Kommentar:Ancelotti hat die Bayern-Kabine verloren

Neben taktischen Defiziten hat der in München entlassene Trainer zu viele wichtige Spieler frustriert. Am Ende konnten die Bosse gar nicht anders handeln.

Kommentar von Christof Kneer

Es war nicht sehr nett von der Kamera, vielleicht war es sogar ein bisschen schadenfroh. Macht man das? Einfach auf die Tribüne blenden, während unten die Spieler des FC Bayern wild durcheinanderrennen? Und da oben auf der Tribüne ein Bild einfangen, das in erhabenstem Gegensatz steht zum Durcheinander auf dem Rasen? Da oben saßen, von links nach rechts: Xabi Alonso, Bixente Lizarazu, Louis van Gaal. Und anders als die Bayern da drunten präsentierten sie sich bestens geordnet, jeder saß auf seiner Position, die Abstände stimmten.

Für Carlo Ancelotti war das ein kompromittierendes Bild, weil es im Angesicht des 0:3 so viele Assoziationen weckte.

Was der Trainer spielen lässt, hat sich selten erschlossen

Bixente Lizarazu: Champions-League-Sieger mit Bayern. Louis van Gaal: Champions-League-Finalist mit Bayern und trotz einer beneidenswerten Hybris der Begründer eines Bayern-Zyklus', der 2010 in diesem Finale begann. Xabi Alonso: ein Ehrenmann, auf den sich weltweit alle Anhänger einigen können - und der nun für das Ende dieses Zyklus' steht. Unverschuldet natürlich; er kann ja ebenso wenig wie Philipp Lahm etwas dafür, dass ihr gemeinsamer Abschied nun wie eine dramatische Wegmarke in der jüngeren Geschichte dieses großen Vereins wirkt. Alonso und Lahm sind gegangen und haben Autorität, Souveränität und leider auch die Taktiktafel mitgenommen.

Ist es nicht absurd, dass ein Abschied von Spielern ausreicht, um die Autorität, Souveränität und Taktik eines Unternehmens zu gefährden? Sollte es in so einem Laden nicht höhere Ränge geben, in deren Ressort diese Disziplinen fallen?

Kameraschwenk vorbei. Und damit wieder hinunter zu Carlo Ancelotti.

Gewiss hat das 0:3 in Paris den Klubbossen den letzten Anlass geliefert, um abschließend über diesen Trainer zu Gericht zu sitzen, aber unabhängig von den Van-Gaal-Ego-großen Löchern in der Defensive ist es Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge natürlich nicht entgangen, dass es sich bei Ancelotti um eine recht spezielle Art von Entwicklungstrainer handelte. Ja, er hat die Mannschaft entwickelt. Bloß halt blöderweise rückwärts.

Aus heutiger Sicht ließe sich schlaumeierisch anmerken, dass es von Anfang an ein Fehler war, diese taktisch hoch gebildete, fast übergebildete Guardiola-Elf einem Mann anzuvertrauen, der weder spanischen Tiki-taka- noch italienischen Catenaccio-Fußball spielen lässt. Was genau Ancelotti spielen lässt, hat sich Beobachtern und übrigens auch Spielern nie so recht erschlossen. Zuletzt sah es immerhin so aus, als vertrete Ancelotti eine Art Salsiccia-Fußball: eine Wurschtegal-Variante des altbayerischen Geht's-raus-und-spuit's-Fußball-Fußballs, bei dem jeder das machen darf, was der andere in diesem Moment auf keinen Fall erwartet.

Aber wenn man die Kamera noch mal zurückschwenken lässt in jene Zeit, in der der Toptoptrainer Pep Guardiola seinen Abschied gemeinsam mit der Toptopdiva Pep Guardiola bekannt gab, dann lässt sich die Idee der Bayern durchaus noch mal nachvollziehen. Guardiola war als Typ eine recht komplexe Veranstaltung; umso verführerischer erschien die Aussicht, einen weniger komplex gebauten Routinier zu holen, der im Ruf stand, ein großer Umarmer zu sein und außerdem ständig die Champions League zu gewinnen. Ancelotti sollte eine Art Sanatorium auf dem Lande sein, in dem die Guardiola-gestressten Städter etwas Luft holen können - um nebenbei jenen Fußball weiterzuspielen, den Guardiola ihnen eingetrichtert hatte. Und ein wenig erleichtert waren die ebenfalls recht routinierten Klubbosse natürlich schon auch: Sie meinten jetzt wieder einen Trainer zu haben, mit dem sich beim Rotwein süffig über die Akademisierung des modernen Spiels schmunzeln lässt.

Am Ende ist Ancelotti seine vermeintliche Kernkompetenz zum Verhängnis geworden. Er, der angeblich alle Spielerkabinen der Welt im Griff hatte, hat die Bayern-Kabine auf spektakuläre Art verloren. Ribéry beleidigt, Müller brummig, Hummels irritiert, Lewandowski genervt, und jetzt auch noch Robben: Ancelotti hat es nicht verstanden, der Post-Lahm-und-Alonso-Elf irgendeine Art von Struktur und Hierarchie zu verpassen. Er hat mal den einen Spieler mittels Bankplatz verwundet und dann den anderen, und so konnten die Bosse am Ende gar nicht anders: Einen Trainer im Amt zu lassen, der taktisch nicht präzise arbeitet und das Frustpotenzial im Team befördert, würde dem Klub gegenüber an unterlassene Hilfeleistung grenzen. Die Zukunft wird nun zeigen, ob die bayerischen Funktionärsroutiniers noch nah genug am modernen Spiel sind, um einen Mann zu finden, der für Kabine und Spiel eine gute Idee hat.

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