Terror-Prozess:Abu Walaa gab den Segen für den "großen Bums"

Prozess gegen Abu Walaa

Zentrale Figur des IS in Deutschland: Abu Walaa, zu sehen im Screenshot eines undatierten Videos.

(Foto: dpa)
  • In Celle beginnt heute der Prozess gegen Abu Walaa und vier weitere Angeklagte.
  • Der Islamisten-Prediger soll unter anderem mehrere Jugendliche nach Syrien und in den Irak geschleust haben. Auch spätere Attentäter hörten ihm zu.
  • Die Bundesanwaltschaft hält ihn für den wichtigsten Repräsentanten des sogenannten Islamischen Staats in Deutschlands.

Von Lena Kampf, Berlin

Spätestens im August 2016, nachdem die Polizei seine Wohnung durchsucht hatte, war der Islamisten-Prediger Abu Walaa sicher: Es muss einen Spitzel in den eigenen Reihen geben, einen "abtrünnigen Spion". Einen Mann namens "Murat" vermutete er, aus seiner Sicht ein Ungläubiger, der hetzt und angeblich Lügen bei den Behörden verbreitet; einer, den es zu vernichten gilt. So kündigte der Prediger es in seinen Chats an. Es gebe "200 Euro für jeden Stich", kommentierte einer.

Den Prediger Abu Walaa, der mit bürgerlichem Namen Ahmad Abdulaziz A. heißt und 2001 als Flüchtling aus dem Irak nach Deutschland kam, hält die Bundesanwaltschaft für den wichtigsten Deutschland-Repräsentanten des sogenannten Islamischen Staats (IS). Ihm und vier weiteren Angeklagten wird ab Dienstag in Celle vor dem Oberlandesgericht der Prozess gemacht. A. wird Mitgliedschaft in und Unterstützung einer ausländischen Terrorvereinigung vorgeworfen, außerdem Terrorfinanzierung und Beihilfe zur Vorbereitung einer staatsgefährdenden Straftat.

Mehrere Jugendliche soll Abu Walaa nach Syrien und in den Irak geschleust haben. Auch spätere Attentäter hörten Abu Walaa zu: der Tunesier Anis Amri, der am 19. Dezember 2016 mit einem Lkw in den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz fuhr und zwölf Menschen tötete, und einige der verurteilten Attentäter von Essen, die im April 2016 eine Bombe vor einen Sikh-Tempel platzierten und dabei den Gemeindevorstand schwer verletzten.

Grundlage der Anklage gegen Abu Walaa: Die Angaben der VP01, einer Vertrauensperson, als die sie bei den Sicherheitsbehörden geführt wurde. "Murat" bewegte sich tatsächlich über Monate in den Kreisen des Predigers in Hildesheim, Duisburg und Dortmund. Im Prozess in Celle wird die VP01 selbst voraussichtlich nicht aussagen, er steht unter besonderem Schutz der Polizei.

Gestützt werden die Aussagen des Informanten vor allem von einem Syrien-Rückkehrer, Anil O., den die Süddeutsche Zeitung, WDR und NDR vor seiner Einreise nach Deutschland in der Türkei interviewen konnten und der nun Kronzeuge geworden ist.

Zentrum des Netzwerks war eine Moschee in Hildesheim, wo sich Abu Walaa eingemietet hatte. Dort hielt er seine Predigten stets vor Hunderten Leuten, sie verbreiteten sich im Internet über Chats und eine eigene App. Dabei gab es laut Erkenntnissen der Ermittler eine klare Arbeitsteilung: Die Angeklagten Hasan C. und Boban S. teilten sich die Regionalgruppen Dortmund und Duisburg auf, sie waren für die Rekrutierung von "Schülern" zuständig, Abu Walaa war der überregionale Kopf.

Ideologisch vorbereitet, körperlich gestählt

Ihm sollten die Schüler zugeführt werden, für einen "letzten Feinschliff", bevor ihnen logistische und finanzielle Hilfe für die Ausreise zuteil wurde. Es war Abu Walaa, der seinen Segen geben musste für den "großen Bums". Sowohl Anil O. als auch "Murat" berichteten den Behörden, dass der Unterricht gezielt an der Ideologie des IS ausgerichtet war. Die Lehrer lasen oft aus dem "Dschihad-Buch".

Die Schüler wurden nicht nur ideologisch vorbereitet, sondern sollten sich auch fit halten, die Lehrer organisierten lange Wanderungen zur körperlichen Stählung. Der Angeklagte Mahmoud O. sei dann für die Finanzierung der Ausreise zuständig gewesen, auf sein Geheiß wurden teure Geräte auf Rechnung gekauft, nie bezahlt und weiter verkauft. Den "Auserwählten" wurden außerdem praktische Tipps für die Ausreise gegeben: Sie sollen sich den Bart abschneiden und über Belgien reisen.

Auch um die Ausreise des späteren Berlin-Attentäters Anis Amri soll es gegangen sein. Doch dazu kam es nicht. Stattdessen, so berichtet VP01, soll Amri dann mehrmals davon gesprochen haben, Anschläge in Deutschland begehen zu wollen. Hasan C. und Boban S. nahmen den Tunesier zu dieser Zeit bei sich auf. Laut VP01 sprachen die Lehrer begeistert von den Anschlägen in Paris und Brüssel. Auch Deutschland, sollen sie gesagt haben, sei ein "Land des Krieges".

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