Bundestag:Vom Kloputzer zum Volksvertreter

Die neue Linksfraktion ist weniger ostdominiert. An wichtigen Stellen weist sie frische Gesichter auf, auf einige prominente Parteimitglieder muss sie in Zukunft verzichten.

Von Sebastian Jannasch, Berlin

Die Linken im Bundestag werden westlicher. Nachdem die Partei im Osten nur noch drittstärkste Kraft hinter der CDU und der AfD geworden ist, sitzen in der neuen Linksfraktion weniger Abgeordnete, die in den neuen Bundesländern kandidiert haben. Bislang hielten sich Vertreter aus Ost und West die Waage, künftig stellen die im Westen gewählten Abgeordneten etwa zwei Drittel. Auch sonst verändert sich die Fraktion: Sie muss auf einige prominente Parteimitglieder verzichten. Dafür sind zwei Vertreter der Parteispitze erstmals im Bundestag.

Die schlechteren Ergebnisse im Osten wurden durch das bessere Abschneiden in den alten Bundesländern mehr als ausgeglichen. Die Fraktion wächst deshalb um fünf auf künftig 69 Mitglieder. Zwar muss die Partei auf das Prädikat Oppositionsführer verzichten. Doch die leichten Zugewinne beim Gesamtergebnis dürften die bisherigen Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch bestärken, sich bei einer Klausurtagung Mitte Oktober in Potsdam zur Wiederwahl zu stellen.

Ihre vier Direktmandate in Berlin konnten die Linke verteidigen. Ein fünftes Direktmandat gewann Sören Pellmann in Leipzig. Wegen der Verluste bei den Zweitstimmen in Sachsen schaffte die bisherige Ostbeauftragte der Linken, Susanna Karawanskij, allerdings nicht mehr den Sprung nach Berlin. Dort wäre fast noch ein sechstes Direktmandat hinzugekommen. Der Linken-Politiker Pascal Meiser lag bei der Auszählung lange Kopf an Kopf mit seiner Konkurrentin von den Grünen. Am Ende unterlag Meiser mit knappem Abstand. Auf dem Ost-West-Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg hatte im Wahlkampf ein besonderes Augenmerk gelegen, weil ein Sieg im ehemaligen Wahlkreis des Grünen Hans-Christian Ströbele besonders symbolträchtig für die Linken gewesen wäre. Meiser zog aber trotzdem über die Landesliste in den Bundestag ein.

Erstmals ein Bundestagsmandat errungen haben der Bundesgeschäftsführer, Matthias Höhn, und der Parteivorsitzende der Linken, Bernd Riexinger, der somit zum ersten Mal in einem Parlament sitzt. Aus seiner Heimat Baden-Württemberg neu im Parlament ist auch die 36-jährige Sozialarbeiterin Jessica Tatti.

Nicht mehr im Bundestag ist das außenpolitische Aushängeschild der Linken: Jan van Aken wollte nicht wieder antreten, nachdem er acht Jahre im Bundestag war. Die Politik verändere einen nicht zum Besseren, begründete der 56-Jährige seinen Entschluss und empfahl gleich, dass Abgeordnete generell nicht länger als zwei Legislaturperioden im Parlament bleiben sollten. "Leute kommen neu rein, sind noch Menschen, und nach einem halben Jahr sind einige nur noch Abgeordnete und glauben, sie seien was Besonderes", sagte er im taz-Interview. Der promovierte Biologe war vor seinem Mandat als Inspekteur für Biowaffen bei den Vereinten Nationen im Einsatz. Als Abgeordneter avancierte van Aken mit seiner scharfen Kritik an deutschen Rüstungsexporten zur Reizfigur der Konservativen.

Beste Chancen auf das Amt als netzpolitische Sprecherin dürfte eine Ex-Piratin haben

Dass Politik einen Menschen auf Dauer verforme, sagt auch van Akens Nachfolger als Hamburger Spitzenkandidat der Linken. Diesen Punkt sieht Fabio de Masi bei sich aber noch nicht erreicht. Zwar ist er ein Neuling im Bundestag, doch der 37-jährige de Masi hat drei Jahre Erfahrung als Abgeordneter im EU-Parlament. In Brüssel schärfte der studierte Volkswirt in Untersuchungsausschüssen sein Profil als Kämpfer gegen Geldwäsche und Steuerflucht großer Unternehmen. Das europäische Umfeld war für den Sohn eines italienischen Gewerkschafters und einer deutschen Sprachlehrerin keine wirkliche Umstellung. Nun wechselt de Masi nach Berlin, wo er vor Jahren sowohl als Toilettenputzer eines Techno-Clubs wie auch als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Sahra Wagenknecht arbeitete. Durch den Wechsel in den Bundestag will er seine wirtschaftspolitische Agenda voranbringen: "Wer die europäische Zusammenarbeit retten will, der muss die Verhältnisse in Deutschland ändern", sagt er.

Nicht mehr im Bundestag vertreten ist die 44-jährige Juristin und einstige Vize-Parteichefin Halina Wawzyniak. Frustriert vom "erstarrten Parlamentarismus", in dem Anträge der Opposition aus Prinzip abgelehnt würden, trat sie nicht mehr an. Auch mit ihrer Partei lag sie immer wieder über Kreuz. Ihr "Tiefpunkt" war erreicht, als 2014 ein internes Strategiepapier bekannt wurde, in dem sie als unerwünschte Person der "Resterampe" zugeordnet wurde. Zuletzt war Wawzyniak netzpolitische Sprecherin ihrer Fraktion.

Beste Chancen auf diese Funktion dürfte die Bradenburgerin und Internetaktivistin Anke Domscheit-Berg haben. Die studierte Betriebswirtschaftlerin und Textilkünstlerin arbeitete jahrelang als Beraterin zur Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung und für Unternehmen. Bei den Piraten glaubte sie Mitstreiter für ein "Upgrade für unsere Demokratie" gefunden zu haben, verließ aber später enttäuscht die sich selbst zerfleischende Netzpartei. Für die Linken trat sie als parteilose Kandidatin an. Neben der Digitalisierung ist das zweite Herzensthema von Domscheit-Berg die Förderung von Frauen in Führungspositionen. Bei der Linken-Fraktion besteht da vergleichsweise wenig Handlungsbedarf. Die Frauen sind wie auch schon in den vergangenen Jahren in der Überzahl.

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