Diskussion:Heimat Europa ist kein Widerspruch

Diskussion: "Unser Erbe ist ein zwiespältiges", sagte Johano Strasser (2.v.l.) zu Klaus Reinhardt, Ursula Münch, Josef Mederer und Norbert Göttler (von links).

"Unser Erbe ist ein zwiespältiges", sagte Johano Strasser (2.v.l.) zu Klaus Reinhardt, Ursula Münch, Josef Mederer und Norbert Göttler (von links).

(Foto: Claus Schunk)

Beim ersten Salongespräch in Haar wird über Identität, Zugehörigkeit und die Grenzen von Patriotismus diskutiert

Von Anna Reuß, Haar

Das Wort, das in unserer Sprache eine vertraute Lebenswelt und soziale Zugehörigkeit ausdrückt, gibt es in vielen Sprachen gar nicht. Es gibt zwar "home country" oder "chez moi", doch nichts vermag das zu beschreiben, was man im Deutschen mit Heimat meint. Das können Assoziationen mit dem Dorf, das man längst verlassen hat, sein oder das Gefühl der Vertrautheit, wenn man in einem Verein endlich Gleichgesinnte gefunden hat.

Diesem Begriff, über den vor der Bundestagswahl häufig gesprochen und debattiert worden ist, widmet die Fachberatung Heimatpflege fortan eine Gesprächsreihe. Jeweils im Herbst und im Frühling soll es ein Sonntagsgespräch geben, in dem sich das Thema wie ein roter Faden durch die Diskussionen zieht. So lautete der Titel der Auftaktveranstaltung am Sonntag im Kleinen Theater in Haar: "Heimat Europa?".

Hochkarätig war die Liste der Gesprächsgäste: Der gebürtige Niederländer, Politologe und Schriftsteller Johano Strasser, die Leiterin der Akademie für Politische Bildung Tutzing, Ursula Münch, der Ex-Nato-General Klaus Reinhardt sowie Bezirkstagspräsident Josef Mederer kamen nach Haar. Etwa 50 Leute besuchten die "Sonntagsmatinee", wie sie der Veranstalter nannte, und hatten ebenfalls Gelegenheit, sich an der Diskussion zu beteiligen.

Auf dem Podium im Kleinen Saal herrschte Einigkeit darüber, dass Heimat zunächst "etwas Schönes" sei. Das könne "Omas Apfelkuchen oder der Wiederaufbau des Berliner Schlosses" sein, wie der ehemalige General Reinhardt erklärte. Der Schriftsteller Johano Strasser fühle sich mittlerweile am Starnberger See genauso zuhause wie einst in seinem Kiez in Berlin. Demnach gebe es den Begriff Heimat auch im Plural.

Die Teilnehmer hinterfragten, ob "Heimat Europa" nicht ein Widerspruch sei. Sie sprachen außerdem über konkurrierende Identitäten in Europa und Flüchtlinge, die mit fremden Heimatvorstellungen zu uns kommen. Die große Frage blieb aber: Wo ist die Grenze zwischen Patriotismus und Chauvinismus?

In dem Gespräch, das Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler moderierte, wurde deutlich, dass der Begriff nicht erst unter den Nazis politisch missbraucht worden ist, sondern seit dem 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart benutzt wird, um Menschen auszugrenzen. Die Leiterin der Akademie Tutzing Münch stellte fest, die Europäisierung als Folge der Globalisierung rufe nicht bei allen Begeisterung hervor. "Es ist auch kein Zufall, dass die Heimatdebatte zeitgleich mit der sogenannten Flüchtlingskrise wieder aufgeladen wurde", sagte sie. Deshalb müsse man einen guten Weg finden, Leute zu integrieren, die nur für eine begrenzte Zeit hier leben.

Gleichzeitig schweißten Veränderungen in anderen Teilen der Welt zusammen: Laut Münch wird gerade angesichts der neuen Politik der USA den Europäern deutlich, dass sie innerhalb der Staatengemeinschaft viele Werte teilen. Trotzdem dürfe man niemandem ein Gefühl aufzwingen, sagte sie. Bei nunmehr 28 Mitgliedsstaaten sei es häufig schwierig zu erkennen, was einen Deutschen und einen Bulgaren verbindet. Reinhardt, zu dessen Aufgaben es gehörte, die polnischen, tschechischen und ungarischen Landstreitkräfte in die NATO-Strukturen zu integrieren, mahnte: "Wenn es uns nicht gelingt, diese Länder einzubinden, werden wir Schwierigkeiten haben, unsere Idee von Europa dort zu vermitteln."

"Vom Grundsatz sind wir uns einig, nur gelingt uns das?", fragte Bezirkstagspräsident Mederer daraufhin. Er sagte, nur ein "Europa der Regionen, kein Einheitsbrei" sei langfristig überzeugend. Heimat müsse "gelebt werden". Doch das schließe auch ein, anderen gegenüber offen zu sein.

Für Johano Strasser war dies eine Gelegenheit, auf das "falsche Spiel" hinzuweisen, das nun über Jahre hinweg von den Regierungen der Mitgliedsstaaten gespielt werde, "um Europa zu diskreditieren". "In Brüssel wird alles einstimmig beschlossen und den Bürgen Zuhause dann so verkauft, dass die in Brüssel an allem schuld seien." Das fördere ein Misstrauen in die europäische Politik.

Das Fazit der Runde lautete: Ja, Europa ist Heimat, doch man kann niemandem ein Wertesystem aufdrängen.

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