Lesercafé der SZ:"Solche Gebäude sind wichtig für eine Gesellschaft, die nicht geschichtslos werden will"

Lesercafé der SZ: Diskussion anlässlich des Uhrmacherhäusls in Giesing: Was ist bewahrenswert? Das ist nur eine der Fragen, die die SZ-Leser umtreibt.

Diskussion anlässlich des Uhrmacherhäusls in Giesing: Was ist bewahrenswert? Das ist nur eine der Fragen, die die SZ-Leser umtreibt.

(Foto: Robert Haas)

Geht München kaputt? Nach dem Abriss des Uhrmacherhäusls fragt die SZ ihre Leser im Flostern in Giesing, was sie denken. Die Antwort ist ernüchternd.

Von A. Dürr, H. Grundner, A. Hoben, T. Soyer und K. Stroh

"Was passiert da eigentlich?" Diese Frage haben sich die Architektin Barbara Kress und der Bildhauer Lun Tuchnowski oft gestellt. Und zwar bereits deutlich vor jenem "Schwarzen Freitag", wie Tuchnowski den Tag nennt, als das Handwerkerhäuschen an der Oberen Grasstraße 1 illegal abgerissen worden ist. Schon Wochen vorher beobachtete das Paar, dem das Nachbarhaus Gietlstraße 18 gehört, das aus ihrer Sicht seltsame Treiben der Baufirma: Immer wieder öffnete ein kleiner Bagger den Gehsteig an der Straße, über Wochen hinweg wurde ein Container mit Bauschutt aus dem Inneren des denkmalgeschützten Hauses befüllt.

Kress und Tuchnowski waren jedenfalls beunruhigt, und das zu Recht, wie sich wenig später zeigte. Da die Häuser Brandmauer an Brandmauer standen, befürchtet das Paar jetzt Folgeschäden. Erstaunlich findet das Paar ein Telefonat, das es ebenfalls schon vor dem Abriss mit einem Vertreter der Unteren Denkmalschutzbehörde geführt habe. Nach mehreren Anrufen habe man von einem offenbar bereits genervten Mitarbeiter die Auskunft erhalten: Sie dürften gerne wieder anrufen, wenn ein Bagger mit Abrissbirne vor dem Haus Obere Grasstraße 1 steht. Tuchnowski fragt sich noch heute, ob das bloße Ironie war.

"Ich weiß, dass die Baubehörde sehr viel Macht hat, wenn's um die Außenfarbe von Fenstern im Denkmalschutz geht, aber bei solchen Sachen sind sie leider sehr machtlos", ächzt Werner Tantz, der selbst in der Unteren Grasstraße wohnt und für den Erhalt der Feldmüllersiedlung kämpft. Jetzt freilich sei um das abgerissene Haus ein seltsamer Hype entstanden, den Zaun davor hätten die Leute "geschmückt, als ob der Michael Jackson da gestorben wär' - aber es sollte allen bewusst sein: Es geht hier noch um viel mehr solche Häuser!" Generalkonservator Mathias Pfeil pflichtet heftigst bei. Die Feldmüllersiedlung sei ein für Münchens Sozialgeschichte bedeutsames Ensemble. "Sie können hier Stadtgeschichte nachvollziehen" und sehen, wie einfach arme Leute vor 150 Jahren gelebt haben. "Darüber definiert sich Identität", sagt Pfeil.

Auch in Haidhausen: Die alten Bierkeller an der Inneren Wiener Straße hat Markus Wagner noch gut in Erinnerung, wie er sagt. Er habe dort noch Partys gefeiert. Und heute? "Alles weggeräumt, jammerschade". Oder der alte Bürgerbräukeller? Vor bald 40 Jahren abgerissen. "Dramatisch", sagt Wagner und resümiert: "In Haidhausen sind die Grausamkeiten schon begangen worden", Zug um Zug. Anderen Vierteln stehe das noch bevor, zum Ärger Wagners: "Solche Gebäude sind wichtig für eine Gesellschaft, die nicht geschichtslos werden will", findet er. Denn: "Man vergisst auch total schnell, was da war, wenn es abgerissen ist." Nur er die alten Keller nicht.

Arnold Lemke hat zum SZ-Lesercafé einen Stapel mit Zeitungsausschnitten mitgebracht sowie Fotos und historische Darstellungen von bekannten oder weniger bekannten Bauwerken in München. In dem Abriss des Giesinger Hauses sieht er ein wichtiges Signal, die partei- und behördenübergreifende Empörung ist für ihn gerechtfertigt, und der Giesinger Fall dürfe auch keinesfalls Schule machen, aber jetzt gehe es auch darum, welchen Stellenwert und welche Glaubwürdigkeit der Denkmalschutz in München habe. "Die kleinen Leute schikaniert man oft, wenn es um den Denkmalschutz geht", empört sich Lemke, bis ins kleinste Detail müssten Auflagen erfüllt werden. Dabei sicherten die Besitzer wertvollen Bestand für die Allgemeinheit.

