Erdbeben:Mexiko erlebt ein schreckliches Déjà-vu

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Das Hotel Regis, 1985 eines der bekanntesten in Mexiko, kollabierte völlig nach dem Erdbeben.

(Foto: AFP/Getty Images)
  • Schon wieder ein Erdbeben am 19. September: Exakt vor 32 Jahren starben allein in Mexiko-Stadt etwa 10 000 Menschen.
  • Noch am Dienstagmorgen heulten die Sirenen in der Stadt in Gedenken an die Opfer, wenige Stunden danach kam das neue Erdbeben.
  • Nach 1985 tat vor allem die Zivilgesellschaft einiges, um den Schutz vor Katastrophen zu erhöhen.

Von Thomas Hummel

Der 19. September ist in Mexiko-Stadt ein Tag des Gedenkens. Auch an diesem Dienstag heulten um elf Uhr die Sirenen in Erinnerung an die Opfer von 1985. Das damalige Erdbeben hat niemand in dieser riesigen Stadt vergessen, der einst dabei gewesen war. Hunderte Gebäude waren eingestürzt, Tausende Menschen unter den Trümmern begraben.

Umso verwunderter waren die Einwohner, als gut zwei Stunden später um kurz nach 13 Uhr schon wieder die Sirenen heulten. Noch ein Gedenken? Doch schnell war klar, dass ein neuer Ernstfall bevorstand. Genau 32 Jahre nach dem großen Desaster.

Unglücksfälle und Katastrophen miteinander zu vergleichen, verbietet sich eigentlich im Angesicht der individuellen Schicksale. Doch mit dem neuen Erdbeben an diesem 19. September mit mehr als 200 Toten kommt in Mexiko zwangsläufig die Erinnerung hoch. "Noch einmal der 19. September ... der Geist von 1985" titelt die Zeitung El Universal.

Die Stärke des Bebens vor 32 Jahren betrug 8,1 auf der Richterskala (diesmal lag der Wert bei 7,1). Es folgte ein nationaler Notstand und die Erkenntnis, dass das Land schlecht vorbereitet war auf die Wucht und die Zerstörungen solch eines schweren Erdbebens, trotz seiner tektonisch gefährdeten Lage. Mexiko liegt auf der nordamerikanischen Kontinentalplatte, an der Pazifik-Küste schiebt sich die sogenannte Cocos-Platte darunter. Um 7.19 Uhr morgens bebte die Erde und nur wenige Minuten später glich die Millionenstadt an vielen Orten einem Trümmerfeld.

Etwa 800 Häuser stürzten ein, eine noch größere Zahl wurde beschädigt. Bald fiel auf, dass teilweise aus dem 17. Jahrhundert stammende Gebäude noch standen, hingegen viele neuere Häuser in Trümmern lagen. Zum Beispiel das Regis Hotel, eine der luxuriösesten Unterkünfte dieser Zeit. Es war genauso zerstört wie etliche Werkstätten der Textilindustrie, Hunderte Näher starben, 40 000 waren anschließend arbeitslos. Zwar gab es bereits seit 1977 strengere Bauvorschriften, doch erstens kamen diese für viele Häuser zu spät, zweitens ließ sich mit Korruption noch jede Vorschrift umgehen. Anschließend vernahm die mexikanische Gesellschaft staunend und zornig, dass trotz erdrückender Beweise kaum ein Verantwortlicher bestraft wurde. Auch eine staatliche Baufirma kam weitgehend glimpflich davon, obwohl sie für die Errichtung von Schulen zuständig war, von denen viele ebenfalls eingestürzt waren.

Fußball-WM findet trotzdem statt

Nicht einmal ein Jahr später sollte die Fußball-WM stattfinden, die beteiligten Unternehmen und vor allem der Fernsehsender Televisa wollten das Turnier unter allen Umständen abhalten. Da die Stadien weitgehend verschont geblieben waren, auch das riesige Azteken-Stadion in der Hauptstadt, erklärte der damalige Präsident des Weltverbands Fifa, Joao Havelange, unter Missachtung jeglichen Respekts vor den Opfern: "Gott ist Fußballfan, er hat den Fußball respektiert." Schon damals drehte sich bei der Fußball-WM für die Organisatoren und ihren Helfern alles ums Geld, da durfte eine Naturkatastrophe nicht stören.

Mexikos Bürger hatten zunächst andere Probleme. Der Staat reagierte anfangs wie gelähmt und unterschätzte das Ausmaß der Zerstörung. Hilfsangebote aus dem Ausland wies die Regierung brüsk zurück, es hieß, man werde selbst damit fertig. Allerdings wühlten praktisch nur Nachbarn, Freiwillige, Verwandte - also ganz normale Bürger - nach den Verschütteten. Die Armee etwa hielt die Menschen vor allem davon ab, den Trümmern nahe zu kommen, statt nach Überlebenden zu suchen. Erst nach ein paar Tagen gab die Regierung kleinlaut zu, der Situation nicht Herr zu werden und ließ ausländische Hilfskräfte ins Land.

Als es am 20. September zu einem schweren Nachbeben kam, reagierten viele Menschen panisch. Mexiko konstatierte später einen Anstieg von psychischen Krankheiten. Am Ende zählte das Land offiziell 3192 Tote, aufgrund der Anzahl von Vermissten und Verschwundenen sind Schätzungen zufolge 10 000 Menschen gestorben, manche sprechen gar von der doppelten Anzahl.

Warneinrichtungen für Erdbeben

Vor allem die Bürger Mexikos reagierten. Auf Druck der Bevölkerung gründete sich im Mai 1986 ein nationaler Zivilschutz, der sich auf die Vorbereitung auf Erdbeben, Stürme oder Brände sowie die Hilfe danach spezialisiert hat. So richtete Mexiko im Jahr 1991 ein System ein, das an der Pazifikküste seismische Bewegungen misst und bei einer Stärke von mehr als fünf auf der Richter-Skala ein Signal in die Hauptstadt sendet, womit die Bevölkerung etwa 50 Sekunden vor einem Erdbeben gewarnt wird.

Ebenfalls kurz nach 1985 gründeten sich die "Topos", die Maulwürfe - eine Spezial-Einsatzgruppe, die in Trümmern nach Überlenden sucht. Diese ist inzwischen so anerkannt, dass sie nach Erdbeben schon nach Japan und Haiti gerufen wurde.

Auch die Bauvorschriften verschärften sich weiter. Der Druck auf die Bauherren, Material zu verwenden, dass auch Erdbeben größerer Stärke widerstehen kann, wuchs erheblich. Das alles trägt wohl dazu bei, dass der 19. September 2017 in nicht ganz so schlimmer Erinnerung bleiben wird wie jener aus dem Jahr 1985.

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