Österreich:Die EU wird das nächste Ziel der Rechtspopulisten

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Wahlkampf in Wien (Foto: REUTERS)

Rechtspopulismus ist Mainstream in Wien. Und weil Österreich schon immer Sensor war für Radikalitäten in Europa, muss sich die EU vorsehen.

Kommentar von Stefan Kornelius

Der politische Zeitgeist in Europa ist kein scheues Reh. Er huscht nicht davon, wenn ein Lüftchen die Blätter säuseln lässt. Er hat eine gute Witterung und weiß, dass die Beute noch lange nicht erlegt ist. Der Zeitgeist denkt nicht rechts oder links, er denkt populär und verkürzt gerne ein wenig. Er spielt mit der Angst und macht Lust auf einfache Hauptsätze. Er sagt große Worte wie: "Wir werden dieses Land verändern" oder "Es ist Zeit für einen neuen Stil". Der Zeitgeist ist gegen "die da oben" und "die da draußen". Er will sich Dinge "zurückholen" oder Besitzstände "verteidigen". Der Zeitgeist handelt stets aus der Defensive, er ist passiv-aggressiv. Er ist nie selbst schuld an Missständen. Und er ist lieber Opfer als Akteur.

Dieser Zeitgeist ist nun in Österreich in seiner Reinform zu betrachten. Kaum ein Land in Europa hat in kürzerer Zeit einen derartigen Schub hin zum Rechtspopulismus erlebt. Die gesellschaftliche Mitte liegt weit rechts vom bundesdeutschen Vergleichsmaß, und der Auftrag der Wähler seit diesem Sonntag ist eindeutig: Sie wollen "dieses Land verändern", sie wollen "einen neuen Stil". Diese Programm-Sätze stammen von Sebastian Kurz, demnächst wohl der jüngste Regierungschef der Welt. Was genau aber meint er damit?

In den vergangenen Monaten wurde nahezu alle Politik in Österreich über einen einzigen Leisten geschlagen. Ob Arbeitsmarkt, Sozialsystem, Bildung - es ist angeblich die Migration, es sind Flüchtlinge und Zuwanderer, die das Leben in Österreich zur Last machen. Viele Probleme, eine Ursache - selbst das glückliche Österreich wird an diese Verkürzung der Wahrheit nicht auf Dauer glauben können.

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Die Schuldigen sitzen überall, nur nicht zu Hause

Andere Populisten wie Donald Trump machen vor, was in diesem Augenblick zu tun ist: Das Problem muss nach außen verlagert werden. Die Schuldigen sitzen überall, nur nicht zu Hause. Hier wird es im Fall Österreichs spannend: Draußen, das wird im Kurz'schen Sinn die Europäische Union sein. Draußen sind all die liberalen und von der Komplexität der Probleme gebeutelten Kreaturen, die schon an Schengen gescheitert sind und am Dublin-System.

Zu den Verkürzungen des mutmaßlich nächsten Kanzlers in Wien gehört die Erzählung vom Flüchtlingsjahr 2015/16, als es Sebastian Kurz angeblich gelungen ist, mithilfe einer Allianz aus Balkan-Staaten die Route über Südosteuropa zu schließen. Dass die Wahrheit etwas komplexer war, dass am Ende ein geregeltes Verfahren mit der Türkei den Menschenzug stoppte und nicht ein Stacheldrahtzaun, dass am Ende die Offenheit von Europas Binnenmarkt oder der Frieden auf dem Balkan auf dem Spiel standen - geschenkt. Kurz hat bewiesen, dass er sich besonders wohl in der Rolle des einsamen Helden fühlt. Im Märchen beweist sich dieser Held im Kampf gegen einen mächtigen Finsterling. Im heutigen Europa wird es Deutschland sein, das diese Rolle zu übernehmen hat.

Vor 17 Jahren hat die EU harte Sanktionen gegen Österreich verhängt, weil ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel ein Bündnis mit der rechtspopulistischen FPÖ eingegangen war. Heute ist die ÖVP selbst rechtspopulistisch und findet sich in Europa in derselben Parteienfamilie wie Forza Italia, die ungarische Fidesz und die kroatische HDZ. Die FPÖ ist kräftig gewachsen, ihr Programm ist inzwischen Mainstream in Wien.

Österreich war immer schon so etwas wie eine europäische Wetterstation, gut dafür geeignet, die Winde des Zeitgeists zu messen. Der meteorologische Bericht vom Sonntag sagt nun, dass trotz Niederlande-Wahl, Macron und Van der Bellen der Populismus in Europa fröhlich weiterbläst. Auch in Deutschland wurde er gerade in einer Stärke von fast 13 Prozent gemessen. Als Nächstes wird die Union der Europäer diesen Wind zu spüren bekommen.

© SZ vom 17.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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