Nationalmannschaft:Löw nennt Ergebnisse der Bundesliga im Europapokal "ein bisschen alarmierend"

2018 World Cup Qualifications - Europe - Germany Press Conference

Joachim Löw bei der Pressekonferenz.

(Foto: REUTERS)
  • Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft kann sich gegen Nordirland für die Weltmeisterschaft in Russland qualifizieren.
  • Themen vor dem Spiel sind aber erstmal die Lage beim FC Bayern - und das schlechte Abschneiden der deutschen Teams im Europapokal.
  • Bundestrainer Löw äußert sich besorgt anlässlich dieser Entwicklung.

Von Philipp Selldorf, Belfast

Selbstredend empfing ein beharrlicher schmaler Regen die Delegation des Deutschen Fußball-Bundes, als sie auf dem Flughafen von Belfast landete. Wie sollte es anders sein auf der gesegneten Insel, die auch mitten im Herbst wieder in so vorbildlichem Grün leuchtet, als ob jemand mit einem riesigen Pinselquast übers Land gegangen wäre.

Das Willkommen der Nordiren für die Deutschen könnte darüber hinaus kaum größer sein, das Spiel zwischen dem Ersten und dem Zweiten der WM-Qualifikations-Gruppe C im Windsor Park ist nicht nur ausverkauft, es ist sogar so sehr ausverkauft, dass es keinen Schwarzmarkt gibt. Das Gros der 18 500 Heimspiel-Tickets wurde im vorigen Sommer im Dauerkartenverfahren für die komplette Kampagne zu einem günstigen Preis veräußert. Nun ließe sich damit eine gute Rendite machen, aber die Begeisterung für die Grünweißen ist stärker als die Gier.

Die Hochachtung der Gastgeber bekommen Jogi Löw und seine Weltmeister und Confed-Cup-Sieger gratis, wo immer sie hinkommen, das ist auch in Belfast nicht anders. Michael O'Neill, Nordirlands Nationaltrainer, hat die DFB-Auswahl bereits demutsvoll als das beste Team der Welt bezeichnet, und der Innenverteidiger Gareth McAuley schwärmte, wie es sich geziemt, von deutschen Spielern, "die auf einem anderen Level" seien als er und seine irdischen Kollegen. Ausdrücklich hat der hünenhafte Mann auch den eher hühnchenbeinigen Münchner Thomas Müller einbezogen, dessen Bewegungen er "brillant" findet. Kein Nordire ist bisher auf die Idee gekommen, anhand der jüngsten Europacup-Bilanz deutscher Klubs Zweifel an der alten Fußball-Großmacht anzumelden.

Das müssen die Deutschen also selbst erledigen. Sehr viele Experten haben die vergangenen Tage genutzt, um die Herrlichkeit der Bundesliga in Frage zu stellen; durch die Niederlagenserie der sechs Spitzenrepräsentanten in Champions League und Europa League verdichten sich auf einmal grundsätzliche Bedenken. Der 90er-Weltmeister Thomas Berthold zum Beispiel sieht ein flächendeckendes "Tempo- und Technikdefizit", und wer das jetzt damit abtut, dass Berthold auch bei minimalen Anlässen stets ein Vertreter grimmiger Maximalkritik ist, der muss zur Kenntnis nehmen, dass anerkannte Meinungsführer ähnliche Schlussfolgerungen anstellen.

"Die beste Liga überhaupt? Man muss sich mal fragen, ob das wirklich so stimmt."

Zum Beispiel diese: "Wenn man mal ein bisschen zurückgeht in diesem Jahrhundert, dann muss man ja sagen, dass wir in Deutschland nicht allzu viele Titel geholt haben. Und wenn es immer wieder heißt, die Bundesliga sei die beste Liga überhaupt, dann muss man sich mal fragen, ob das wirklich so stimmt." Diese Sätze hat am Mittwoch in Stormont bei Belfast Jogi Löw höchstpersönlich vor Reportern aus der Heimat und Nordirland gesprochen.

Es hat dabei zwar nicht geblitzt und gedonnert, aber die Worte waren auch so deutlich genug. Wobei Löw Wert darauf legt, dass er selbst nicht erst die missratene Europacuprunde mit sechs Niederlagen in der Vorwoche ("Ein bisschen alarmierend!") gebraucht habe, um die brutale Wahrheit über den Stand des deutschen Fußballs zu erfahren. Seine Kenntnisse beruhen auf Langzeitbeobachtungen: "Darüber mache ich mir nicht erst seit gestern Gedanken, das war die letzten Jahre schon so", sagte er, und das muss man ihm ja in der Tat zugestehen. An der selbstzufriedenen Freude über die deutsche Talentausbildung hat sich Löw nie beteiligt, weil er immer der Meinung war, dass darin kein Alleinstellungsmerkmal besteht. Jetzt sieht er den Moment gekommen, darauf noch mal mit Nachdruck hinzuweisen: "Auch in Frankreich, in England, in Spanien gibt es im Nachwuchs üüüüberraagende Spieler", erklärte Löw. Es klang wie eine Warnung.

Andererseits legen Löw und seine Spieler Wert auf den feinen Unterschied. "Die Nationalmannschaft agiert definitiv auf Weltniveau", sagte Mats Hummels, in den Bundesligaklubs sei das "nicht der Fall, in Einzelfällen schon, aber nicht in der Masse". Mit den Einzelfällen sind natürlich die Bayern und die Dortmunder gemeint, aber just die sind nun gerade ins Gerede gekommen beim aktuellen Nationalmannschaftstrip. Dortmunder sind erst gar keine mitgefahren, was laut Löw daran liegt, dass sich Mario Götze und Julian Weigl erst noch erholen sollen von langen Verletzungen.

Die Bayern geben in Belfast Anlass zu besorgten Erkundigungen, es kamen Fragen zum Stand des Befindens. Hummels musste dazu erklären, dass er keine Scheu habe, die Kollegen aus den anderen Klubs über die Lage beim FC Bayern aufzuklären, "die letzten Tage waren ziemlich aufreibend, aber ich wüsste jetzt keinen Grund, warum wir in irgendeinem Zustand sein sollten".

Über den anstehenden Abend mit Nordirland wurde natürlich auch noch geredet in der Sprechstunde des deutschen Patienten: "Es gibt ein Spiel mit viel Brisanz und einem fantastischen Publikum", sagte Löw, der sich, was den Kummer um die Bundesliga angeht, keiner Schuld bewusst ist: "Für uns ist es immer die Aufgabe, so aufzutreten, dass es den Menschen zu Hause Freude macht. Ich glaube, dass wir das in dieser Qualifikation mit acht Siegen in acht Spielen auch geschafft haben." Ein Remis genügt schon, und die Deutschen sind bei der WM 2018 in Russland dabei.

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