Steuervermeidung:Es bringt nichts, Apple und Google zu dämonisieren

The Apple logo is pictured behind the clock at Grand Central Terminal in the Manhattan borough of New York

Konzerne wie Apple und Google nutzen Schlupflöcher und zahlen in der EU nur wenig Steuern.

(Foto: REUTERS)

Viele Internetkonzerne zahlen in der EU fast gar keine Steuern und handeln damit legal. Willkürliche Sofortmaßnahmen helfen nicht. Wir brauchen eine internationale Steuerreform.

Von Nikolaus Piper

Was mag wohl ein "Double Irish With a Dutch Sandwich" sein? Es ist, wie einschlägige Spezialisten wissen, nichts zum Essen, sondern ein bei global operierenden Unternehmen beliebtes Modell zur Steuervermeidung: Man verschiebt den Gewinn erst in eine irische Gesellschaft, dann in eine niederländische und schließlich wieder in eine irische. Weil die Unternehmensteuern in beiden Ländern sehr niedrig sind, kommen bei der Operation fantastische Steuererklärungen heraus.

Das irisch-holländische Butterbrot steht für ein seit Langem ungelöstes Problem. Einige der mächtigsten Unternehmen der Welt, die großen amerikanischen Internetkonzerne, zahlen, mit tätiger Mithilfe einiger Regierungen, besonders der irischen, in Europa absurd niedrige Steuern. Das Problem, dass Unternehmen ihre Gewinne nach steuerlichen Maßgaben verschoben, gab es zwar auch schon im analogen Zeitalter, wie Panama und all die anderen Steueroasen zeigen. Aber heute hat es eine neue Qualität. Digitalunternehmen können Wert in einem Land schaffen, ohne dort zu produzieren. Für Daten gibt es keine Grenzen. Und das Wertvollste in einer digitalen Firma sind nicht die IT-Systeme, sondern die Algorithmen, die durch das System laufen. Die sind geistiges Eigentum und schwer zu besteuern.

Wenn sich aber globale Firmen, mit deren Produkten jeder jeden Tag zu tun hat, so leicht am Finanzamt vorbeimogeln können, ist die Legitimität des Steuersystems und für manche auch gleich die des Wirtschaftssystems infrage gestellt.

Bereits im September 2013 beschlossen die Staats- und Regierungschefs der G-20-Staaten daher einen Aktionsplan gegen "Steuervermeidung durch Verkürzung und Verlagerung", oder, wie es im Kauderwelsch der Steuerexperten heißt, gegen "Base Erosion and Profit Shifting (Beps)". Als Konsequenz erarbeitete die OECD, der Thinktank der Industrieländer, einen detaillierten Bericht über mögliche Gegenmaßnahmen. Der Bericht wurde 2015 veröffentlicht. Im Frühjahr 2018 werden die G 20 auf ihrem Gipfel in Argentinien anhand neuer Daten der OECD das Thema wieder beraten.

Digitale Unternehmen zahlen in der EU nur halb so hohe Steuern wie herkömmliche

Besonders für die Europäische Union ist das Problem drängend, denn die aggressive irische Steuerpolitik zugunsten der Internetfirmen belastet die Gemeinschaft der 27 nicht nur fiskalisch, sondern auch politisch. Vorige Woche legte der Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, ein einschlägiges Konzept vor. Dessen Ziel ist "die Gewährleistung eines kohärenten Konzepts der EU zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft, durch das die zentralen Prioritäten der Kommission bei der Vollendung des digitalen Binnenmarktes unterstützt werden und für eine faire und wirksame Besteuerung aller Unternehmen gesorgt wird".

