Sven Ulreich beim FC Bayern:Eine der schwersten Aufgaben im Fußball

FC Schalke 04 - Bayern München

Bayerns Torhüter Sven Ulreich.

(Foto: dpa)
  • Manuel Neuer ist erneut verletzt, deshalb soll ihn Sven Ulreich in den kommenden Wochen vertreten.
  • Beim Sieg des FC Bayern gegen Schalke zeigt er, in welchen Bereichen er den Stammtorhüter ersetzen kann - und in welchen eher nicht.
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Von Christopher Gerards, Gelsenkirchen

Sven Ulreich konnte sich am Dienstagabend noch gut erinnern an "die Scheiße", die passiert ist. Er sagte das wirklich so. Er erinnerte sich an das Torwarttraining am Tag zuvor, an eine "ganz normale Situation". Daran, wie Manuel Neuer plötzlich aufschrie. Schon da habe es nicht gut ausgesehen, fuhr Ulreich fort, und dieses "es" stellte sich später als Haarriss im linken Mittelfuß heraus. Die "Scheiße", die im Training passierte, sie führt dazu, dass Nationaltorhüter Neuer in diesem Jahr kein Fußballspiel mehr bestreiten wird. Und dieselbe "Scheiße" führt auch dazu, dass Ulreich in diesem Jahr noch sehr oft zwischen den Pfosten stehen wird.

Es war ein Abend des Einerseits-Andererseits für Sven Ulreich, den Ersatztorwart des FC Bayern. Einerseits, sagte er, "war es schön, dass ich jetzt wieder spielen konnte". Aber andererseits: "In erster Linie fühlt man mit Manu mit." Einerseits machte Ulreich bei diesem 3:0 auf Schalke einen guten Job, mehrere formschöne Paraden brachte er an. Andererseits weiß er, wissen seine Mitspieler, wissen alle beim FC Bayern, dass sie Manuel Neuer in den kommenden Monaten das eine oder andere Mal vermissen könnten.

"Es ist immer schwierig, Manuel zu vertreten"

Nach Lage der Dinge muss Sven Ulreich, 29, eine der schwersten Aufgabe im deutschen Fußball bewältigen. Seine Aufgabe ist, Neuer zu ersetzen, und dies ist eine Aufgabe, die man nur begrenzt schaffen kann. Hätte Neuer diesen Schuss nicht locker festgehalten? Hätte er bei dieser Flanke nicht müde gelächelt? Wäre dieser Pass von ihm nicht viel präziser gekommen? Was Ulreich auch tut, er hat das Problem, dass seine Leistung immer einem imaginären Vergleich unterliegt, dass alles, was er macht, vom Möglichen, also: von Neuer her gedacht wird.

Ulreich hat sich vorgenommen, dieses Problem zu lösen, indem er erst gar nicht den Anschein erwecken möchte, als wäre er ähnlich gut wie Neuer. "Es ist immer schwierig, Manuel zu vertreten, weil Manu ist der weltbeste Torhüter", sagte er am Dienstag, und das klang nicht mal bemüht pflichtbewusst. Es war einfach die Wahrheit.

Ein Spieler nach dem anderen sprach am Dienstagabend über Neuers Verletzung und darüber, wie ärgerlich sie sei. Das war ausdrücklich nicht als Misstrauensvotum gegenüber Ulreich gemeint, zeigte aber das Problem des FC Bayern: dass man Manuel Neuer halt nicht ersetzen kann. Die Münchner wissen, was sie bei Ulreich bekommen: Einen top-top-top-soliden Bundesligatorwart, dem übers Eins gegen Eins und das Spiel auf der Linie keiner was zu erzählen braucht.

Ein Schalker nach dem anderen scheiterte am Dienstag an Ulreich, Bastian Oczipka versuchte sich, Leon Goretzka, auch Guido Burgstaller schaute öfters mal vorbei. Aber am Ende stand Ulreich immer richtig, er war einer der Gründe, warum der FC Bayern dieses Spiel zu Null gewann. "Ich bin zufrieden", sagte Ulreich und widmete seine Paraden den versammelten Kollegen: "Ich hab' ein, zwei Mal gehalten für die Jungs, damit wir nicht unter Druck kommen."

Vieles spricht für Ulreich

Aber hier und da, in den weniger ausgeleuchteten Szenen, deutete sich an, dass sich ohne Neuer die Statik im Bayern-Spiel ein kleines, kleines bisschen verschieben könnte. Da war zum einen eine Szene aus der Anfangsphase: Von rechts schwirrte eine Flanke in den Strafraum, Ulreich wollte zugreifen, ließ den Ball aber fallen, was das Schalker Publikum stattlich amüsierte. Nichts Großes, nichts war passiert. Aber hätte Manuel Neuer...? Auch was seine Qualitäten als Aufbauspieler angeht, ist Ulreich womöglich, vielleicht, eventuell nicht ganz so gut wie Neuer.

Das räumte er selbst ein. Es sei bei seiner Ankunft "ungewohnt gewesen, wenn man von einer Mannschaft kommt, wo lange Bälle gefordert werden", sagte Ulreich, bis 2015 im Dienst des VfB Stuttgart, über die in München geforderten Fertigkeiten am Ball. Im Spiel mit dem Fuß habe er sich verbessert, das schon. Aber hätte Manuel Neuer in der ersten Halbzeit wirklich diesen einen Pass Richtung Tribüne gespielt?

Es spricht für Ulreich, dass diese kleineren Wackler am Dienstag im allgemeinen Jubel über seine Paraden untergingen; und es spricht für seine Mitspieler, dass sie den Ersatztorwart nicht mit Erwartungen überfrachten. Sie wissen: Ändern können sie die Situation ohnehin nicht. Und wenn man sich einen Ersatztorwart wünschen könnte, einen, der schon hinreichend gut, zugleich aber gewillt ist, sehr viel Zeit auf der Bank zu verbringen - brächte dieser Torwart nicht genau die Qualitäten von Sven Ulreich mit?

Es gehört zu den fast schon ironischen Pointen in Ulreichs Karriere, dass er jetzt plötzlich monatelang im Tor steht, dass er derjenige sein wird, der sich in der kommenden Woche letztinstanzlich gegen Paris den Neymars, Cavanis und Mbappés dieser Welt entgegenstellen muss. Im Sommer hatte er noch über einen Fortgang aus München nachgedacht, er litt unter dem typischen Ersatztorhüterproblem, dass Rotation im Tor eher zu den Ausnahmen gehört; dass man die meisten Samstage und Dienstage mit Zuschauen verbringt. "Wir haben uns dann aber entschieden, dass wir erstmal zusammenbleiben", sagte Ulreich nun. Er freue sich jedenfalls auf seine Chance, und er wisse, "dass auch nicht so gute Spiele kommen werden". Einerseits. Andererseits sagte er: "Ich weiß, was ich kann, ich weiß, dass ich Manu gut vertreten kann."

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