Auf der anderen Seite gingen Stadt und Freistaat nicht selten mit schlechtem Beispiel voran und interpretierten den Schutz historischer Bauten nach Belieben für sich und ihre Zwecke. "Schauen Sie sich den renovierten Alten Hof an, ein Teil davon sieht aus wie Neuperlach", sagt Lemke, der sich bei den Altstadtfreunden engagiert. Am Englischen Garten beseitige man die Gebäude der Tierklinik, um sie durch moderne Funktionsbauten zu ersetzen. Das alles sei gewiss keine Werbung für den Denkmalschutz.

Wenn Peter Neissendorfer mit Besuchern aus dem Ausland in der Innenstadt unterwegs ist, spielt die Frage, wie man mit dem Thema Bewahren und Erneuern umgeht, immer eine wichtige Rolle. "Dass man zum Beispiel in der Maximilianstraße neben der Oper und hinter einer nach historischem Vorbild wieder aufgebauten Fassade einen modernen Block mit Gastronomie und Geschäften findet, kommt gut an", sagt Neissendorfer, der seit Jahrzehnten als städtischer Gästeführer arbeitet. Dass München die Sendlinger Straße zur Fußgängerzone macht, habe eine Gruppe aus Amerika gefreut: "So etwas wünschten sie sich auch für Boston."

Lesercafé der SZ: Die SZ diskutiert mit ihren Lesern im Flostern.

Die SZ diskutiert mit ihren Lesern im Flostern.

(Foto: Robert Haas)

Er persönlich sieht mit Sorge, wie sich die Leopoldstraße verändert: "Häuser mit Geschichte, wie zum Beispiel das Heinrich-Mann-Haus verschwinden und werden durch immer gleich aussehende Neubauten ersetzt." Der Schriftsteller Heinrich Mann wohnte von 1914 bis 1928 an der Leopoldstraße. Das Haus wurde im Krieg zerstört und wiederaufgebaut. In die Denkmalliste ist es nicht eingetragen, trotzdem hat das graue Wohn- und Geschäftshaus, das nach außen hin vielleicht nichts hermache, große kulturelle Bedeutung für Neissendorfer, der ganz in der Nähe wohnt. Für die Identität einer Stadt sei es wichtig, dass man auch solche Gebäude vor dem Abriss bewahre, fordert er.

"Es darf nicht nur um Denkmalschutz gehen", sagt Stefan Lehnert, "sondern auch um die Leute, die da wohnen." Um Leute wie ihn. Der Journalist wohnt in der Wagnerstraße 1 in Schwabing. Dort war auch das "Schwabinger Podium" beheimatet, das Haus soll einem Neubau weichen. Die Stadt hat aus Gründen des Denkmalschutzes den Abriss verboten, dagegen ist eine Klage anhängig. Von den sechs Wohnungen stünden vier derzeit leer, wären aber groß genug für Familien, sagt Lehnert. Da sei es doch ein Hohn, dass der Besitzer das Haus abreißen wolle mit dem Argument, Wohnraum zu schaffen. Lehnert wohnt, wie er sagt, seit drei Jahren dort - "ich bin der letzte, der einziehen konnte".

Für wen entsteht Wohnraum?

Man könnte Alois Dick einen besorgten Bürger nennen - wenn diese Bezeichnung nicht mittlerweile so negativ behaftet wäre. Dick ist 75 Jahre alt, er wohnt gleich um die Ecke vom Flostern. Seine Miete, sagt er, könne er sich gut leisten "bis zum Lebensabend, wenn es mich nicht vorher rausekelt". Haus für Haus, Straße für Straße könne er in Giesing die Gentrifizierung beobachten. Er ist an diesem Nachmittag gekommen, weil er etwas loswerden will. Nämlich das, was ihm Sorgen macht, die Entwicklung von ganz München, einer der "schönsten und liebenswürdigsten Städte der Welt".

Dick glaubt fest daran, dass Menschen ein Bedürfnis haben "nach Licht, nach Luft und Sonne", und dessen Erfüllung sieht er in Gefahr. "Die Verdichtung richtet die Stadt zugrunde." Ihm sind es ja jetzt schon zu viele Menschen hier, "gefühlt zwei Millionen". Natürlich ist Dick nicht grundsätzlich gegen das Bauen. Er fragt sich aber, wer sich die Wohnungen leisten kann, die entstehen. Der Freistaat, sagt der Rentner, der früher selber im Baugewerbe tätig war, müsste mehr Studentenbuden bauen, anstatt die Studenten auf den freien Wohnungsmarkt loszulassen. Er ist nicht verbittert, weil das München, wie er es kennt, immer mehr zu verschwinden droht, er ist nur wehmütig. Und erstaunt. Darüber, dass die Leute sich nicht mehr aufregen.