Faire und wirksame Besteuerung - das ist ein hehres Ziel für jedes Gemeinwesen. Schon Adam Smith forderte 1776 in seinem "Wohlstand der Nationen", dass Steuern gleichmäßig, ohne Willkür und ohne unnötige Kosten für den Steuerzahler und den Staat erhoben werden sollen. Demokratien müssen immer wieder neu um diese Ziele ringen. Das Problem heute liegt darin, dass die Steuergesetze weder auf die Globalisierung noch auf die Digitalisierung eingestellt sind. Dies zu ändern, überfordert Einzelstaaten. Die Europäische Union ist groß genug, um etwas zu bewirken. Aber was die Kommission jetzt dazu vorgelegt hat, ist eher eine unverbindliche Ideensammlung denn ein Konzept.

Diesen Umstand sollte man den Brüsselern gar nicht vorwerfen, er liegt darin begründet, dass vieles noch nicht in der Praxis erprobt ist und dass hier starke nationale Interessen gegeneinanderstehen. Deshalb werden zum Thema Internetsteuern viele flammende Reden gehalten, doch es wird wenig Konkretes gesagt. Apple, Google & Co. werden dämonisiert als böse Mächte, die ihren Beitrag zum Gemeinwesen verweigern. In Wirklichkeit ist es aber die Aufgabe von Regierungen und Gesetzgebern, jetzt die überfällige Modernisierung des Steuerrechts in Angriff zu nehmen.

Den Umsatz besteuern? Das birgt unkalkulierbare Risiken

Was die Steuerabteilungen von Google, Facebook oder Apple machen, ist ja nicht verboten, jedenfalls in den meisten Fällen nicht. Die Konzerne sind noch nicht einmal notorische Steuervermeider, sondern, in den Vereinigten Staaten, ganz normale Steuerzahler. Alphabet, etwa, der Mutterkonzern von Google, entrichtet 19 Prozent vom Gewinn, Facebook 21 Prozent und Apple 25 Prozent. Der in Europa wegen des irischen Steuermodells besonders umstrittene Konzern überwies im vergangenen Jahr 15,8 Milliarden Dollar an den amerikanischen Fiskus und war damit der größte Steuerzahler der Vereinigten Staaten.

Das Problem sind die im Ausland erzielten Gewinne. Der Anreiz zum Sparen ist hier für die US-Konzerne besonders groß, weil bereits versteuerte Auslandsgewinne nach amerikanischem Steuerrecht bei der Rückholung in die Heimat erneut versteuert werden müssten. Daher sammeln die Unternehmen - und nicht nur aus der Digitalbranche - in Europa riesige Barreserven, deshalb nutzen die Firmen hochprofessionell und völlig legal Unterschiede in den Steuergesetzen einzelner EU-Länder aus. Und das geht eben bei Digitalfirmen besonders gut. Nach Berechnungen der EU-Kommission zahlen konventionelle internationale Unternehmen in Europa durchschnittlich 23,2 Prozent Körperschaftsteuer, digitale dagegen nur 10,1 Prozent.

Die beiden Mannheimer Ökonomen Christoph Spengel und Marcel Olbert schreiben in ihrem Blog: "Unter dem derzeitigen Steuerrecht führt Digitalisierung zur Konvergenz der Kernaktivitäten und damit des versteuerbaren Nexus (zu versteuerndes Einkommen) am Ort der Muttergesellschaft oder bei regionalen Hubs." Genau dies passiert derzeit: Apple, um ein Beispiel zu nehmen, verlangt von seiner deutschen Tochter sehr hohe Gebühren für die Nutzung der Patente, die in einem iPhone stecken. Für diese Gebühren gibt es auf dem freien Markt keine Referenzgröße, an die sich die Steuerbehörden halten könnten. Daher müssen sie die Vorgaben Apples akzeptieren.

Dabei geht es auch um internationalen Steuerwettbewerb. Viele Politiker würden diesen Wettbewerb im Internet-Zeitalter am liebsten ganz unterbinden. Aber ist es nicht legitim, wenn ein Land versucht, durch niedrige Steuern Investitionen anzulocken und Arbeitsplätze zu schaffen? Jeder Bürgermeister in der deutschen Provinz macht dies, Irland hat es mit großem Erfolg praktiziert und wurde so von einer armen Agrarnation zum "keltischen Tiger". Es ist klar, dass dieser Wettbewerb Grenzen haben muss, aber wo liegen diese Grenzen? Im vorigen Jahr hat die EU-Kommission immerhin die Regierung in Dublin dazu verpflichtet, von Apple 13 Milliarden Euro nachzufordern, weil sie das irische Modell als Steuersubvention betrachtete.

