Mit der Bayerischen Staatsoper unterwegs in Japan:Petrenko denkt Gesang

Mahlers fünfte Symphonie in der Bunka-Kaikan-Halle

Von Egbert Tholl, Tokio

Das größte Privileg an dieser Tournee ist nicht, in Japan zu sein, so großartig das an sich ist. Nein, das größte Privileg ist, Kirill Petrenko beim Proben zuschauen zu dürfen. In München darf man das normalerweise nicht, die wenigen Ausnahmen wie etwa eine Probe von "South Pole", zu der für eine Stunde Journalisten zugelassen waren, haben ein ganz klein bisschen etwas von einem Showeffekt. Hier aber arbeitet Petrenko so, wie er wohl immer arbeitet. Das Interessante dabei: Das Programm des Konzerts in der Bunka-Kaikan-Halle in Tokio spielten er und das Bayerische Staatsorchester bereits vier Mal, zwei Mal in München, einmal in Seoul, einmal in Taipeh bei der den Operngastspielen vorangegangenen Konzerttournee. Eigentlich gibt es da gar nichts mehr zu proben. Eigentlich macht man auf Tourneen meist nur sogenannte "Anspielproben", das heißt, der Dirigent und das Orchester erkunden die Akustik des fremden Saals. Eigentlich geht das meist schnell. Aber "eigentlich" stimmt bei Petrenko nicht.

Nun also Mahlers fünfte Symphonie. Es herrscht eine Prachtstimmung. Große Heiterkeit. Die Tournee lief bislang hervorragend. Petrenko begrüßt sein Orchester auf Japanisch, macht einen Witz über die Höhe des Dirigentenpodiums und beginnt die Symphonie ordentlich mit deren Beginn, die Solotrompete fasziniert mit strahlender Klarheit. Drei Minuten, keinesfalls länger, geht es nun weiter mit dem Geschehen, das Mahler notierte. Dann ist erst einmal Schluss.

Dann spricht er. "Der Saal ist sehr hell. Wir müssen versuchen, dunkler zu denken." Petrenko hat eine ungemein plastische Art, zu den einzelnen Stellen, die er nun probt, seine Auffassung in Worten zu kleiden und erreicht nicht nur damit die Aura eines unabdingbaren Miteinanders. Das Staatsorchester und er machen zusammen Musik. Zusammen. Er spricht dazu viel, blättert rasant in seiner Partitur. Und ganz anders als viele Dirigenten (bei Tourneen) äußert er nicht einfach einen Wunsch, er überprüft auch, ob es gelingt.

Dann wird eben Takt 151 im ersten Satz drei Mal gespielt. Es ist eine Ländler-Stelle, in die die ersten Geigen einen sehr hohen Ton hineinzaubern. Petrenko mahnt die "Intonation" an, wiederholt sie, überprüft sie. "Intonation", als wären die Geigen Stimmen und sängen zusammen. Noch nie habe ich das Wort "Intonation" in einer Orchesterprobe gehört. Tiefer, höher, lauter leiser schneller - klar. Aber nicht "Intonation". Als Takt 151 so gelingt, wie er sich das vorstellt, verneigt er sich vor den Geigen wie ein Japaner.

Immer wieder denkt Petrenko Gesang, auch als dessen Abwesenheit. Wünscht sich dann eine Stelle "nicht so gesungen". Will er die Trompete leiser, sagt er "etwas weniger laut", dann wünscht er sich den Klang "wie eine Erinnerung" und verspricht vor Beginn des Adagiettos: "Heute spielen Sie das noch leichter, noch schwereloser, weg von der Erde." Natürlich passiert das dann auch. Im Konzert wird dieser Satz enden in einem ewigen Verlöschen. Petrenkos Mahler schreit fantastisch, ist hundert Prozent unsentimental und birst vor Leben.

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