt und nun genügend Zeit, ihre Versprechen umzusetzen und dabei vielleicht den Schnitt von bald 200 Prozent, um den die anfänglichen Veranstalterbudgets gern überschritten werden, etwas nach unten zu drücken. Das aktuellste Beispiel: Tokios Spiele-Budget für 2022 wurde in der Bewerbung mit gut vier Milliarden Euro angesetzt; heute liegt es bei elf Milliarden. Der von der Gouverneurin zur Budgetprüfung eingesetzte Experte Shinichi Ueyama rechnet laut ARD mit Kosten von bis zu 22 Milliarden Euro.

Es sind nicht die Spiele, gegen die sich das Unbehagen richtet

Es dauert, bis Tokios Rechnung vorliegt. Aber auch unter diesem Aspekt ist das IOC dank der Doppelvergabe eine große Last losgeworden. Die Zweifel am Milliardenspiel sind überwältigend: Allein bei den beiden letzten Bewerbungen um Sommer- und Winterspiele stiegen acht Kandidaten aus. Fünfmal senkten die Bürger den Daumen, dreimal die Politik; sie wollte nicht in ein unbegrenztes Finanzrisiko steuern mit einem IOC, das freie Hand beansprucht. Da liegt das Kernproblem: Es sind nicht die Spiele, sondern deren Manager im Ringe-Konzern, gegen die sich das wachsende Unbehagen in der freien Welt richtet. Ein Unbehagen, dass internationale Ermittlungen zu mehreren Spiele-Vergaben künftig noch schüren dürften. Schon jetzt stehen mehrere IOC-Mitglieder im Fokus strafrechtlicher Untersuchungen. Und diese laufen gerade erst richtig an.

Insofern ergibt es Sinn, dass das IOC nun den frühere UN-Generalsekretär Ban Ki Moon als neuen Vorsitzender seiner Ethikkommission vorstellte. Aufgabe des Gremiums ist es, darüber zu wachen, dass die Leitlinien guter Führung einhalten.

Die jüngsten Ermittlungen war in der Bewerbungsphase für 2024 noch gar nicht bekannt. Trotzdem hatte das IOC Glück, dass es überhaupt zu einem Duell kam. Denn neben Rom, Hamburg, Budapest hatte auch Boston zurückgezogen, der offizielle US-Bewerber für 2024. Dann aber sprang der Zweitplatzierte der nationalen Ausscheidung, Los Angeles, in die Bresche, so waren es wieder zwei. Allerdings zwei Kandidaten, die klarmachten, dass sie nur dieses eine Mal auf der Matte stünden. Es durfte keiner verprellt werden: nicht Paris, das zum vierten Male antrat, und nicht die USA, deren TV-Anstalten und Sponsoren den Großteil der Erlöse in Olympias Kassen spülen.

Also machte das IOC aus der wachsenden Not eine Tugend: Die Doppelvergabe gibt Planungssicherheit über eine Dekade. Und sie beendet einen entlarvenden Trend, der den globalen Attraktivitätsverlust offenbart: die Serie der Asien-Spiele. Dreimal Fernost steht in den nächsten Jahren an, nach den Winterspielen in Pyeongchang 2018 folgen Sommer 2020 in Tokio und Winter 2022 in Peking. Auch bei der letzten Winterspielvergabe hatte das IOC nur noch zwei Bewerber im Ring. Eine Doppel-Lösung verbat sich hier aber: Peking rang mit Almaty; wäre 2026 an Kasachstan verschenkt worden, hätte das die Asien-Tournee noch verlängert.

Das IOC überfrachtet sich mit Werten und Idealen

Nicht zu vergleichen ist die Doppelvergabe von Lima daher auch mit dem Veranstalter-Paket, das der Fußball-Weltverband Fifa zuletzt für seine WM-Turniere 2018 (Russland) und 2022 (Katar) auf den Weg brachte. Im Gegenteil: Während das IOC auf eine Bewerber-Wüste mit nur noch zwei Wasserlöchern blickte und flott beide in Beschlag nahm, war die WM-Doppelvergabe der Fußballkollegen eine krachende Party, die - so der wachsende Verdacht bei den Ermittlungsbehörden - der Selbstbereicherung manch eines greisen Funktionärs diente, der nicht sicher sein konnte, ob er die nächste Vergabe vier Jahre später noch im Amt erleben würde. Gleich elf Nationen aus vier Kontinenten buhlten damals um die WM-Turniere. Das versprach fette Beute für manchen Funktionär.

Zur Crux des elitären IOC zählt auch, dass es sich, anders als der populäre Fußball, Skandale nicht leisten kann. Dem Kickergewerbe nimmt das Publikum die PR-gesteuerten Versuche, etwa durch Fairplay- oder Antirassismus-Appelle eine moralische Überhöhung zu schaffen, kaum ab (und deshalb weniger übel, wenn mal wieder was schiefgeht). Das IOC aber reklamiert die Ideale des Sports per eigener Charta für sich. Es präsentiert sich derart mit Werten befrachtet, dass es seine Arenen frei von Sponsoren halten kann (umso aggressiver wird rundherum geworben).

Das definiert die Fallhöhe: Korrupte Fußballkameraden fallen weniger auf in einer Branche, deren wirtschaftliche Regeln ein schillernder Kreis aus Agenten und Beratern mitbestimmt. Aber olympische Repräsentanten mit Polizei-Eskorte? Daran wird sich das Publikum eher nicht gewöhnen können. Gut, dass dank der Doppelvergabe an der Front erst mal Ruhe einkehrt.

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