Gesetzestexte:Die Verordnung mit dem 49-Buchstaben-Titel

Affäre um gekaufte Examenslösungen

Ordnungswidrigkeitengesetzbuch, Strafprozessordnung und Strafgesetzbuch tragen nicht ganz so komplizierte Titel.

(Foto: Andreas Gebert/dpa)
  • "Umsatzsteuerschlüsselzahlenfestsetzungsverordnung": Schon der Kurztitel klingt umständlich.
  • Dabei hat sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag vorgenommen, Gesetze einfach zu formulieren.
  • Der "Redaktionsstab Rechtssprache" beim Justizministerium bemüht sich deshalb um verständliche Formulierungen. Vorbild ist die Schweiz.

Von Robert Roßmann, Berlin

Eigentlich ist die Vorgabe aus dem Koalitionsvertrag an Klarheit nicht zu überbieten. "Gesetze müssen einfach, verständlich und zielgenau ausgestaltet werden", haben Union und SPD Ende 2013 vereinbart. Demnächst endet die Legislaturperiode, doch mit der Verständlichkeit von Gesetzen und Verordnungen scheint es immer noch nicht weit her zu sein.

Das zeigt bereits ein Blick auf die nächste Sitzung des Bundesrats an diesem Freitag. Auf der Tagesordnung steht auch die "Verordnung über die Festsetzung der Länderschlüsselzahlen und die Ermittlung der Schlüsselzahlen für die Aufteilung des Gemeindeanteils am Aufkommen der Umsatzsteuer nach § 5a des Gemeindefinanzreformgesetzes". Selbst der Kurztitel der Verordnung aus dem Finanzministerium ("Umsatz- steuerschlüsselzahlenfestsetzungsverordnung") hat noch 49 Buchstaben. Die im Bundesrat ebenfalls auf der Tagesordnung stehende "Einkommensteuerschlüsselzahlenermittlungsverordnung" kommt sogar auf 51.

Die beiden Beispiele verdecken jedoch, dass sich die Bundesregierung bereits seit einigen Jahren darum bemüht, verständlichere Gesetze zu beschließen. 2006 hat die damalige große Koalition eine erste Initiative gestartet, 2007 wurde eine Projektgruppe eingesetzt. Im April 2009 richtete die Bundesregierung dann den "Redaktionsstab Rechtssprache" beim Justizministerium ein, der seitdem einen Blick auf Gesetze und Verordnungen werfen soll. Seine Chefin, Stephanie Thieme, ist so etwas wie die Sprachwärterin der Bundesregierung. Grundlage für ihre Arbeit ist die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien. Dort heißt es in Paragraf 42 Absatz 5: "Gesetzentwürfe müssen sprachlich richtig und möglichst für jedermann verständlich gefasst sein." Sie seien "grundsätzlich dem Redaktionsstab Rechtssprache zur Prüfung auf ihre sprachliche Richtigkeit und Verständlichkeit zuzuleiten".

Stephanie Thieme ist nicht nur Volljuristin, sondern auch Germanistin. "Mein Interesse war es schon immer, Sprache und Recht zu verbinden", sagt die 61-Jährige. Sie habe sich bereits im Studium geärgert, dass vieles so umständlich formuliert ist. "Wenn ich in eine Bauordnung gucke, und ich mich dort nicht gut zurechtfinde, obwohl ich Juristin bin, dann ist das ein Unding", sagt Thieme. "Ich muss doch selbst erkennen können, ob ich etwa einen Baum einfach so fällen darf oder ob ich eine Genehmigung dafür brauche."

In ihrem Redaktionsstab arbeiten acht Sprachwissenschaftler. Sie bekommen jährlich circa 300 Gesetz- und Verordnungsentwürfe auf den Tisch - Tendenz steigend. Dabei achten sie etwa darauf, dass komplexe Sachverhalte logisch und übersichtlich gegliedert werden. "Möglichst nur ein Gedanke pro Satz, nicht mehr als drei Sätze pro Absatz und nicht mehr als fünf Absätze pro Paragraf", sagt Thieme. Bei der Prüfung gehe es aber auch um eindeutige Regelungen, knappe und kohärente Formulierungen, eine einheitliche Terminologie, aussagekräftige Überschriften und eine treffende Wortwahl. Die Vorschläge des Redaktionsstabs haben nur empfehlenden Charakter. Im Schnitt werden aber etwa 60 Prozent der Vorschläge übernommen.

Der interessierte Leser soll Antworten finden

"Die Schweizer machen bereits seit 40 Jahren eine sehr intensive Gesetzesredaktion - das merkt man den Schweizer Gesetzen auch an", sagt Thieme. Sie glaube "fest daran", dass Deutschland irgendwann auch so weit sein wird - "aber da reichen die acht Jahre noch nicht, die der Redaktionsstab bisher tätig ist". Thieme ist zuversichtlich, dass sich ihre Arbeit am Ende auszahlt. Ziel müsse sein, dass "der interessierte Leser auch aus dem Gesetz heraus Antworten" auf seine Fragen findet.

Thiemes Redaktionsstab beim Justizministerium kümmert sich um alle Gesetzentwürfe aus den anderen Ministerien. Außerdem gibt es mehrere Mitarbeiter des Justizministeriums, die die hauseigenen Entwürfe prüfen. Diese auf den ersten Blick eigenartige Trennung hat auch einen praktischen Grund. Wenn etwa ein Innenminister von der CDU einen Gesetzentwurf plant, der einem sozialdemokratischen Justizminister zuwider sein könnte, wird er kein großes Interesse haben, den Entwurf bereits in einem frühen Stadium ins Justizministerium zu schicken. Der sozialdemokratische Minister bekäme dann Kenntnis davon und könnte den Entwurf frühzeitig torpedieren.

Die Mitarbeiter von Thiemes Redaktionsstab haben deshalb nur ihre Büros im Justizministerium, sie sind aber Angestellte eines externen Dienstleisters, der "Lex Lingua - Gesellschaft für Rechts- und Fachsprache mbh" - und zur Vertraulichkeit verpflichtet. Justizminister Heiko Maas (SPD) kann also nicht das Wissen des Redaktionsstabs nutzen, um Innenminister Thomas de Maizière (CDU) in die Quere zu kommen.

Ach ja: Die Umsatzsteuerschlüsselzahlenfestsetzungsverordnung ist Thiemes Stab übrigens nicht zur Prüfung vorgelegt worden.

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