Bundestagswahl:Die AfD hat von der Geringschätzung für den Osten profitiert

Die neuen Länder werden im Westen gern als etwas Kurioses betrachtet und verurteilt. Woran es fehlt, ist eine wahrhaftige Auseinandersetzung mit ihren Realitäten. Die Rechtspopulisten wussten das für sich zu nutzen.

Kommentar von Cornelius Pollmer, Dresden

Wie das Wahlergebnis der AfD im Osten Deutschlands ausfiel, das verdient gesonderte Beachtung, insbesondere in seinen Details. 22,5 Prozent erreichte die Partei in den neuen Ländern, sie wurde dort mit Abstand zweitstärkste Kraft. In Sachsen überholte die AfD bei den Zweitstimmen gar die CDU und gewann zudem drei Direktmandate. Sie wurde häufiger von Männern gewählt als von Frauen, mehr von Jüngeren als von Älteren, stärker von Arbeitslosen und Arbeitern als von Angestellten, Selbständigen, Beamten. Fast zwei Drittel ihrer Wähler gaben an, die Partei aus Protest gewählt zu haben und nicht aus Zutrauen.

Eine sehr deutliche Mehrheit auch der Ost-Wähler hat jedoch etwas anderes gewählt als die AfD. Auch für diese Wähler kommt deren überdurchschnittliches Ergebnis in seiner Deutlichkeit gewiss überraschend - nicht aber in seiner Tendenz. Es ist die eine Frage, wie sich eine derart massive Verschiebung erklären lässt. Die andere, noch wichtigere lautet, was politisch daraus folgt. Die gesellschaftliche Grundlage, auf der die AfD so deutlich zulegen konnte, ist im Osten oft beschrieben und beklagt, in der Bundesöffentlichkeit jedoch nie wirklich betrachtet worden.

Ostdeutsches Lebensgefühl: Erfahrung von Sorge und Verlust

Beginnen lässt sich die Suche nach Ursachen bei dem noch heute wirkenden Gift der DDR. Institutionenferne, Parteien- und Politikerskepsis, ein im Vergleich zum Westen viel geringerer Organisationsgrad in Verbänden, Vereinen, Kirchen - all das hat seinen Ursprung weit in der Vergangenheit, wird jedoch noch heute in Familien an Kinder und Kindeskinder weitergegeben. Fortsetzen lässt sich die Reihe bei der Wiedervereinigung, die - da geht es ja schon los - ein Beitritt zum Westen war, und zwar zu dessen Bedingungen. Warum es keinen anderen Weg gegeben habe, als fast die gesamte Wirtschaft der DDR ohne Anhörung ihrer Bürger zügigst abzuwickeln, ist oft genug öffentlich begründet worden. Fast nie gab es Interesse an und Aufmerksamkeit für biografisch teilweise verheerende Brüche, die damit einhergingen.

Die Betrachtung soll vorerst enden bei den vielen weiteren Zurücksetzungen, die im Osten sehr genau wahrgenommen wurden, in den Diskursen des Landes allerdings selten eine Rolle spielen: Große Unternehmen und Gehälter, relevante Ämter und Gerichte kamen kaum oder gar nicht in den Osten, West-Führungskräfte noch für untere Ebenen von Firmen und Ministerien hingegen reichlich. Nicht darauf beschränkt ist die anhaltende, hässliche Geringschätzung des Ostens und seiner Bürger in der Öffentlichkeit, sie reicht in fast alle Belange des Lebens. Daraus erwachsen ist über Jahre das Gefühl, eher geduldet zu sein als gleichberechtigt.

Ohne diesen Hintergrund lässt sich nicht verstehen, was am Sonntag passiert ist und was daraus folgt. Die im Osten traditionell schwächeren Milieus lösen sich weiter auf. Die gesamtdeutschen Spitzenwerte von Arbeitsmarkt bis Wirtschaftskraft entsprechen dort vielerorts nicht der persönlichen Wahrnehmung. Das Versprechen nach mehr sozialer Gerechtigkeit war keines, dem eine überwältigende Mehrheit noch Glauben geschenkt hätte. Das kann, wer möchte, undankbar oder maßlos finden. Davon aber wird sich diese Wahrnehmung unter Garantie nicht ändern.

Es fehlt an Daseinsvorsorge

Der Osten wird im Westen gern als etwas Kurioses betrachtet, er wird gerne be-, häufig auch verurteilt. Woran es noch immer gefehlt hat, ist eine wahrhaftige Auseinandersetzung mit seinen Realitäten. Zu diesen gehören neben der Anerkennung aller unbestreitbaren Fortschritte auch Erfahrungen von Scheitern und Sorge. Gerade im sogenannten ländlichen Raum ist der Staat aus der Fläche verschwunden, oft sind es auch gesellschaftliches und unternehmerisches Leben. Daseinsvorsorge, das Erlebnis von Politik als handlungsstarkem Advokaten der Bevölkerung, grundsätzlicher Zukunftsglaube - daran fehlt es überall. Darum zu kämpfen, wird zuvorderst Aufgabe ostdeutscher Bürger und ostdeutscher Politik sein. Ohne Anerkennung und Unterstützung aus dem ganzen Land aber wird dies nicht gelingen.

Die AfD hat in dieser Situation politisches Fremdkapital eingesammelt - dass selbst ihre verbale Überhärte, ihr teilweise völkisches Auftreten dies mitnichten verminderte, ist mindestens beunruhigend. Wenn Frauke Petry nun nicht jener Fraktion beitritt, für die auch sie angetreten ist, liegt darin oberflächlich gesehen sogar eine Chance für das große Wählerpotenzial der AfD im Osten. Eine gemäßigtere Variante dieser Partei könnte manchen Wahlberechtigten eine harte, aber aushaltbare Heimat auf Zeit geben. Allerdings hat Petry vor allem aus persönlichen Machtmotiven gehandelt - und das wird den Verwerfungen, welche dem AfD-Ergebnis zugrunde liegen, nicht gerecht.

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