Bundestagswahl:Das würde eine Jamaika-Koalition für die Wirtschaft bedeuten

Steuern, Klima, Verkehr, Europa: Die Differenzen zwischen Union, FDP und Grünen sind nicht zu übersehen. Doch sie sind überwindbar.

Von Michael Bauchmüller, Cerstin Gammelin, Kristiana Ludwig und Thomas Öchsner, Berlin

Nach der Wahl ist vor den Verhandlungen. Wer miteinander regieren will, muss erst mal den gemeinsamen Kurs finden. Und weil die SPD nach dem schwachen Ergebnis in die Opposition strebt, bleibt nur ein Bündnis aus Union, FDP und Grünen: die "Jamaika-Koalition". Ob man regieren könne, beteuern nun alle Beteiligten, hänge allein von den Inhalten ab. Was aber wollen die Parteien? Wo werden sie leicht einig, wo droht Streit? Ein Überblick.

Steuern: Die Differenzen zwischen Grünen und CSU, aber auch CDU scheinen unüberwindbar. Die Grünen wollen den Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer anheben, ebenso die Steuern für Großunternehmen. Sie wollen die Vermögensteuer einführen und die Erbschaftsteuer gerechter machen. Die CSU schließt jegliche Steuererhöhungen aus, die CDU "grundsätzlich" auch. Unternehmen sollen entlastet werden. CDU und CSU schließen zudem die Wiedereinführung der Vermögensteuer und Änderungen an der Erbschaftsteuer aus. Die FDP lehnt neue Steuern komplett ab. Sie will Steuerentlastungen von 30 Milliarden Euro. Die Union will "fair und gerecht" Steuern senken. Die Grünen dagegen wollen einen größeren Teil des Einkommens steuerfrei stellen.

Haushalt: Die FDP gibt sich als Bremser: Sie will eine Schuldenbremse für Sozialversicherungssysteme und eine Investitionsbremse. Die Union will, dass der Bund keine neuen Schulden macht - aber "finanzielle Spielräume" für Investitionen nutzen. Die Grünen setzen dagegen mehr auf den Staat. Er soll "öffentliche Orte und Institutionen" auskömmlich finanzieren.

Gesundheit: Wie die Deutschen in Zukunft bei Krankheiten abgesichert sein sollten, stellen sich die Grünen und die FDP ganz unterschiedlich vor. Die Grünen plädieren für eine Abschaffung der "Zwei-Klassen-Medizin" - also für eine Krankenkasse, in der alle Bürger versichert sind. Die FDP dagegen nennt diese Idee schon in ihrem Wahlprogramm eine "Zwangskasse" und will die Privatversicherungen weiter stärken. Auch die Union stand einer Veränderung des derzeitigen Versicherungssystems bislang skeptisch gegenüber.

Arbeitsmarkt: Die Gegensätze hier sind überwindbar: FDP und Union wollen beim Mindestlohn weniger "Papierkrieg" und Unternehmen von Dokumentationspflichten entlasten. Die Grünen lehnen das ab: Es werde noch schwerer, Mindestlohn-Verstöße zu entdecken. Alle wollen mehr für Langzeitarbeitslose tun. Grüne und Union denken an einen staatlich geförderten sozialen Arbeitsmarkt für jene, die auf dem regulären Markt keine Chance haben. Die FDP will eine neue Form von Kombilöhnen für Hartz-IV-Empfänger einführen. Sie bekommen weiter Geld vom Staat, und ihr Arbeitgeber zahlt einen Lohn, der sich an der "Produktivität" des Hartz-IV-Empfängers orientieren soll.

Rente: Die FDP ist gegen starre Altersgrenzen in der Rentenversicherung. "Ab 60 entscheidet jeder selbst, wann er in Rente geht", heißt es im Wahlprogramm. Wer will, darf bis 70 oder noch länger arbeiten. Auch die Grünen können sich eine "Teilrente ab 60" vorstellen. Bei der Union ist das kein Thema. Die Grünen wollen das Rentenniveau stabilisieren, was für die FDP nicht in Frage kommt. Die Union will erst einmal gar nichts ändern.

Bei den Themen Klima und Verkehr wird es knirschen

Klima: Hier wird es knirschen. Zwar bekennen sich alle Jamaika-Partner zum Klimavertrag von Paris. Die Wege zum Ziel sind aber grundverschieden. So setzt die FDP auf eine Wiederbelebung des Emissionshandels, der Europas Kraftwerke und Fabriken zum Kauf von Zertifikaten zwingt, sobald sie Kohlendioxid emittieren. Das reicht den Grünen nicht: Weil die Zertifikate seit Jahren zum Schnäppchenpreis zu haben sind, verlangen sie einen Mindestpreis dafür - den die FDP kategorisch ablehnt. Die Union sieht das ähnlich: Sie ist gegen "dirigistische Eingriffe" in den Markt.

Energiepolitik: Hier sieht es nicht besser aus. Die Grünen haben bis 2020 die Abschaltung der "20 schmutzigsten Kohlekraftwerke" versprochen, um das deutsche Klimaziel noch einzuhalten. Die Union plant zumindest langfristig einen Ausstieg aus der Braunkohle. Die FDP verliert zur Kohle kein Wort. Allerdings ist ein staatlich forcierter Ausstieg so ziemlich das Gegenteil liberaler Politik. Auch beim Öko-Strom droht Streit: Während die Grünen alle Schranken für den Windkraft-Ausbau aufheben wollen, verlangt die FDP mehr Rücksicht auf Landschafts- und Naturschutz. Chancen hat aber eine Senkung der Stromsteuer: Die fordern Grüne und FDP.

Verkehr: Hauptstreitpunkt ist der Antrieb. Die Union will bis auf Weiteres an Verbrennungsmotoren festhalten, Fahrverbote für Diesel schließt sie aus. Dagegen wollen die Grünen von 2030 an keine neuen Verbrennungsmotoren mehr zulassen. Eine Koalition müsse dem Elektromotor zum Durchbruch verhelfen. Derlei Festlegungen schmecken der FDP nicht: Sie schreibt die Technologieoffenheit groß. Auch das Ende des Dienstwagen-Privilegs, das die Grünen fordern, dürfte bei den Partnern nicht auf Gegenliebe stoßen.

Bildung: Die FDP will staatliche, kommunale sowie private Kitas und Schulen über Bildungsgutscheine fördern. Die Grünen setzen dagegen auf staatliche Investitionen. Die Union hat die "Bildungsrepublik Deutschland" ausgerufen, jedoch ohne Details zu nennen. Nur eines verspricht sie: bis 2018 soll schnelles Internet flächendeckend verfügbar sein.

Europa: Union und Grüne sind sich einig: Sie wollen einen europäischen Währungsfonds und mit Frankreich die Euro-Zone weiterentwickeln. Die FDP sieht das anders: Sie will ein Insolvenzrecht für Euro-Staaten samt Austrittsverfahren aus dem Euro einführen. Ein überwindbarer Punkt.

Freihandel: Der Streit um das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada, Ceta, könnte in Koalitionsgesprächen neu aufflammen. Die Union will das Abkommen "mit Leben erfüllen", die FDP steht Freihandel stets offen gegenüber. Anders die Grünen: "Wir kämpfen dafür, dass Ceta in dieser Form nicht ratifiziert wird" heißt es in ihrem "Zehn-Punkte-Plan für Grünes Regieren" - ihrem Maßstab für jede Koalition.

Und die Wirtschaft? Die forderte am Montag eine rasche Regierungsbildung, um der Klarheit willen. Wenn das mal so einfach wäre angesichts der vielen Streitpunkte.

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