Auf der "Queen Elizabeth":Mehr Good Old England ist kaum möglich

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Regierungskrise, schwaches Pfund, Brexit-Sorgen? Nicht auf der "Queen Elizabeth". Dort feiern die Passagiere weiter ihre Britishness, als wären sie im Film "Titanic".

Von Verena Mayer

England, endlich. Das ältere Ehepaar setzt sich zum Tee und bestellt Gurkensandwiches. An den Wänden des Saales hängen Ölgemälde mit den schönsten Schlössern des Vereinigten Königreichs, Windsor, Sandringham, Balmoral, und auf dem Weg hierher sind die beiden schon an einer riesigen Büste der Queen vorbeigegangen. Sie sah aus, als würde sie ihnen zunicken. Das Ehepaar atmet tief durch, so, als seien sie nach Langem wieder zu Hause.

Dafür hätten sie allerdings nicht auf ein Kreuzfahrtschiff gehen müssen, die beiden Rentner kommen schließlich aus Windsor. Doch für Briten ist das Leben derzeit nicht einfach. Das Pfund ist gefallen, die Stimmung im Land auf dem Nullpunkt, und überall, wo man hinkommt, hört man komische Fragen zum Brexit. Dagegen hier, auf diesem Schiff: ein Platz zum Krocketspielen, ein Pub namens "Golden Lion Club", Läden, in denen Burberry-Jacken verkauft werden, und gerade formieren sich beim High Tea die Kellner zu einer Art Ballett, um Earl Grey auszuschenken. Kurz: Mehr Good Old England ist kaum möglich.

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(Foto: Verena Mayer)

Hier ist die Welt noch in Ordnung: Abends ein Tänzchen mit dem Gentleman Host.

Mittags eine Partie Krocket.

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(Foto: Verena Mayer)

Nachmittags Tee mit Scones oder Gurkensandwich.

Die Queen Elizabeth, eines von drei Schiffen der britischen Reederei Cunard, ein viertes ist in Bau. Schwarzer Rumpf, weiße Decks, roter Schornstein, innen dann ausladende Freitreppen, Art-déco-Ballsäle, Kristalllüster und ein Bibliothekssaal mit Globus. Bis auf die gerahmten Zeitungsartikel aus 177 Jahren Firmengeschichte und ein paar alte Tassen von früher ist alles nachgebaut, und was aussieht wie Holz, ist meistens Kunststoff. Und dennoch wird alles getan, um bei den 2000 Passagieren das Gefühl aufkommen zu lassen, sie seien im Film "Titanic", und zwar in dem Moment, in dem Kate Winslet im Abendkleid und mit Leonardo DiCaprio am Arm zum Dinner schreitet.

Schiffe dienen ja oft als Symbol, um eine Zeit oder einen Zustand zu beschreiben. Dass man auf rauer See ist, auf unsichere Gewässer zusteuert. Die Queen Elizabeth erzählt davon, dass eine Reise eine Flucht ins Gestern sein kann. Und sei es nur für die drei Tage, die das Schiff braucht, um über Rotterdam, Zeebrügge und die Kanalinseln nach Southampton zu schippern.

Besonders weit weg ist die Gegenwart am Abend. Im Tanzsaal spielt eine Big Band Charleston, das Parkett füllt sich. Dazwischen immer wieder Herren mit dunkelblauen Sakkos und durchgedrückten Rücken, die wirken, als hätten sie in mehreren Kolonialkriegen gedient: die sogenannten Gentleman Hosts, pensionierte Offiziere oder Beamte, die alleinreisende Frauen zum Tanz auffordern oder sich mit ihnen unterhalten. Wobei man hier eher sagen müsste: Konversation betreiben. Das tut auch das ältere Ehepaar aus Windsor. Er trägt Smoking, sie hat eine Federboa umgelegt, gerade sprechen sie darüber, dass sie daheim in Windsor mal Prinz William gesehen hätten. Er ging in einen Pub und spielte dort Bingo, einfach so. Die beiden seufzen, als könnten sie sich keine bessere Gesellschaftsordnung vorstellen.

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Am nächsten Morgen legt die Queen Elizabeth auf der Kanalinsel Guernsey an. Die gehört zwar nicht zum Vereinigten Königreich, dennoch erzählt hier jeder Strand, jede Wiese, jedes Örtchen von einem idealtypischen England. Gepflegte Häuser, gestutzte Hecken, kleine Kirchen und Dorffriedhöfe. Dazwischen das Haus, in dem Victor Hugo Zuflucht suchte, als er Frankreich verlassen musste, der Schriftsteller träumte hier von einem vereinten Europa. Das steht allerdings gerade wieder in Frage. Als auf dem Tenderboot, das die Leute von ihrem Ausflug zurück auf die Queen Elizabeth bringen soll, die Bord-Ausweise kontrolliert werden, sagt ein Passagier: "Das ist, damit keine Fremden an Bord gelangen." Man würde ihm jetzt am liebsten sagen, dass er mit einer Reederei fährt, die als Migranten-Linie schlechthin berühmt wurde - der Großteil der Europäer, die im 19. und 20. Jahrhundert in Amerika ihr Glück suchten, gelangte mit Cunard über den Atlantik. Noch heute gehört die klassische Transatlantik-Strecke auf der Queen Mary 2 bei Cunard zu den beliebtesten Reisen im Luxus-Segment.

Doch auch die alteingesessenen Unternehmen leiden nach den Boomjahren der Kreuzfahrt unter dem Überangebot und der Segmentierung des Marktes. Inzwischen gibt es ja für jede Zielgruppe eigene Kreuzfahrten, für Schwule, Singles, Jazzfans, für Expeditionen genauso wie für Club-Urlaube, ja, selbst Swinger-Kreuzfahrten werden angeboten. Cunard versucht daher nun, das etwas angestaubte Image loszuwerden und jüngere Leute auf die Schiffe zu bekommen.

Wie Ian und Carl, ein Männerpaar aus Birmingham. Zusammen betreiben sie eine Tanzschule, ihre Zeit und das Geld reicht nur für einen Kurztrip. Ian sagt, als Brite müsse man einmal im Leben auf der Queen Elizabeth gewesen sein. Sein Freund Carl sagt, dass es in Zeiten wie diesen nichts Angenehmeres als Schiffsreisen gebe. Weil sie so unkompliziert und ungefährlich seien im Vergleich zum Fliegen, man keinen Terror fürchten und sich nicht bei jedem Security-Check bis auf die Unterhose ausziehen müsse. Und weil man so schön abschalten könne, wenn man abends im Smoking in einem Theatersaal sitze, in dem Britpop aus den Sechzigerjahren gespielt wird. Als sie weiterlaufen zum Poolbereich, der gestaltet ist wie ein Pavillon des Botanischen Gartens in London, fällt ihr Blick auf eine Zeitung. "Oh, guck mal, es geht wieder um Rentenkürzungen", sagt Ian. Da ist sie wieder, die britische Realität des Jahres 2017.

© SZ vom 12.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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