SPD nach Hitlers Machtergreifung:Ein Nein in Lebensgefahr

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Das beleuchtete Reichstagsgebäude 1928. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Verschleppt, ermordet, in den Suizid getrieben: Klaus Schönhoven porträtiert die Schicksale der letzten SPD-Angeordneten des Reichstages.

Rezension von Robert Probst

Zum Beispiel Johannes Stelling - am 21. Juni 1933 von einem SA-Trupp in Berlin verschleppt und ermordet. Oder Ernst Heilmann - am 26. Juni 1933 verhaftet und in zahlreiche Konzentrationslager eingesperrt, am 3. April 1940 im KZ Buchenwald ermordet. Oder auch Antonie Pfülf - Selbstmord am 8. Juni 1933. Vor ihrem Tod schrieb sie: "Ich bin nicht der Mensch, der sich versteckt. Ich habe immer offen gekämpft. Aber nun ist es sinnlos geworden." Alle drei waren Mitglied der SPD-Reichstagsfraktion, sie hatten sich Hitlers "Ermächtigungsgesetz" widersetzt - und sich damit in höchste Lebensgefahr begeben.

Der Blick richtet sich stets auf Otto Wels, den Parteivorsitzenden, und seinen Auftritt am 23. März 1933, wenn von der schändlichen Selbstentmachtung des Reichstags die Rede ist. Wels verweigerte mit dem berühmten Satz: "Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht" die Zustimmung der SPD.

Klaus Schönhoven: Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht. Das Schicksal der 1933 gewählten SDP-Reichstagabgeordneten. Verlag J.H.W. Dietz Nachf. Bonn 2017, 245 Seiten, 22 Euro (Foto: J.H.W. Dietz)

Unter diesem Motto hat der Politikwissenschaftler und Parteienforscher Klaus Schönhoven die verdienstvolle Aufgabe übernommen, dem Schicksal aller SPD-Reichstagsabgeordneten des Jahres 1933 nachzuspüren. Diese Arbeit lenkt den Blick auf 120 Männer und Frauen, denen in der Tat oft sehr schnell nach dem Tag des Ermächtigungsgesetzes Freiheit oder gar das Leben genommen wurde.

Schon bald nach der letzten halbwegs freien Wahl vom 5. März bekamen viele Genossen als Vertreter des "Systems" von Weimar den Hass der neuen Herren zu spüren. Sowohl KPD- als auch SPD-Funktionäre zählten zu den ersten Opfern der Nazis - bei der entscheidenden Reichstagssitzung konnten weder die 81 KPD-Abgeordneten teilnehmen (die Sitze waren bereits auf Basis der Reichstagsbrandverordnung annulliert worden), noch 26 SPD-Abgeordnete. Keiner dieser 26 war aus freien Stücken, Angst oder Feigheit der Abstimmung ferngeblieben, schreibt Schönhoven. Am Ende gab es 444 Stimmen von der NSDAP und den bürgerlichen Parteien für die Selbstentmachtung, lediglich alle anwesenden 94 Sozialdemokraten lehnten sie ab.

Der Autor geht den Lebens- und Leidensweg der Fraktionsmitglieder nach, skizziert beispielhaft einige Parteikarrieren und wie die Nazis die Verteidiger der Demokratie in aller Öffentlichkeit drangsalierten und demütigten. So saßen etwa bereits am 23. März neun Angeordnete in "Schutzhaft", zehn waren emigriert oder dazu entschlossen. Alle mussten jederzeit mit ihrer Verhaftung rechnen.

Nach der Errichtung der Diktatur konnte keiner von ihnen mehr seines Lebens sicher sein, nur 70 der einst 120 überlebten den Mai 1945. Otto Wels, der im Exil starb, war der Redner - aber die 119 anderen haben nun auch eine Art Denkmal erhalten. Klaus Schönhoven hat sie dem Vergessenwerden entrissen.

© SZ vom 16.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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