Nachwuchs macht seinem Unmut Luft:Protest gegen Arbeitsbedingungen

Die Auszubildenden der Krankenpflegeschule fühlen sich auf den Stationen des Dachauer Klinikums allein gelassen. Die Gewerkschaft Verdi fordert einen vom Gesetzgeber vorgegebenen Pflegeschlüssel

Von Wolfgang Eitler, Dachau

Trotz der öffentlichen Proteste und Demonstrationen von Pflegekräften gegen ihre Arbeitsbelastung am Helios-Klinikum in Dachau behandelt der Kreistag den aktuellen Situationsbericht am Freitag, 13. Oktober, bis auf die Bilanz für 2016 im nichtöffentlichen Teil der Sitzung. Dagegen verwahren sich Freie Wähler und Grüne. Sie fordern Landrat Stefan Löwl (CSU) auf, in einer der nächsten Kreistagssitzungen die Probleme am Dachauer Klinikum endlich offen und schonungslos zu besprechen. Der Landkreis Dachau hält an der Aktiengesellschaft noch einen Anteil von 5,1 Prozent. Die Mehrheit besitzt die Helios Kliniken GmbH in Berlin, der zur Zeit größte deutsche Klinikbetreiber mit mehr als 110 Häusern.

Landrat Löwl begründete die Nichtöffentlichkeit der Beratung über die Helios Amperklinikum AG gegenüber Kreisräten mit der Umbruchsituation, in der sich das Unternehmen wegen des personellen Wechsels an der Spitze befinde. Der bisherige Geschäftsführer Christoph Engelbrecht hat zum 30. September gekündigt. Nachfolger Thomas Eberl müsse sich erst einarbeiten. Außerdem liefen gerade die Tarifverhandlungen, in die sich die Kreispolitik nicht einmischen wolle. Der SZ ließ er mitteilen, dass "gesellschaftsrechtliche Themen behandelt werden".

"Helfe ich jetzt und riskiere einen Fehler und mache etwas, das ich nicht darf oder noch gar nicht kann?"

Insofern werden die Krankenpflegeschüler nicht erfahren, ob ihr Protest vom Dienstagmorgen bei den Kreisräten irgendeine Resonanz erfahren hat. Dabei haben sie teils Erschreckendes zu erzählen: Wie sie sich auf Stationen alleingelassen fühlen, wie sie ohne Anleitung durch ausgebildete Pflegekräfte Medikamente verabreichten, oder wie sie hilflos Ärzte um Rat fragten und nur die Antwort erhielten, doch auf einer anderen Station um Rat nachzufragen. "Wir standen jeden Tag vor der Entscheidung: Helfe ich jetzt und riskiere einen Fehler und mache etwas, das ich nicht darf oder noch gar nicht kann? Oder mache ich gar nichts. Aber es war ja niemand da."

Dazu heißt es von der Helios-Pressesprecherin Katharina Mathern, dass auf jeder Station "immer eine examinierte Kraft dabei sein muss". Sie fügt hinzu, dass das Unternehmen es "gar nicht zulassen" dürfe, gegen das Gebot der Betreuung zu verstoßen. Einerseits steht Aussage gegen Aussage. Andererseits passen die Schilderungen der Auszubildenden an der Helios-Krankenpflegeschule in das Bild, das Pflegekräfte, Betriebsrat und die Gewerkschaft Verdi seit Monaten skizzieren.

"Jeden Tag sehen wir Krankenschwestern, die vor Erschöpfung weinen"

Zu der Protestveranstaltung ist auch die maßgebliche Gesundheitsexpertin von Verdi für ganz Deutschland gekommen. Sylvia Bühler verhandelt den Konzerntarifvertrag für Helios und erklärt im Gespräch mit der SZ das "System Helios", wie sie sagt. Demnach arbeitet das Unternehmen stets nach dem gleichen Prinzip. Es verlagert die Verantwortung für die Pflege auf die einzelnen Stationen und wirbt für dieses Prinzip als eines, das den Mitarbeitern Gestaltungsspielraum gewährleiste. Aber angesichts der engen personellen Ausstattung zwinge es die Pflegekräfte dazu, täglich über ihre Grenzen der Belastung hinauszugehen. Dachauer Auszubildenden sagen dazu: "Jeden Tag sehen wir Krankenschwestern, die vor Erschöpfung weinen." Deshalb ruft Bühler zum Protest auf und wirbt für die bundesweite Verdi-Aktion für einen vom Gesetzgeber vorgegebenen Pflegeschlüssel. Denn nur dann würden Standards geschaffen, welche die Kliniken nicht mehr unterlaufen dürften.

Die Proteste in Dachau und die öffentlichen Diskussionen über die Qualität der Pflege und den Pflegenotstand bindet Verdi-Expertin Sylvia Bühler in die aktuelle bundespolitische Debatte ein. Denn die zentrale Ursache für diese fatale Entwicklung hin zu einer vernachlässigten Pflege und der ständigen Rationalisierung sieht sie in der radikalen Änderung der Gesundheitspolitik Mitte der 90er Jahre. Damals wurden die sogenannten Fallpauschalen eingeführt, welche die Privatisierung von Kliniken beförderten. Jetzt wurden medizinische Leistungen zur lukrativen Einnahmequelle - wenn beim Pflegepersonal so gespart wird, dass die Pauschale über den tatsächlichen Kosten liegt. Von dieser Woge der Privatisierung hat sich anscheinend auch der Landkreis mitreißen lassen. Dazu sagt Bühler: "Die Kommunalpolitik hätte gut daran getan, diese wichtige Aufgabe der Daseinsvorsorge zu gestalten, statt sie den Privaten zu überlassen." Die Welle der Privatisierung kommunaler Häuser ist abgeebbt. Jetzt könnten Unternehmen wie Helios nicht mehr die Gewinnmargen erhöhen, indem sie Kliniken kauften. Sie würden zur Profitmaximierung die bestehenden Kliniken "wie Zitronen auspressen".

Der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler, Michael Reindl, wirft dem Dachauer Landrat Stefan Löwl (CSU) vor, sich an diesem System der ständigen Rationalisierung willfährig zu beteiligen: "Der Landrat spricht in erster Linie als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender von Helios in Dachau und vertritt in keinster Weise mehr die Interessen der Bürger und des Kreistags." Die Fraktion der Freien Wähler fühle sich in der Haltung bestätigt, sich gegen die Privatisierung der Kliniken in Dachau und Markt Indersdorf gewehrt und auch dagegen gestimmt zu haben. Reindl bezieht sich in seiner Kritik auf eine Äußerung des Landrats bei den ersten Verdi-Protesten für einen besseren Tarifvertrag am Klinikum, der einen Pflegeschlüssel enthalten soll. Löwl sagte der SZ vor ungefähr drei Wochen im Gegensatz zu den alarmierenden Stellungnahmen von Pflegekräften: "Wir sind auf einem guten Weg." Er warnte davor, die Pflege am Klinikum Dachau schlecht zureden.

Grünen-Sprecherin Marese Hoffmann will sich zwar nicht am "Privatkrieg zwischen Reindl und Löwl" beteiligen. Aber die Äußerungen des Landrats bezeichnet sie als nicht angemessen. "Die Not der Pflegenden so abzutun, ist grauenhaft." Nach eingehenden Gesprächen mit Personal und Patienten kann sie nur noch sagen: "Es ist zum Verzweifeln. Die Berichte schnüren einem das Herz ein."

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