Smart City:So smart geht Hauptstadt

Wo einst Berlins Versorgung mit Gas begann, lehrt heute ein Stadtviertel, wie sich Energie möglichst effizient verwenden lässt. Vieles davon ist gar nicht so kompliziert.

Von Michael Bauchmüller

Wie so oft sind die großen Dinge ganz klein und unscheinbar. In der Energiezentrale im Berliner Stadtteil Schöneberg ist es ein Kasten, vielleicht 30 mal 30 Zentimeter groß. Hinter einer Plexiglas-Verkleidung verlaufen einige Kabel zu ein paar Schaltern. "Das ist alles kein Hexenwerk", sagt Frank Mattat. "Letztendlich ist das hier nichts anderes als die Verknüpfung bestehender Technologien." Denn die Schalter lassen wahlweise einen Kühlkompressor anspringen oder einen großen Durchlauferhitzer. Und am anderen Ende hängt ein Computer, der auch die Wetterdaten auswertet. Fließt viel Windstrom, dann nehmen die Schalter in dem kleinen Kasten Kühlung oder Heizstäbe in Betrieb.

Mattat ist Geschäftsführer einer Tochter des Berliner-Gasanbieters Gasag und einer von denen, die in Schöneberg an einem "smarten" Campus arbeiten - einem ständig wachsenden Viertel, das alle Energie so effizient wie möglich nutzt. "Wir erfüllen hier heute schon die Klimaschutz-Ziele von 2050", sagt Mattat. "Zu den Kosten einer konventionellen Versorgung."

Die Wurzeln der "konventionellen Versorgung" befinden sich gleich um die Ecke. Mitten auf dem Grundstück steht das riesenhafte Gerüst eines ehemaligen Gasspeichers. Als der "Gasometer Schöneberg" 1913 fertiggestellt wurde, war er einer der größten Gasspeicher Europas. In einer Zeit, in der Berlin massiv wuchs und in vielen Gebäuden selbst die Beleuchtung mit Gas lief (so wie bis heute viele Berliner Straßenlaternen), war der Gasometer sichtbares Zeichen technologischen Fortschritts. Heute ist er es wieder, nur ganz anders.

Arbeiter haben gerade die Straßen neu asphaltiert, das Kopfsteinpflaster ist verschwunden. Demnächst sollen nur noch Elektroautos auf den Campus dürfen, schon jetzt parkt ein halbes Dutzend von ihnen unter einem Sonnendach, angeblich der größte Solar-Carport Europas. Auf dem Stahlgerüst des Gasometers drehen sich kleine Windräder. Alles Teil eines Micro Smart Grid, eines kleinen, intelligenten Stromnetzes. Es speist die Elektroautos, nutzt deren Batterien aber gleichzeitig als Speicher - falls mal der Wind abflaut. Das System kennt auch die Buchungspläne der E-Autos - und sorgt dafür, dass die Akkus immer voll sind, wenn ein E-Auto gebraucht wird. "Denn eigentlich sind Autos ja keine Fahrzeuge, sondern eher Parkzeuge", sagt Andreas Raab. "So oft, wie sie ungenutzt herumstehen."

Blick auf das Gasometer in Berlin Schoeneberg Berlin 05 09 2015 Berlin Deutschland PUBLICATIONxIN

Das ehemalige Gasometer in Berlin-Schöneberg ist in das neue Energiekonzept eingebunden.

(Foto: Thomas Trutschel/imago)

Der Ingenieur Raab, Wissenschaftler an der Technischen Universität Berlin, erforscht auf dem Campus das Miteinander von E-Autos und dezentraler Stromversorgung. An dem Forschungsprojekt, das der Bund fördert, sind auch Verkehrsbetriebe und die Stadtreinigung Berlins beteiligt - Elektromotoren sind für ihre Flotten hochinteressant. "Wir können hier zeigen, wie ein dezentrales Netz intelligent funktionieren kann", sagt Raab. "Und wir finden heraus, was in einer zukünftigen Energiewelt wirklich machbar ist." Erst kürzlich hatten die Wissenschaftler die Probe aufs Exempel gemacht - sie schnitten die Verbindung zum restlichen Stromnetz für ein paar Stunden ab. "Wir wollten herausfinden, ob wir mit Fotovoltaikanlagen und Batterien auch einen Inselbetrieb hinkriegen, in dem wir autark Elektroautos aufladen können", sagt Raab. "Hat geklappt."

Das Prinzip des kleinen Netzes hat eine Menge Ähnlichkeit mit dem des unscheinbaren Schaltkastens - nur der Maßstab ist ein anderer. Wenn etwa die Windräder Brandenburgs auf Hochtouren laufen, oder die Sonne auf Ostdeutschlands Solarparks scheint, ist oft Strom im Überfluss vorhanden. Manchmal gibt es so viel Strom, dass Anlagen abgeschaltet werden müssen, weil es nicht genügend Nachfrage gibt oder er sich nicht dorthin transportieren lässt, wo gerade Mangel an Strom herrscht. In solchen Lagen senden die Computer der Energiezentrale ihr Signal - und in der Energiezentrale des Campus springt das an, was neudeutsch "Power-to-heat" oder "Power-to-cool" heißt. Strom wird in Wärme oder Kälte gewandelt. "Als wir begonnen haben, das hier zu konzeptionieren, da haben uns viele für wahnsinnig erklärt", sagt Mattat, dessen Firma, Gasag Solution Plus, die Anlage betreibt. Das Prinzip dahinter ist das Prinzip Thermoskanne: Gut isoliert lässt sich Energie über Stunden speichern - und taugt so prima dazu, Gebäude zu beheizen oder Rechenzentren zu kühlen.

