Besetzung der Berliner Volksbühne:Geht ab

Mit einem Polizeieinsatz wurde das Theater am Donnerstag geräumt. Worum ging es den Aktivisten eigentlich - ums Theater oder um den Kampf gegen die "Leistungslüge"?

Von Mounia Meiborg

Polizei in besetzter Berliner Volksbühne

Am siebten Tag der Volksbühnen-Besetzung schalteten die Theaterleitung und der Kultursenat die Polizei ein.

(Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Die Berliner Volksbühne ist nach stundenlangem Hin und Her geräumt worden. Lange hieß es, die Aktivisten wollten das Haus freiwillig verlassen. Bis zuletzt versuchten die Leitung der Volksbühne und der Berliner Kultursenat offenbar, die unschönen Bilder zu vermeiden, die entstehen, wenn Polizisten Menschen aus einem Theater tragen.

Am frühen Donnerstagmorgen, gegen etwa acht Uhr, betraten die ersten Polizisten das Haus am Rosa-Luxemburg-Platz und weckten die schlafenden Besetzer. "Die waren ganz lieb zu uns, lieber als Chris Dercon", sagt einer von ihnen, ein Mann in einem silbernen Glitzerkleid, mit weißem Styroporturban auf dem Kopf.

Um zehn Uhr fahren Mannschaftswagen der Polizei vor. Ein Polizist postiert sich an der Tür des Seiteneingangs. Niemand kommt mehr hinein. Die Polizisten errichten eine Absperrung, um Schaulustige und Unterstützer fernzuhalten. Mit einer Räumung hatten die Aktivisten nicht gerechnet. Einige der Organisatoren, die zu Hause übernachtet haben, stehen draußen am Zaun. Etwa 40 Menschen befinden sich zu diesem Zeitpunkt im Gebäude.

"Dir geht es doch genauso auf den Sack, dass die Mieten steigen, oder?"

Am Vorabend hatten die Besetzer ein Angebot diskutiert, das der Berliner Kultursenat und die Volksbühnen-Leitung ihnen gemacht hatte. Sie sollten den Grünen Salon, eine kleine Spielstätte, in der vor allem Konzerte stattfinden, und den Pavillon, der vor dem Haus liegt, für ihre Zwecke nutzen dürfen. Techno-Musik sei allerdings verboten. Was bei diesem Plenum genau passiert ist, darüber gibt es unterschiedliche Angaben. Sarah Waterfeld, eine der Sprecherinnen der Gruppe, sagt, das Angebot sei von den Aktivisten keinesfalls abgelehnt worden. Nach dreistündiger Diskussion sei man zu erschöpft gewesen, um abzustimmen und habe die Entscheidung vertagt. Sie habe mit einer Einigung am Donnerstag gerechnet. Daniel Bartsch, der Sprecher von Kultursenator Klaus Lederer, sagt dagegen, das "gute und großzügige" Angebot sei abgelehnt worden. Nach 36 Stunden Bedenkzeit habe man eine klare Antwort verlangt.

In den vergangenen Tagen war der politische Druck auf den linken Kultursenator gestiegen. FDP, CDU und AfD im Berliner Abgeordnetenhaus kritisierten scharf, dass das Gebäude nicht früher geräumt wurde. Die FDP richtete sogar eigens eine Homepage namens "Ist die Volksbühne noch besetzt?" ein, auf der einer ihrer zentralen Wahlkampfsprüche zu lesen ist: "Die Sicherheit muss besser organisiert sein als das Verbrechen."

Gegen elf Uhr stellt Chris Dercon, der als Intendant der Volksbühne das Hausrecht hat, ein Ultimatum: Wer das Haus nicht verlässt, bekommt eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs. Ein paar Besetzer gehen daraufhin. Einer kommt mit einer Kaffeekanne in der Hand. Er habe schon so viele Hausbesetzungen hinter sich, er brauche jetzt nicht noch eine Anzeige. Andere laden Equipment in einen Transporter: Decken, Schlafsäcke, Drucker, eine Discokugel.

Victor Aouizerat bleibt. Er steht im Türrahmen, raucht und versucht, mit einem Polizisten ins Gespräch zu kommen. "Dir geht es doch genauso auf den Sack, dass die Mieten steigen, oder?" Aouizerat ist einer der führenden Köpfe der Besetzung. Er studiert Sozialwissenschaften und war im Landesvorstand der Piratenpartei, wo er sich für städtische Freiräume wie das Tempelhofer Feld eingesetzt hat. Jetzt spricht er, im braunen Jackett mit passender Weste, wütende Sätze in die Mikrofone und Kameras. Von Asymmetrie und "Leistungslüge" ist die Rede, von neuen Formen der Beteiligung und der Vertreibung durch Gentrifizierung, die mit einer Zwangsumsiedlung vergleichbar sei. Ute, eine ältere Besetzerin mit roten Rastazöpfen, unterbricht ihn: "Lasst uns erst mal die alte Volksbühne retten statt die ganze Welt!"

Am Zaun stehen Max Pitegoff und Calla Henkel. Sie gehören zur neuen Volksbühne, sie sind ebenso jung wie die Besetzer, und sie haben vor ein paar Jahren schon gemacht, was diese jetzt lautstark fordern: sich einen eigenen Raum erobert. Im Jahr 2013 gründeten sie in einem Kreuzberger Hinterhof das New Theatre, das zum Geheimtipp wurde. In Dercons Spielplan sollen sie den Grünen Salon übernehmen, der ihnen nun zwischenzeitlich weggenommen wurde. Jeden Tag waren sie da, um mit den Besetzern zu reden. Und um zu filmen - ihre Art, das Ganze zu verarbeiten.

Die Aktivisten verziehen sich vors Haus. Im Theater sollen nun die Proben weitergehen

Um kurz vor 14 Uhr räumt die Polizei das Gebäude. 21 Menschen befinden sich zu diesem Zeitpunkt noch darin, fünf werden hinausgetragen. Die Besetzer verziehen sich auf die Wiese vor dem Haus. Dort soll das Programm weitergehen. Chris Dercon äußert sich in einer Stellungnahme so: "Es fällt schwer, so eine Entscheidung mittragen zu müssen. Seit Freitag haben wir mit immer wieder wechselnden Vertretern der Besetzergruppe gesprochen. Wir konnten keinen gemeinsamen Weg finden. (...) Ich danke allen Mitarbeiter*innen und Künstler*innen der Volksbühne für ihre Geduld, Unterstützung und Solidarität."

Am Freitag soll der Probenbetrieb wieder aufgenommen werden. Noch offen ist, welche Schäden im denkmalgeschützten Haus entstanden sind. Die Rede ist von Graffiti-Tags im Treppenaufgang zum Roten Salon und einem zerstörten Klavier.

Ob das Ganze jetzt vorbei ist, bleibt abzuwarten. Ein Aktivist sagt grinsend: "Wir können ja jederzeit wiederkommen."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: