Völkerrechtler:Die Erklärung ist "irrelevant"

Völkerrechtler: Was hat Carles Puigdemont gesagt? Auch viele Befürworter einer Unabhängigkeit Kataloniens machte die Erklärung des Regierungschefs der Region ratlos.

Was hat Carles Puigdemont gesagt? Auch viele Befürworter einer Unabhängigkeit Kataloniens machte die Erklärung des Regierungschefs der Region ratlos.

(Foto: AFP)

Barcelona kann sich nicht auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker berufen, sagt der Augsburger Professor Christopher Vedder. Er hält das Vorgehen in Katalonien für fragwürdig - und rät Madrid zur Mäßigung.

Interview von Barbara Galaktionow

SZ: Hat Regierungschef Carles Puigdemont die Unabhängigkeit erklärt?

Christoph Vedder: Ich verstehe das nicht als formelle Unabhängigkeitserklärung. Puigdemont hat gesagt, dass er den Plan, die Unabhängigkeit von Spanien auszurufen, aufschiebt, aber nicht aufgibt. Wenn eine Unabhängigkeitserklärung überhaupt einen Sinn haben soll, muss sie an die Weltöffentlichkeit gerichtet werden. Es heißt, Puigdemont habe am Dienstag eine Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet. Solange diese aber in irgendeiner Schublade liegt, ist sie irrelevant. Sie würde im Übrigen auch nicht die tatsächliche und sofortige Unabhängigkeit zur Folge haben.

Können die Katalanen überhaupt gegen den Willen Madrids die Unabhängigkeit erklären, ohne Recht zu brechen?

Nein. Eine Abspaltung verstößt gegen die spanische Verfassung. Das steht außer Zweifel, die Verfassung sieht eine Sezession nicht vor.

Puigdemont argumentiert, die Verfassung sei während des Übergangs von der Franco-Diktatur zur Demokratie entstanden und nicht in Stein gemeißelt.

Verfassung ist Verfassung. Natürlich kann man sie ändern, aber allein in dem dafür vorgesehenen Verfahren. Wenn er das will, muss Puigdemont in Gesamtspanien dafür werben. Die Stimmen aus Katalonien reichen dafür nicht aus. Unsere westlichen Demokratien beruhen auf Demokratie plus Rechtsstaatlichkeit.

Gibt es nicht laut UN-Charta ein "Selbstbestimmungsrecht der Völker"?

Auch darauf kann sich die Regierung in Barcelona nicht berufen. Im Völkerrecht muss immer ein Ausgleich gefunden werden zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Völker und dem Recht der Staaten, ihre territoriale Integrität zu wahren. Die Katalanen sind Teil des spanischen Staatsvolkes und haben gleichberechtigten Anteil an der spanischen Staatsgewalt. Außerdem haben sie einen Autonomiestatus. Der gewährt ihnen sehr weitreichende Rechte. Damit ist ihr Selbstbestimmungsrecht geradezu in idealer Weise realisiert.

Wenn die Regierung in Madrid auf Dialogangebote aus Barcelona nicht eingeht, wird dann nicht die Frage des Selbstbestimmungsrechts relevant?

Dass die Zentralregierung den Konflikt nicht gerade klug gehandhabt hat, steht außer Frage. Jetzt, da man Puigdemonts Erklärung als Gesprächsangebot verstehen kann, die Keule auszupacken und das Autonomiestatut auszusetzen, wäre Öl ins Feuer zu gießen. Ein mögliches Selbstbestimmungsrecht der Katalanen könnte aber erst dann aufleben, wenn Madrid mit Mitteln gegen Katalonien vorgeht, die nicht nur nicht in der Verfassung vorgesehen sind, sondern ein katalanisches Volk seiner gleichberechtigten Teilhabe am spanischen politischen Willensbildungsprozess berauben würde, etwa Einschränkung der Grundrechte, "Besetzung" durch Militär oder Polizei. Gesprächsbereitschaft zu verweigern, reicht dazu nicht.

Christoph Vedder

Christoph Vedder, 70, ist emeritierter Professor für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht an der Universität Augsburg. Er hält die Unabhängigkeitserklärung der katalanischen Regierung für rechtlich unhaltbar.

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