Amtliches Endergebnis:92 Prozent stimmen für Unabhängigkeit Kurdistans

Amtliches Endergebnis: Schon am Montagabend feierten die Menschen in Iraks Kurdengebieten ausgelassen auf der Straße.

Schon am Montagabend feierten die Menschen in Iraks Kurdengebieten ausgelassen auf der Straße.

(Foto: AFP)
  • Mehr als 92 Prozent der Wähler haben für eine Abspaltung Kurdistans vom Irak gestimmt. Das teilte die Wahlkommission in Erbil.
  • Das Ergebnis bedeutet allerdings nicht die sofortige Loslösung vom Irak. Zunächst stehen umfangreiche Trennungsverhandlungen an.
  • Iraks Ministerpräsident Haidar al-Abadi will das Ergebnis des Referendums nicht anerkennen.

Schon am Montagabend feierten die Menschen in Iraks Kurdengebieten ausgelassen auf der Straße. Autos fuhren hupend durch die kurdische Regionalhauptstadt Erbil, jubelnde Menschen lehnten sich bei voller Fahrt waghalsig aus Fenstern und geöffneten Schiebedächern, um rot-weiß-grüne kurdische Fahnen zu schwenken. Andere tanzten zu lauter Musik auf den Bürgersteigen, Feuerwerk stieg auf, Freudenschüsse waren zu hören. Dabei war das Ergebnis des umstrittenen Unabhängigkeitsreferendums da noch gar nicht bekannt.

Jetzt hat die Wahlkommission in Erbil das offizielle Endergebnis bekannt gegegeben: Mehr als 92 Prozent haben für eine Abspaltung Kurdistans vom Irak gestimmt. Abstimmungsberechtigt waren knapp 3,3 Millionen Menschen in den von der Zentralregierung in Bagdad anerkannten Autonomiegebieten und weitere 1,9 Millionen in Gebieten, die Kurden kontrollieren, die aber mit Bagdad umstritten sind. Bereits erste Trendmeldungen hatte Jubelstürme entfacht.

Mit der Unabhängigkeit würde sich für die Kurden ein gut hundert Jahre alter Traum erfüllen, der von Generation zu Generation weiterlebt. Die Psychologie dahinter machte Barzani am Sonntag an seinem Amtssitz vor Journalisten noch einmal deutlich. Im Kern lautet sie: Wir haben lange genug unter der Zentralregierung in Bagdad gelitten, jetzt haben wir das Recht auf Unabhängigkeit. Barzani erinnerte dabei an die Verbrechen an den Kurden unter Ex-Diktator Saddam Hussein in den 1980er Jahren: die Anfal-Kampagne, der Zehntausende zum Opfer fielen, und der Giftgasangriff auf die Stadt Halabdscha. Traumatische Erlebnisse, die sich in das kollektive Gedächtnis der Kurden eingebrannt haben.

Einige an der Macht in Bagdad hätten heute noch dieselbe Mentalität wie damals, sagte Barzani: "Nur durch Unabhängigkeit können wir unsere Zukunft sichern." Der Kurden-Präsident hat das Referendum vorangetrieben, auch weil er innenpolitisch unter Druck steht. Die Hoffnungen der Kurden sind jetzt gewaltig - doch genauso groß könnte die Enttäuschung werden. Denn wenig spricht dafür, dass die Unabhängigkeit, die Barzani durch Verhandlungen mit Bagdad erreichen will, schnell kommen wird.

Iraks Ministerpräsident Haidar al-Abadi will das Ergebnis des Referendums nicht anerkennen. Sogar Kriegsrhetorik ist aus der irakischen Hauptstadt zu hören. Damit wächst auch die Sorge vor einem neuen militärischen Konflikt in dem Land. Das US-Außenministerium erklärte, es sei "tief enttäuscht" von dem Referendum. Washington befürchtet, der Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat könnte geschwächt werden. An diesem wollen sich die Kurden weiter beteiligen. Und tatsächlich gibt es weiterhin Absprachen zwischen der irakischen Armee und den kurdischen Peschmerga-Kämpfern.

Ankara und Bagdad lehnen einen eigenen Kurdenstaat ab

Besonders scharfer Widerstand kommt zudem aus der Türkei, obwohl der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und Barzani eigentlich enge Verbindungen pflegten. Erst im Frühjahr besuchte der Kurden-Präsident die Türkei, am Istanbuler Atatürk-Flughafen hissten die Gastgeber dafür eigens die Kurden-Flagge. Umso schwerer wiegt nun Erdogans Ärger darüber, dass sich Barzani nicht vom Referendum abbringen ließ - und umso lauter ist das Säbelrasseln aus Ankara. Die Türkei unterhält zwar neben politischen auch enge wirtschaftliche Beziehungen zur Kurdenregion im Nordirak. Einen eigenen Kurdenstaat lehnt Ankara aber ab, weil er Unabhängigkeitsbestrebungen der kurdischen Minderheit in der Türkei befeuern würde.

Außerdem versucht Ankara schon seit Längerem, Versuche der Kurden in Nordsyrien zu unterlaufen, dort in den Wirren des Bürgerkrieges mehr Autonomie zu bekommen. Im August marschierte das türkische Militär deswegen im Nachbarland ein. Nach diesem Vorbild droht Erdogan nun auch mit einer Intervention im Nordirak. "Wir können eines Nachts ganz plötzlich kommen", warnte er. Türkische und irakische Truppen begannen zur Machtdemonstration ein gemeinsames Militärmanöver.

Noch deutlich mehr Wirkung könnten wirtschaftliche Sanktionen zeigen - schließlich exportieren die wirtschaftlich ohnehin geschwächten Kurdengebiete ihr Öl über die Türkei. "Sobald wir das Ventil abdrehen, ist es auch damit vorbei", warnte Erdogan die Kurden.

Doch Kurden-Präsident Barzani gibt sich dennoch gelassen: "Wirtschaftliche Sanktionen sind negativ für beide Seiten", sagte er. Berlin wird die Entwicklung genau beobachten, denn Deutschland unterstützt die kurdischen Peschmerga-Kämpfer mit Waffen, Ausrüstung und Ausbildung. Schon beim Start der Mission 2014 gab es Befürchtungen, diese Hilfe könnte sich irgendwann einmal gegen die Zentralregierung in Bagdad richten. Barzani sagt, er erwarte keine Zusammenstöße mit der irakischen Armee. Er macht aber auch klar: Die Peschmerga-Kämpfer seien bereit, auf jeden Angriff zu reagieren.

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