Lesercafé der SZ: "Als Kreativer hat man keine Chance, was zu finden. Meine ganze Existenz ist von einem Abriss bedroht." Uschi Billmeier.

"Als Kreativer hat man keine Chance, was zu finden. Meine ganze Existenz ist von einem Abriss bedroht." Uschi Billmeier.

(Foto: Robert Haas)

Für wen entsteht Wohnraum, um diese Frage geht es vielen an diesem Nachmittag. "70 Prozent sind doch für Normalbürger nicht erschwinglich", sagt Harald Lukas, er bezieht sich auf die Eigentumswohnungen am Alten Eiswerk, welche die Bayerische Hausbau auf dem alten Paulaner-Gelände errichtet. Vor Kurzem wurden die Preise bekannt gegeben, sie bewegen sich bei durchschnittlich etwa 12 000 Euro pro Quadratmeter. Doch Lukas bewegt noch etwas anderes: wie auf dem Areal mit dem Denkmalschutz umgegangen worden ist.

Beim Denkmalstreit um den Zacherlbräu vor zweieinhalb Jahren hat der Grafikdesigner und studierte Kunsthistoriker eine Petition beim Landtag eingereicht, er wollte wie viele andere, dass das Gebäude von 1822 an der Ohlmüllerstraße in seiner historischen Form wieder errichtet wird. "Das war kein unbedeutendes Haus." Die Pläne für einen modernen Neubau stießen damals bei Denkmalschützern und beim Bezirksausschuss auf heftige Kritik, allerdings vergebens. In dem modernen Bürogebäude sitzt heute die Verwaltungszentrale von Paulaner. Und Lukas, der in der Nähe wohnt, ärgert sich immer noch nahezu täglich, wenn er daran vorbeigeht.

Auf die neuen Wohnungen am Alten Eiswerk kommen an diesem Tag übrigens noch mehr Besucher zu sprechen. Einer berichtet von einem Bekannten, der sich als Kaufinteressent bei der Bayerischen Hausbau hatte eintragen lassen. Als er die Preisliste sah, habe er dem Unternehmen eine Email geschrieben: "Wenn ich im Lotto gewinne, melde ich mich wieder."

Ein Lottogewinn - vielleicht ließe sich damit ja noch ein Hausbesitzer überzeugen, Uschi Billmeier bei sich aufzunehmen. Sie leitet die kleine Djembe-Trommelschule in Bogenhausen, seit 20 Jahren, im Keller eines Bio-Supermarktes. Ende Januar ist Schluss, das Haus soll einer großen Wohnanlage weichen. Seit bald einem Jahr sucht Billmeier ein neues Domizil - ohne Erfolg. "Als Kreativer und wenn man auch noch Lärm macht, hat man keine Chance, in München was zu finden. Bei lauter Musik winkt jeder ab." Von der Stadt werde sie auch nicht unterstützt. Und wie geht es weiter? Billmeier weiß es nicht. Ohne Räume kein Unterricht, keine Einnahmen. "Meine ganze Existenz ist von einem Abriss bedroht."

Die kritische Szene täuscht Hausbesetzungen an

"Man erinnert sich an die 70er- und 80er- Jahre und an die Hausbesetzungen - man möcht' wieder anfangen", entfährt es einer älteren Giesingerin im Flostern. In Bayern sei es mit Hausbesetzungen schwierig, antwortet Katharina Horn, die im Rathaus für die ÖDP-Fraktion arbeitet. "Bringt auch nicht viel", wenn wie zuletzt an der Türkenstraße für 30 Minuten ein Haus besetzt wird, die Besetzer dann aber 24 Stunden im Polizeipräsidium an der Ettstraße festgehalten werden. Da findet Horn es nur logisch, dass die kritische Szene neuerdings zu angetäuschten Hausbesetzungen übergegangen sei: Damit werde auch auf unverantwortlichen Umgang mit Wohnraum hingewiesen. Die Polizei müsse alles absuchen, aber kein Demonstrant in die Ettstraße.

Christl Knauer-Nothaft hat als Historikerin zwei Bücher über Berg am Laim geschrieben und 1986 wie noch einmal 2006 den Bestand alter, denkmalwürdiger Bausubstanz beschrieben - und eigentlich vor allem einen Schwund dokumentiert, der sie gewaltig ärgert. "Heute würde man kein altes Haus mehr finden", schimpft sie, dabei sei der Kern des Stadtbezirks im Osten rund um die Baumkirchner und Josephsburgstraße einst voll von kleinen Arbeiter- und Handwerkerhäuschen gewesen.

Das sei heute alles weg, einzig einen alten denkmalgeschützten Bauernhof, das sogenannte Mahlerhaus, gebe es noch, per Erbschaft nun im Eigentum der Stadt München und mit ungewisser Zukunft. Momentan verfalle das Haus. Das erzählt Knauer-Nothaft all den streitbaren Giesingern im Flostern und lobt sie: "Es ist großartig, dass Sie sich wehren!"

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