Internetvideo der Woche:Rache der Trenchcoat-Leiche

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Ganz großer Spaß: Was dachten Rick Astley und George Michael wirklich, als sie in den 1980ern peinliche Videos drehten? Satirische YouTube-Clips verraten es mit genialem Witz.

C. Kortmann

Selten bei einer so lustigen Beerdigung gewesen: Einst gab es diese Kunstsparte namens Musikvideo, die Mitte der 1990er auf ihrem Höhepunkt war, dann aber blitzschnell vergreiste. Was bislang fehlte, war ein künstlerisches Zeremoniell, das unter der Würdigung aller Verdienste einen Deckel auf das Genre setzt und es dann wie bei einer Weltraum-Bestattung ins schwerelose Vakuum der kulturellen Vergesslichkeit entlässt.

Nun hat der User DustoMacNeato das Literal, also wörtliche, Music Video erfunden und versetzt dem Musikclip den ironischen Todesstoß: In Literal Videos werden Musikvideos mit neuem Gesang unterlegt, in dem geschildert wird, was im Video zu sehen ist. So spröde das mit Worten zu beschreiben ist, so verblüffend ist die Wirkung, wenn man es sieht.

Alles begann mit DustoMacNeatos wörtlicher Version von a-has "Take On Me". Wenn man den Originaltext nicht parat hat, bemerkt man die Änderungen nicht sofort. Wer ihn aber kennt, hört ihn mit. Spätestens als der Regieanweisungs-Refrain "Close Up Eyes" erklingt, versteht jeder das Prinzip. Dusto singt, dass im Clip "alles super 80ies" und a-ha-Sänger Morten Harket "gezeichnet und ungezeichnet hübsch" sei. Auch der Staffage gibt er eine Stimme, und als die Kamera die Bandmitglieder zeigt, ruft er pathetisch: "Band Montage!"

In Musikvideos werden Songs sichtbar gemacht, Literal Videos überprüfen durch die Rückübersetzung, ob es sich um platte Bebilderung handelt oder ein Mehrwert entstanden ist. Jedes "wörtliche" Wort ist Interpretation, wie die Bilder zuvor Interpretation des Ausgangstextes waren. Wenn nun die Regieanweisungen mit der Selbstbeschreibung des unmotiviert herumstehenden Künstlers ineinanderfließen, werden Mängel der Inszenierung und ihre historische Ästhetik vorgeführt.

Als Rick Astley 1987 solo mit der Single "Never Gonna Give You Up" debütierte, wurde dem frisch vom Tee-Kellner zum Popstar beförderten Künstler nur ein schlichtes Video spendiert. Doch keinem anderen Kunstwerk wurde im Netz größere ironische Würdigung zuteil.

Beim YouTube-Scherz "Rickrolling" wurde viele Millionen Mal unter Ankündigung eines vorgeblich spektakulären Inhalts auf dieses Video verlinkt. Und bei den MTV Europe Music Awards 2008 wurde Astley in einer Internetabstimmung gar zum "Best Act Ever" gewählt.

Augenfällig, dass "Never Gonna Give You Up" 21 Jahre lang stumm um eine wörtliche Version bettelte, bis der User copyrighthater, inspiriert von DustoMacNeato, zur Tat schritt. Mit satirischer Schärfe demontiert sich Astley von der ersten Zeile an selbst, besingt seinen "gruseligen Trenchcoat" und seinen Tanzstil, der an "Michael J. Fox mit Parkinson" erinnert.

Die filmische Gestaltung, der wiederholte Schnitt auf Astleys Schatten, wird zum Running Gag, wenn er dies bewusst benennt. Mit Bezügen in die Gegenwart distanziert er sich von sich selbst, betrachtet seine Wahrnehmung von außen: Klarer Fall, der "Barkeeper braucht Ritalin", und vielleicht rickrollte sich Rick Astley in "Never Gonna Give You Up" sogar selbst.

Denn Rickrolling ist zur visuellen Chiffre für nicht wahrhaftiges Tun geworden: Je größer der Kontrast zwischen dem angekündigten gewichtigen Inhalt und Astleys Nummer, desto größer die Wirkung. So ist es kein Zufall, dass der User Schraes das Literal Music Video eines Künstlers hergestellt hat, der sich sein halbes Leben lang selbst rickrollen musste: In George Michaels "Careless Whisper" wird das öffentliche Theaterspielen im Namen einer Mainstream-Karriere in einem Song gebündelt.

George Michael hielt seine Homosexualität vor dem großen Publikum so lange geheim, bis es 1998 nicht mehr anders ging, weil er in Los Angeles wegen "unzüchtigen Benehmens" auf einer öffentlichen Toilette verhaftet worden und dies bekanntgeworden war. Natürlich muss niemand auf der Bühne denjenigen spielen, der er glaubt zu sein.

Doch der Clip "Careless Whisper" ist typisch für das Image des Frauentraums und Ladykillers, das für George Michael seit Wham!-Tagen aufgebaut wurde: Immer wieder muss er die Frau küssen und dabei lächeln, am Ende ist er froh, dass wenigstens der Safer-Sex-Schirm seiner Kappe die Tante auf Abstand hält.

In der wörtlichen Version von "Careless Whisper" wird das Versteckspiel mit offenen Worten als unwürdiges Szenario entblößt. Der Hohn trifft nicht George Michael, sondern Musikindustrie und Publikum, derentwegen sich der Sänger nicht zum Schwulsein bekannte und lieber Gerüchte über heterosexuelle Affären zuließ. Ist die Meute da draußen so mächtig, fragt der Clip pointiert, dass sich jemand diesen Mummenschanz so lange antun muss?

Literal Videos sind eben Bestattungen mit bestem schwarzen Humor: Man lacht mit dem zu Beerdigenden, nicht über ihn. Danach schaut man auch die Originale wieder gerne an und sieht die Videohistorie mit anderen Augen: Begann die Geschichte der wörtlichen Videos nicht schon viel früher?

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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