Türkei:Unter Partnerschaft versteht Ankara nur noch Tauschhandel

German Foreign Minister Gabriel and his Turkish counterpart Cavusoglu attend a news conference in Ankara

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (links) muss sich bei der Pressekonferenz mit Mevlüt Çavuşoğlu im Juni am Kopf kratzen.

(Foto: REUTERS)

Die türkische Außenpolitik schwankt nicht nur im Fall Steudtner zwischen Versöhnlichkeit und Eskalation. Man muss sich fragen, ob sie überhaupt noch irgendeiner Strategie folgt.

Kommentar von Luisa Seeling

Man muss sich schon fragen, ob die türkische Außenpolitik noch irgendeiner Strategie folgt. Da erklärt der Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu im Spiegel-Interview, dass er bereit sei, sich anzustrengen, um das angeknackste deutsch-türkische Verhältnis zu verbessern. Kurz darauf erhebt die türkische Justiz Anklage im Fall des deutschen Aktivisten Peter Steudtner; ihm und seinen türkischen Kollegen sollen bis zu 15 Jahre Haft drohen. Ja, was denn nun?

Das Çavuşoğlu-Interview zeugt zunächst auf bemerkenswerte Weise vom Politikverständnis, das dem türkischen Handeln zugrunde liegt. Jede seiner Äußerungen folgt demselben kleinlichen Schema: Wie du mir, so ich dir. Die Reisewarnung für Deutschland? Ist für ihn eine Antwort auf deutsche Feindseligkeiten. Die Deutschen, die aus politischen Gründen in türkischen Gefängnissen sitzen? Çavuşoğlu verweist auf Türken, die in Deutschland in Haft sind - nicht aus politischen Gründen, wohlgemerkt, doch das ficht den Minister nicht an. Für ihn gibt es keine vertrauensvolle Partnerschaft mehr zwischen den beiden Ländern, nur noch Tauschhandel, wenn man es positiv ausdrücken will. Oder Vergeltung, um es weniger freundlich zu sagen. Was Deutschland tut, wird mit gleicher Münze heimgezahlt. In dieser Logik sind die deutschen Gefangenen Geiseln, Faustpfand im zerrütteten Verhältnis. Die türkische Regierung kann Milde zeigen, wenn es nützlich erscheint, sie kann Härte demonstrieren, wenn sie es für opportun hält. Und ein gewisses Maß an Unberechenbarkeit war sowieso immer schon Teil des Herrschaftssystems Erdoğan.

Deutschland ganz zu verprellen, kann sich Ankara nicht leisten

Welche Strategie Ankara im Fall Steudtner verfolgt, ist nicht ganz klar. Möglich, dass die in der türkischen Presse kolportierten Haftstrafen von bis zu 15 Jahren eher eine Botschaft nach innen sind - um Menschenrechtler abzuschrecken und zu zeigen, dass man sich internationalem Druck nicht beugt. In der Anklageschrift selbst findet sich kein Strafmaß. Positiv ist, dass sie überhaupt schon vorliegt. Denn der Journalist Deniz Yücel wartet seit acht Monaten auf eine Anklage, ihn will man offenbar schmoren lassen. Im Fall Steudtner hingegen stellt Çavuşoğlu eine Beschleunigung des Verfahrens in Aussicht - und zack, nur Tage später wird die Anklage zugestellt.

Ein bemerkenswerter Zufall, wenn man Ankaras Beteuerungen glaubt, dass die Justiz unabhängig sei. Nimmt man all das zusammen, ist zumindest nicht undenkbar, dass Steudtner das Gericht am Ende als freier Mann verlässt, während seine türkischen Kollegen in Haft bleiben. Deutschland ganz zu verprellen, kann sich die Türkei eigentlich nicht erlauben, dafür sind die Wirtschaftsbeziehungen zu wichtig. So zumindest lassen sich jüngste Äußerungen aus Ankara deuten.

Von der Retourkutschen-Politik zur Unberechenbarkeit

Möglich ist aber auch, dass es keine klare Strategie mehr gibt. Dass die Anklage gegen Steudtner eine Art strategische Panne ist, ein Mangel an Abstimmung zwischen Regierung und Justiz. So etwas kann vorkommen in einem Land, in dem Zehntausende Beamte aus dem Amt entfernt wurden. Auch im Fall eines verhafteten Mitarbeiters des US-Konsulats drängen sich Fragen auf: Ist es Taktik oder ein diplomatischer Unfall? Daraufhin jedenfalls haben USA und Türkei ihre gegenseitige Visa-Vergabe eingefroren, mit womöglich desaströsen Folgen vor allem für Tausende türkische USA-Reisende, darunter viele Geschäftsleute. Wollte Ankara das?

Eine Türkei, die nur noch erratisch handelt, wäre für Deutschland keine gute Nachricht. Die Retourkutschen-Politik der letzten Monate war unangenehm, aber wenigstens weitgehend berechenbar. Mit einem Land, das sich zwischen Versöhnlichkeit und Eskalation nicht entscheiden kann, wird es noch schwerer, auch nur kleinste Kompromisse auszuhandeln.

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