Deutscher Buchpreis:Zeitgenossenschaft

Deutscher Buchpreis 2017 - Robert Menasse

Der österreichische Schriftsteller Robert Menasse, Jahrgang 1954, lebt in Wien. In den vergangenen Jahren hat er auch zahlreiche Essays über Europa veröffentlicht.

(Foto: Arne Dedert/dpa)

Mit seinem Europa-Roman "Die Hauptstadt" hat der österreichische Autor Robert Menasse den Deutschen Buchpreis gewonnen.

Von Lothar Müller

Der Beifall war groß, als im Kaisersaal des Frankfurter Römer der Vorsteher des Börsenvereins Heinrich Riethmüller schließlich bekannt gab, wer den Deutschen Buchpreis 2017 gewonnen hat: der Österreicher Robert Menasse mit seinem Roman "Die Hauptstadt". Damit ist nicht Wien gemeint und nicht Berlin, sondern Brüssel. Das klingt, als sei mit dieser Hauptstadt ein Symbol aufgerufen, das Symbol der Europäischen Union, ihrer Institutionen, ihrer Bürokratie. Und bei der Vorstellung der Kandidaten hatte es geheißen, dies sei der erste EU-Roman.

Aber als Robert Menasse dann auf die Bühne kam, kaum mehr sagen konnte und wollte als "Danke" und die "menschengemachte", daher unberechenbare Europäische Union dafür lobte, dass sie die Buchpreisbindung gegen Konzerninteressen verteidigt habe, stand er im Echoraum seines Buches. Und darin ist Europa sehr viel älter als die Europäische Union. Der Zivilisationsbruch des Holocaust durchdringt alle Handlungsschichten, zu den Schlüsselfiguren gehört einer der letzten Auschwitz-Überlebenden, und das satirische Karussell, das sich um ein Projekt der Selbstfeier der Europäischen Kommission dreht, wird von der echten Angst des Autors vorangetrieben, Europa könne noch einmal zur Katastrophenlandschaft werden, zur "Welt von Gestern".

Auch in anderen Büchern der Shortlist wurde Europa als Region der Infragestellung seiner selbst, als Epizentrum furioser Veränderungen greifbar, eher zu opulent ausgemalt in Franzobels Roman "Das Floss der Medusa", der im Blick auf den historischen Schiffsuntergang das Hervorbrechen des Kannibalismus aus zivilisierten Europäern in Szene setzt. In der funkensprühenden Begegnung der Literatur mit den Naturwissenschaften, die in Thomas Lehrs "Schlafender Sonne" ein ganzes Jahrhundert erhellt, von den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs durch die DDR in ihrer Verfallszeit bis hinein in die jüngstvergangene Gegenwart. Oder in Sasha Marianna Salzmanns Debütroman, "Außer sich", in dem eine in die russische Geschichte hinabreichende Familiengenealogie die Suchbewegungen einer jungen, gegenwärtigen Generation aus sich entlässt.

Es war nach Bekanntgabe der Shortlist Aufhebens davon gemacht worden, dass sie drei Bücher des Suhrkamp Verlages enthielt. Denn neben Robert Menasse und Sasha Marianna Salzmann erschien auch der Roman "Die Kieferninseln" von Marion Poschmann bei Suhrkamp. Das spielte am Ende zu Recht so wenig eine Rolle wie der Umstand, dass Gerhard Falkners "Romeo oder Julia" aus dem Berlin Verlag kam.

Den Deutschen Buchpreis 2017 hat ein Roman gewonnen, der das deutschsprachigen Publikum mit dem Kontinent besser bekannt macht, in dem es lebt. Und der zeigt, was auf dem Spiel steht, wenn die ungeliebte "EU" scheitert. Noch sind Figuren aus England dabei. Und der Titel, "Die Hauptstadt", gibt keine Zentralperspektive vor. Von Griechenland, zum Beispiel, wird auf Brüssel geblickt, und Auschwitz, wo "Statistik" und "Schicksal" verschmelzen, ist die zweite Hauptstadt dieses Roman-Europa. Die Jury lobte an ihm, er mache unmissverständlich klar: "Die Ökonomie allein, sie wird uns keine friedliche Zukunft sichern können." Der Roman ist aber zugleich extrem sarkastisch gegenüber der Illusion, die Kultur sei dafür besser geeignet. Er feiert nicht die Literatur als Retterin. Das ist seine Stärke.

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