"Maischberger" nach der Bundestagswahl:"Schulz war von Anfang an die falsche Wahl"

Maischberger, ARD, Frauke Petry (vormals AfD) und Gregor Gysi (Linke)

Vorwurf Wählerbetrug: Gregor Gysi attackierte Ex-AfD-lerin Frauke Petry bei Maischberger scharf.

(Foto: WDR/Max Kohr)

Mit Frauke Petry hat die "Maischberger"-Runde einen Gast, der viel zur AfD sagen könnte. Doch die Aussagen eines alten SPD-Genossen über seine Partei sind deutlich brisanter.

TV-Kritik von Paul Katzenberger

Ausgerechnet die große Gewinnerin dieser Wahl fehlte bei Sandra Maischberger. Die Alternative für Deutschland, kurz AfD, die den Fernsehmachern vor der Wahl das Geschäft erleichtert hatte. Zynisch? Ja. Aber eben auch wahr: Skandalträchtige Aussagen und Auftritte bringen Quote, jüngstes Beispiel war der vorzeitige - und vermutlich: inszenierte - Abgang von Spitzenkandidatin Alice Weidel im ZDF-Vor-Wahl-Talk Wie geht's, Deutschland. Zugegeben, ein bisschen AfD und ein bisschen Skandal hatte auch Sandra Maischberger im Studio: Noch-Parteichefin Frauke Petry saß in der Runde - allerdings kaum noch als AfD-Vertreterin. Sie hatte am Vortag ihren Parteiaustritt angekündigt und außerdem mitgeteilt, der Fraktion ihrer bisherigen Partei im neuen Bundestag nicht mehr angehören zu wollen.

Die Wahl am vergangenen Sonntag hat das politische Gelände in Deutschland massiv umgepflügt. Allein schon, dass dem Parlament künftig sechs Fraktionen angehören werden statt der bisherigen vier, bedeutet eine Zäsur. Maischberger griff die Vorgabe am Mittwochabend in der ARD gerne auf. In ihre Talkrunde hatte sie neben dem Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo Vertreter nahezu aller Parteien geladen, die künftig im Bundestag vertreten sein werden. Es kamen neben Ex-AfD-lerin Petry Klaus von Dohnanyi für die SPD, Gregor Gysi für die Linke und Renate Künast für die Grünen. Markus Söder war für die CSU aus München zugeschaltet.

Für Maischberger ergab sich dadurch eine Konstellation, die Erkenntnisgewinn versprach. Zumindest, wenn sie einen Ratschlag von Gerhard Schröder befolgte hätte. Der Altbundeskanzler hatte kurz vorher auf dem Versicherungstag in Berlin davor gewarnt, die AfD zu dämonisieren. Er sei überzeugt, dass die neuen Abgeordneten im Reichstag mit guten Argumenten zu stellen seien, sagte er bei seiner Rede vor den Verbandsvertretern. Und wer sollte offener für eine möglichst sachliche Argumentation über die Positionen der neuen Kraft im Bundestag sein, als eine Noch-Parteichefin, die ihren Rückzug mit der Radikalisierung der AfD begründet hatte - und der es "vor allem um Themen" geht, wie sie bei Maischberger noch einmal ausdrücklich beteuerte?

Wie es die Wutbürger sehen, ist bekannt

Doch in der Hinsicht wurde der Zuschauer nicht sehr viel schlauer. Petry versuchte sich an Antworten auf die Frage, die die Sendung im Titel stellte: "Wutwahl. Haben die Volksparteien ausgedient?" Doch sie benannte wenig Neues, sprach etwa die Arroganz der etablierten Parteien an, darüber zu richten, wer Demokrat sei und wer nicht. "Es gibt keine undemokratischen Parteien, wenn das nicht vom Verfassungsgericht festgestellt wird."

Man muss nicht unbedingt Wutbürger sein, um diese Meinung mit Petry zu teilen, doch dass es die Wutbürger so sehen, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Auch ihre Erkenntnis, dass die politische Kontroverse in den vergangenen Jahren "an sich nicht mehr gewollt worden" sei, war nicht revolutionär. SPD-Frontmann Martin Schulz hatte der Kanzlerin während des gesamten Wahlkampfes vorgeworfen, dass sie sich einer Debatte verweigere.

Berechtigter, aber irrelevanter Vorwurf

Eine konkrete Debatte über die Angemessenheit der von der AfD aufgeworfenen Themen fiel in dieser Maischberger-Sendung weitgehend aus, obwohl doch fast das gesamte politische Spektrum vertreten war. Das lag nicht nur an Petry oder der Moderatorin. Sondern auch daran, dass mancher Diskutant auf alte Reflexe nicht verzichten wollte. Gregor Gysi etwa versteifte sich doch sehr auf den Vorwurf, dass Petry ihre Wähler belogen habe. Weil sie ihre Entscheidung, die AfD-Fraktion zu verlassen, erst nach der Wahl mitgeteilt habe: "Sie haben den Wählerinnen und Wählern bei ihrer Erstkandidatur nicht gesagt: 'Ich gehe natürlich nicht in die Fraktion und ich trete aus der Partei aus.'"

So recht Gysi in der Sache dabei wohl hatte (Petrys Entscheidung war mit großer Sicherheit vorher gefallen), so irrelevant war seine Vorhaltung. Denn sie wird in wenigen Tagen keine Rolle mehr spielen. Dann geht es im politischen Betrieb weiter, und Petrys berechnendes Kalkül war nicht so frevelhaft, dass es ihr lange vorgehalten werden wird. Insofern war die Debatte, die der Präsident der Europäischen Linken aufwarf, nicht viel mehr als verlorene Sendezeit.

Doch das passte zu dieser Sendung, die mit dem Zeitbudget insgesamt sehr verschwenderisch umging. Denn Sandra Maischberger hatte sich einen Parforceritt durch eine Vielzahl an Themen vorgenommen - mit dem Ergebnis, dass vieles kurz gestreift wurde, das Aha-Erlebnis aber jeweils ausblieb.

Hätte jemand ernsthaft eine ehrliche Antwort erwartet?

Unter anderem ging es um die persönliche Befindlichkeit von Renate Künast in der Wahlnacht aufgrund ihres unsicheren Listenplatzes, die semantische Bedeutung des Begriffes "Obergrenze" in der Flüchtlingsfrage und die Frage, ob Markus Söder im November aufgrund des bei dieser Wahl verhältnismäßig schlechten CSU-Wahlergebnisses Horst Seehofer als bayerischen Ministerpräsidenten nun endgültig entmachten wird. Hätte jemand auf Erkundigungen dieser Art ernsthaft eine ehrliche Antwort erwartet? Wohl kaum - und so stellt sich schon die Frage, warum diese Themen so viel Raum bekamen.

Vielleicht, weil ja dann doch einer mal überraschend ehrlich antwortet. Und tatsächlich gab es in dieser Sendung einen unerwarteten Moment der Offenheit: Als das SPD-Mitglied Klaus von Dohnanyi seinem Parteifreund Martin Schulz unverblümt geigte, dass dieser als SPD-Vorsitzender eine Fehlbesetzung sei: "Der Herr Schulz war von Anfang an die falsche Wahl, der ist der Sache nicht gewachsen, der war schon als Parlamentspräsident in Europa ein Mann, der die Wahrheiten nicht erkannt hat."

Für so viel souveräne Meinung muss man vermutlich 89 Jahre alt werden.

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