"Wir könnten in Deutschland so viel weiter sein", sagt ein Architekt

In Schöneberg fassen die beiden Thermoskannen je 22 000 Liter, aber das klingt spektakulärer, als es ist. In der Energiezentrale sind es zwei zimmerhohe Wassertanks, die dick mit silber glänzendem Isoliermaterial eingepackt sind. Beide können sowohl Wärme als auch Kälte speichern, beide sind über Rohrleitungen mit den umliegenden Gebäuden verbunden. In einem benachbarten Raum sorgt ein Blockheizkraftwerk, das mit Biogas betrieben wird, für die restliche Wärme und den restlichen Strom. Und demnächst soll noch ein Batteriespeicher dazukommen, mit dem sich der Strom auch direkt speichern lässt, nicht in Form von Wärme oder Kälte. Wo bisher Mauern stehen, sollen künftig Fenster sein - das ganze soll auch ein Schauraum für die Energiewelt von morgen sein. Gerade lässt sich ein Professor aus Peking über das Gelände führen, das Interesse ist groß. An die 400 Besuchergruppen kommen jedes Jahr auf das Gelände, viele davon aus Asien.

Aber in Deutschland? Im neunten Stockwerk von Haus 13 sitzt Reinhard Müller, er schüttelt den Kopf. "Wir könnten in Deutschland so viel weiter sein", sagt er. "Aber viele Potenziale lassen wir einfach liegen." Müller, Architekt, Ingenieur, ist der Vater des Campus. "Euref" hat er es genannt: Europäisches Energieforum. "Wärmepumpen, Blockheizkraftwerke - das hat es alles schon gegeben, als ich studiert habe", sagt er. "Im Grunde tun wir hier nichts anderes als zu beweisen, dass die Energiewende funktioniert, und zwar sehr einfach." Nur da, wo gerade die riesigen Neubausiedlungen entstünden, Wohnhäuser und Büroblocks, da verzichte man auf die technischen Möglichkeiten. "Eigentlich müsste man das gleich in die Bebauungspläne reinschreiben", findet Müller.

Smartcity

Verkehr, Sicherheit, Umwelt - wie verändert die Digitalisierung das Leben in den Städten? SZ-Serie Folge 18 und Schluss. Illustration: Sead Mujic

Technische Möglichkeiten: Das sind jenseits der Energiezentrale und des Micro Smart Grid vor allem die Gebäude selbst. In Haus 13 etwa sind 4200 Sensoren installiert. Sie messen Sonneneinstrahlung, Temperatur, und ob sich jemand im Büro aufhält. Ein System von Rohren ist in die Decken eingebaut, sie leiten die Wärme im Gebäude dorthin, wo es gerade kalt ist, und die Kälte dahin, wo es zu warm ist. "Betonkernaktivierung" nennt sich das. Ergebnis: Die Gebäude auf dem Campus verbrauchen so wenig Energie, dass das Blockheizkraftwerk nie ganz ausgelastet ist. Geplant für 60 000 Quadratmeter Büroflächen, lassen sich nun 130 000 Quadratmeter daraus versorgen, plus natürlich die Wärme oder Kälte aus den 22 000-Liter-Tanks. "Kurzum: Wir verdienen Geld, weil wir weniger verbrauchen." Auch die Smart Grid-Forscher auf dem Campus haben schon Interesse an den Gebäuden: Denn in den Betonkernen lässt sich auch Wärme und Kälte über Stunden speichern. "Das verschafft uns mehr Flexibilität, die wir nutzen können", sagt Raab. "Und hier können wir testen, wie es geht."

Gerade entsteht ein neues Bürogebäude auf dem Campus, Kosten 45 Millionen Euro. Für gut 500 000 Euro bekommt es ebenfalls Sensoren und alle mögliche smarte Elektronik. "Das kostet so viel wie der Teppichboden", sagt Müller. "Trotzdem wollen sich das viele Bauherren nicht leisten." Und der Gesetzgeber mache nicht genug Vorgaben, um das zu ändern.

Wie es aber gehen könnte, das lässt sich auf dem Schöneberger Campus schon jetzt an allen Ecken erkunden. Start-ups erforschen Elektromobilität, Speicherlösungen oder eben smarte Netze. An der Wand eines Gebäudes werden Algen gezüchtet - ein Energielieferant, der im Augenblick vor allem im nahe gelegenen Restaurant verarbeitet wird. Die Kühlräume dieses Restaurants wiederum sind klar und flexibel: Sie kühlen vor allem dann, wenn es viel Energie gibt. So dienen auch sie als Puffer. Und gelegentlich surrt ein kleiner Elektrobus über den Campus, der öffentliche Nahverkehr. Einen Fahrer hat er nicht, das Vehikel fährt autonom.

Es gehe auch darum, Zukunft auszuprobieren, sagt Müller. Der erste autonome Bus auf dem Gelände, Olli, blieb manchmal unvermittelt stehen. Es dauerte eine Weile, bis der Fehler gefunden war: Ollis Sensoren waren irritiert von Reflektoren, die in Bodenwellen eingebaut waren. Die sind jetzt alle entfernt. So etwas nennt sich dann: ein lernendes System.

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