Contra:Theater besetzt man nicht

Die Aktion war eine Anmaßung und ein Akt der Kunst- und Demokratiefeindlichkeit. Das Theater muss ein geschützter Raum für Experimente bleiben.

Von Christine Dössel

Höchste Zeit, dass gehandelt wurde. Jeder Tag länger, an dem der Berliner Kultursenat und der Intendant Chris Dercon die Besetzer der Volksbühne in dem Haus hätten ungehindert schalten und walten lassen, hätte die Situation verfahrener und den Theaterbetrieb auf Dauer unmöglich gemacht. Es ist keine leer stehende Luxusimmobilie, die hier aus dem sicherlich berechtigten Protest gegen Gentrifizierung und kapitalistischen Ausverkauf besetzt wurde. Kein Feindgebiet. Sondern es handelt sich um ein Theater - eine öffentliche Institution, die dazu da ist, Kunst zu ermöglichen, künstlerischen Freiraum zu gewähren. Ein Ort, an dem - geschützt vor staatlichen Eingriffen oder sonstigen Übergriffen - experimentiert und laboriert und (natürlich!) Gesellschaft diskutiert werden kann. Ein Theater zu besetzen und die dort Arbeitenden zu behindern, verletzt diese Freiheit. Es ist ein kunstfeindlicher, letztlich auch demokratiefeindlicher Akt.

Mochte man die Besetzung am Anfang noch für eine kurzfristige Signal-Intervention jugendlich-anarchistischer Stadtaktivisten halten oder für eine dieser medienwirksamen Aktionen des "Zentrums für politische Schönheit", machten die Akteure mit immer unverfroreneren Ansagen in aller Großkotzigkeit klar: Sie wollen die Volksbühne tatsächlich langfristig übernehmen, den Intendanten absetzen und dort unter dem schwurbelrhetorischen Deckmäntelchen der Kunst ("transmediale Inszenierung", "partizipativer Open Space") ihr eigenes, wie sich schnell zeigte: total inhaltsleeres Programm machen. Auf dem Spielplan: Quo-vadis-Diskussionen mit Schreibwerkstatt und Kinderschminken. Ein Kunst-Putsch also, ins Werk gesetzt von weitgehend theaterfernen Leuten, die auch mal ein bisschen Christoph Schlingensief spielen und an dem "geilen" Ort Volksbühne ihre Chance 2017 ergreifen wollen. Als am Donnerstag die Polizei mit dem Hausherrn erschien, der sie freundlicherweise lange Zeit nicht einmal angezeigt, sondern, im Gegenteil, ihnen zwei Räume zum Bespielen angeboten hatte, twitterten die Aktivisten: "Es handelt sich um einen staatlichen Angriff auf eine laufende Performance!"

Etwaige Sympathien haben die "Staub zu Glitzer"-Leute auch bei vielen verspielt, die ähnlich wie sie den Kurator Chris Dercon für den falschen Mann an der Volksbühne halten und dessen (Einkaufs-)Pläne für das Haus kritisieren. Die wahre Gefahr, nämlich dass die Volksbühne als Repertoire- und Ensembletheater auf dem Spiel steht, ist den Besetzern schnurzegal. Sie selbst drohen, das Theater kaputt zu machen.

Kultursenator Klaus Lederer verdient in dieser Sache wegen tagelanger Drückebergerei die Gelbe Karte. Dercon dagegen hat nun eine Ausrede, falls ihm der Theaterstart im November missrät.

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