Wahl in Niedersachsen:Stephan Weil - Genosse der Stunde

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Der Sozialdemokrat hat bei der Landtagswahl in Niedersachsen mit Kampfgeist und Volksnähe eine Krise in einen Triumph verwandelt. Niemand sollte ihn unterschätzen.

Porträt von Thomas Hahn, Hannover

Am frühen Samstagabend verfinsterte sich die Welt des niedersächsischen SPD-Ministerpräsidenten Stephan Weil kurz, ein Gefühl von Vergeblichkeit überkam ihn. Hannover 96 hatte in letzter Minute gegen Eintracht Frankfurt 1:2 verloren.

Stephan Weil ist ein bekennender Fan des Bundesliga-Vereins, seine Laune und die Ergebnisse des Klubs stehen in einem direkten Zusammenhang. Aus der rot-grünen Koalition, die Weil in den vergangenen knapp fünf Jahren anführte, ist sogar zu hören, dass man ihn nach 96-Niederlagen besser nicht auf die weltlichen Themen des Politikbetriebs anspricht.

Und weil der Regierungschef mittags, bei seinem letzten Wahlkampf-Termin vor der Landtagswahl in Hildesheim, noch fröhlich posaunt hatte, erst würden die Roten von Hannover 96 beim Heimspiel drei Punkte holen und dann seine Roten von der SPD den Sieg um die Vormacht im Parlament, war er für ein paar Augenblicke sicherlich bedient.

24 Stunden später war Stephan Weils Welt wieder in Ordnung. "Das ist ein großer Abend für die niedersächsische SPD", sagte er in Hannover vor begeisterten Anhängern. Seine SPD hat die positiven Umfragen der vergangenen Tage tatsächlich ins Ziel gebracht.

Es sah nicht gut aus für ihn. Und jetzt?

Plötzlich ist sie Niedersachsens stärkste Partei und steht mit 37,7 Prozent besser da als im Januar 2013. Damals, bei der vorigen Landtagswahl, als die CDU gewann, aber um einen Sitz keine Parlamentsmehrheit mit der FDP zustande brachte. Jetzt ist Stephan Weil, 58, der Sozialdemokrat der Stunde, der mit Kampfgeist und Volksnähe eine Krisensituation in einen Triumph verwandelt hat.

Tosender Applaus empfing Weil am Sonntagabend für ein Comeback, das ihm vor wenigen Wochen kaum einer zugetraut hätte. Die SPD steckte damals im Umfrage-Tief. Die rot-grüne Koalition hatte ihre Ein-Stimmen-Mehrheit verloren, weil die Abgeordnete Elke Twesten überraschend von den Grünen zur CDU gewechselt war. Weil musste sich wegen einer Regierungserklärung zur VW-Diesel-Affäre rechtfertigen, die er den Autokonzern hatte gegenlesen lassen. Es sah nicht gut aus für ihn. Und jetzt?

Aus anderen Winkeln der Republik schaut man etwas abschätzig auf Niedersachsen, das große Bundesland zwischen Nordsee und Harz, weil es so durchschnittlich und solide wirkt. Und so schaute mancher auch auf Stephan Weil, der mit seiner kantenlosen Freundlichkeit wie der Prototyp des niedersächsischen Normalbürgers wirkt. Weil regierte fleißig und lächelte, viele seiner Statements waren zahm und oft diskret.

Aber keiner sollte Weil unterschätzen. Den netten Mann stützt ein Korsett aus klaren Prinzipien, nach denen er Politik macht und seine Leute hinter sich versammelt. Er ist ein Chef, der nicht schreien muss, um klarzumachen, was die Situation erfordert. Mit seiner ausgleichenden Art hielt er viereinhalb Jahre lang die Koalition zusammen. Keine einzige Abstimmung verlor das rot-grüne Bündnis mit der Ein-Stimmen-Mehrheit. Und als die Zeiten turbulent wurden, schlug er mit der Gelassenheit des Redlichen zurück.

Der Stil der Regierung Weil war geprägt von Bekenntnissen zu sozialem Ausgleich, Gemeinschaftsschulen, Inklusion, Umwelt- und Tierschutz in der Landwirtschaft. Bei diesen Themen wollten CDU und FDP die Rot-Grünen stellen und als chaotische Weltverbesserer überführen. Das hätte auch gelingen können auf dem Fundament einer breiten konservativen Stammwählerschaft, die es gerade in den ländlichen Gebieten Niedersachsens gibt.

Aber Weil konterte mit der Erzählung von den kalten, wirtschaftsfreundlichen Konservativen, denen jedes Mittel auf dem Weg zur Macht recht sei. Der Coup, Elke Twesten aufgenommen zu haben und so die Mehrheitsverhältnisse umzudrehen, traf die CDU wie ein moralischer Bumerang. "Das ist bis heute ein Vorgang, der bei vielen Menschen in Niedersachen in Erinnerung geblieben ist und Empörung ausgelöst hat, dass man so was nicht macht", sagte Weil bei jeder Gelegenheit. Sein Herausforderer, der CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann, 50, versuchte das Thema Twesten kurzzuhalten, aber sah dabei nicht besonders überzeugend aus.

Der Beginn des VW-Skandals lag noch bei Schwarz-Gelb

Und auch die VW-Debatte überstand Weil ohne Schaden. Den Vorwurf, er habe seine Regierungserklärung frisieren lassen, entkräftete er. Er hatte sie nur auf bedenkliche Formulierungen im komplizierten juristischen Zusammenhang prüfen lassen. Und ein knappes Jahr bevor der Vorgang Anfang August in der Bild am Sonntag erschien, hatte ihn der Wirtschaftsausschuss durchgewinkt.

Althusmann versuchte, Weil als zaghaftes Aufsichtsratsmitglied darzustellen, er sagte im TV-Duell: "Sie haben sich treiben lassen ohne Verstand und Ziel." Da bekam Weils Stimme wieder diesen spitzen Ton, den er immer bekommt, wenn ihm politische Gegner mit dem Mittel der Vereinfachung begegnen.

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Per Gesetz ist Niedersachsen 20-prozentiger Anteilseigner bei VW, dem wichtigsten Arbeitgeber des Landes, Ministerpräsident und Wirtschaftsminister sitzen im Aufsichtsrat. Das war auch schon so, als die VW-Machenschaften um eine betrügerische Abgas-Software vor etwa zehn Jahre begannen - und damals regierte Schwarz-Gelb.

Als der Skandal da war, musste Weil das tun, was auch jeder CDU-Ministerpräsident hätte tun müssen: Nach innen die Selbstherrlichkeit hochmögender Manager bremsen, aber im Interesse des Landes auch die Interessen des Unternehmens im Blick haben. Diesen Spagat schaffte Weil ordentlich, über Althusmanns Kritik lächelte er abschätzig. "Wir hatten in den zehn Jahren davor Fehlentwicklungen bei VW, die wir jetzt aufzuarbeiten haben", sagte er, "es ist beileibe nicht alles abgearbeitet."

Weil ist ein Bürgerpolitiker, der das Amt nicht als Bühne, sondern als Dienst am Gemeinwohl sieht. Als er Bürgermeister von Hannover war, setzte er sich monatlich im Fernsehen den Fragen der Bürger aus. Auch im Wahlkampf stellte er den Dialog über die markige Rede.

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