Die EU-Kommission möchte das Problem am liebsten dadurch lösen, dass sich alle Staaten, zumindest aber die Mitglieder der EU, auf ein gemeinsames Modell der Unternehmensbesteuerung einigen, ein bürokratisches Konstrukt namens "Gemeinsame Konsolidierte Körperschaft-Bemessungsgrundlage". Da die Beamten in Brüssel wissen, dass es dazu auf absehbare Zeit nicht kommen wird, diskutieren sie eine Reihe ziemlich radikaler Vorschläge für kurzfristige Maßnahmen. Dazu gehört eine Art Werbeabgabe auf das Internet oder eine Quellensteuer für Umsätze von Nicht-EU-Firmen auf ihre in Europa erzielten digitalen Erlöse.

Das am weitesten gehende Modell sieht zum Beispiel vor, bei digitalen Geschäften zunächst einmal nicht den Gewinn, sondern den Umsatz zu besteuern. Google würde dann auf seine gesamten in Deutschland erwirtschafteten Erlöse eine Steuer, vergleichbar der Mehrwertsteuer entrichten. Im Gespräch ist ein Satz von zwei bis fünf Prozent. Diese Internet-Umsatzsteuer könnte das Unternehmen dann mit der tatsächlich gezahlten Körperschaftsteuer verrechnen. Die Steuer - die Kommission nennt sie "Equalisation Tax" - hätte einen immensen Vorteil: Mit ihr wäre es für die Unternehmen sinnlos, Gewinne zu verschieben.

Die Besteuerung der Digitalumsätze wäre ein Systembruch

Das Modell hat jedoch auch erhebliche Nachteile. Es behandelt digitale Umsätze anders als analoge und enthält damit ein erhebliches Maß an Willkür, von den Abgrenzungsproblemen ganz zu schweigen. Die Steuer könnte wie eine Strafe für Digitalisierung wirken und damit dem technischen Fortschritt in Europa schaden.

Und es gibt ein erhebliches politisches Risiko. Wie würden andere Länder reagieren, wenn die EU so eine Steuer einführen würde, vor allem die Vereinigten Staaten, die ja im Zweifel die Interessen von Google und Apple vertreten? Die Besteuerung der Digitalumsätze wäre ein Systembruch, der eine in Europa sicher nicht gewollte Eigendynamik in Gang setzen könnte. Die Sorge ist sehr konkret. Die republikanische Mehrheit im amerikanischen Kongress hat im vergangenen Jahr eine radikale Reform der Unternehmensteuern beschlossen. Demnach soll grundsätzlich nicht mehr der Gewinn besteuert werden, sondern ein Teil des inländischen Umsatzes wäre eine Art Mehrwertsteuer, bei der auch die Löhne abziehbar sind. Exporte würden von der Steuer freigestellt, Importe gesondert belastet. Wegen dieses "Grenzausgleichs" könnte die Steuer leicht als protektionistisches Folterwerkzeug missbraucht werden. Vorerst hat die Lobby der amerikanischen Einzelhandelskonzerne, an erster Stelle Walmart, die Reform verhindert. In die Pläne für eine massive Steuersenkung, die Präsident Donald Trump diese Woche vorlegte, ist das Modell nicht eingegangen. Wenn aber die Europäer eine Internetsteuer beschließen, dürfte die Lage anders aussehen.

Letztlich ist das Problem nicht mit willkürlichen Sofortmaßnahmen zu lösen, sondern nur durch internationale Abmachungen. Die Regierungen müssen einheitliche Standards setzen, nach denen ge Haus sicher schwierig. Dies sollte aber keine Ausrede für sein für willkürliche Ad-hoc-Maßnahmen.

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