Oktoberfest:Bis zum letzten Hendlknochen

Wiesnhendl auf dem Oktoberfest in München, 2015

Brathendl in einem Zelt auf dem Münchner Oktoberfest.

(Foto: Stephan Rumpf)

Wieso nur lassen die Wiesnbesucher von ihrem Hendl Gebeine und Knorpel übrig? Unser Kolumnist aus Nigeria findet: Wenn man so viel für halbe Vögel zahlt, muss man das auch auskosten.

Kolumne von Olaleye Akintola

Auch in diesem Jahr schmeckt das Bier auf dem Oktoberfest wieder fein würzig. Dass es mehr Umdrehungen hat als unter dem Jahr, das stört die Zeltbesucher - wenn - dann erst nachher. Mein zweites Jahr in der Region gibt mir nun die Chance, meinen Tagesrekord von sieben Mass Bier zu überbieten. In dieser Mission betrat ich das Hofbräu-Festzelt, und das Spiel nahm seinen Lauf. Es machte sich dieses wärmende Gefühl im Körper breit, doch nach vier Mass Bier verwandelte es sich plötzlich zu einem Drehwurm, ich fühlte mich wie ein kopfloses Huhn, wenn es noch herumläuft. Der Magen muss mit Essen auf solche Missionen vorbereitet werden. Das lernte ich an diesem Abend.

Weil tote Männer keine Geschichten erzählen, bestellte ich mir also zur Sicherheit etwas zu Essen. Um einem Kater vorzubeugen, wäre eine nigerianische Pfeffer-Suppe mit Kuhfüßen sicher gut gewesen. Doch in meiner neuen Heimat ist das Hendl in diesen Tagen das ultimative Gericht. Im Zelt kann man den Bayern beim Vertilgen zuschauen, sie mögen ihr Hendl, allerdings nur Teile davon.

Ich spähte in die Runde und beobachtete meine Kollegen beim Hendlessen. Als sie fertig waren, musste ich feststellen, dass sie riesige Portionen schmackhafter Knochen auf den Tellern hinterließen. Welche Verschwendung, dachte ich mir. Sie essen ihr Hendl wie Bürokraten, denken gar nicht daran, die Knochen zu knacken und zu kauen, sie kommen einfach auf die Ablage, wie eine Akte, die man nicht mehr braucht. Wenn die Bedienungen sie wieder mitnehmen, schauen die Hendl-Teller der Zeltbesucher fast jungfräulich aus, traurig, als würden sie um Gerechtigkeit flehen, dass endlich mal einer aufisst.

Vielleicht haben sie auf jemanden wie mich gewartet. Da kam nun mein Hendl, mit Serviette und Besteck, beides verzichtbares Beiwerk. Als Nigerianer habe ich eine eigene Etikette, Nahrungsmittel zu verspeisen; deswegen vermeide ich es, in der Öffentlichkeit mit Einheimischen zu essen. Hier auf der Wiesn hat man aber keine Wahl, und so begann ich das Mahl. Ich betete für das Huhn und riss das frische Fleisch von den Knochen, es schmeckte gut gegrillt.

Dann testete ich, ob der Grillmeister ein Lob verdient hat, und zerknackte den Brustknochen mit meinen Zähnen. Es schmeckte nach altem Fischköder, vielleicht wegen der Mastindustrie und der Medikamente, aber es hilft ja nichts. Ich kaute weiter, die Knochen knackten im Mund, die Leute am Tisch schauten mich irritiert an. Ich machte weiter und genoss meine Knochen bis zum letzten Knorpel. Wenn man so viel für halbe Vögel zahlt, muss man das auch auskosten.

In Nigeria haben die eingeborenen Hühner viel härtere Knochen als Wiesn-hendl. Wer dort die Kunst des Knochenknackens lernen will, fängt mit importierter Ware an. Ich zähle zu den wenigen Nigerianern, die dieses Kulturgut zelebrieren. Wir testen daran die Qualität unserer Zähne und trainieren sie. Das Kalzium der Knochen macht sie standhafter.

Als ich fertig war, schauten mich die Leute an wie einen Außerirdischen. Was ist denn so verkehrt daran, das Mark des Hendlknochens auszuzuzeln? Bei Weißwürsten machen die Bayern das doch auch? Vielleicht gehört es zum Oktoberfest dazu, dass man Mahlzeiten unaufgegessen wieder hergibt und den Bierkrug halb voll stehen lässt. Vielleicht ist das die Demonstration von Überfluss.

Man mag mir jetzt entgegenhalten, dass Knochen nur etwas für Hunde sind, aber das stimmt nicht, weil ich bin kein Hund. Im Gegenteil, es beweist viel mehr, welch guten Geschmack Hunde haben müssen. Ich würde jedem Bayern empfehlen, es mal auszuprobieren und diese Verschwendung zu unterlassen. Ich glaube, sie werden sich noch für den Tipp bei mir bedanken.

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Olaleye Akintola stammt aus Nigeria. Bis zu seiner Flucht 2014 arbeitete er dort für eine überregionale Tageszeitung. Nun lebt er in Ebersberg.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Akintola für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie sie die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite. Hintergründe zu unseren Kolumnisten finden Sie hier.

Übersetzung aus dem Englischen: koei

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