Handkuss:Eine männliche Geste der Unterdrückung oder seelische Hingabe?

Deutschland Berlin Bundeskanzleramt Empfang des Runden Tisches Frauen in Kultur und Medien durch

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Volker Schlöndorff.

(Foto: Christian Thiel/imago)

Männer, die heute noch Hände küssen, sind entweder Österreicher, Clowns, Bourbonen, Kardinäle, Karnevalisten oder FDP-Mitglieder. Eine kleine Kulturgeschichte des öffentlichen Handkusses.

Von Martin Zips

Ein Luft-Bussi wäre überhaupt kein Problem gewesen, doch Wolfgang Kubicki wählte: den Handkuss. Das war ein Fehler! Männer, die heute noch Hände küssen, sind entweder Österreicher, Clowns, Bourbonen, Kardinäle, Karnevalisten oder FDP-Mitglieder. Als Kubicki vor wenigen Tagen seine Lippen nur knapp über dem Handrücken von Katrin Göring-Eckardt, 51, bremste, wurde er von Cem Özdemir, 51, ermahnt: "Und meine Hand küsste auch?" Kubicki, 65: "Ich bin zwar für die Ehe für alle, aber soweit geht's nicht."

Ein shitstorm-reifer Altherrenlacher, den man schon längst vergessen hätte, wenn Kubicki am Sonntagabend nicht von Anne Will, ebenfalls 51, in ihrer Talkshow zu einer öffentlichen Entschuldigung genötigt worden wäre. Nicht allein für den Handkuss, vor allem für das Zitat, "die notorisch moralische Attitüde von Frau Göring-Eckardt" treibe seinen "Blutdruck" zuverlässig "in die Höhe". Von der Moderatorin befragt, raunte Kubicki schließlich entnervt in Richtung der Grünen: "Ich werde nie wieder in meinem Leben versuchen, Ihnen einen Handkuss zu geben."

Da war er wieder, dieser unüberbrückbare Graben zwischen den Geschlechtern. Auf der einen Seite: Frauen, die im Handkuss nichts anderes sehen als nur eine weitere männliche Geste der Unterdrückung. Auf der anderen Seite: Männer, die vom Liedgut Fritz Rotters ("Ich küsse Ihre Hand, Madame,/und träum', es war Ihr Mund") gleichermaßen geprägt wurden wie von den Benimmregeln eines Adolph Knigge (ein Handkuss steht einer Dame nur dann zu, "wenn sie verheiratet, beziehungsweise älter als 30 Jahre ist").

Kulturhistorisch steckt hinter dem Handkuss freilich nichts anderes als der Gedanke seelischer Hingabe, Freundschaft und Verehrung. So bedeutet das babylonische Wort für "beten" (suppû) ursprünglich "Kusshand". Über diese glaubte der antike Mensch Kontakt zu unerreichbaren Gestirnen und Gottheiten aufzunehmen. Eine hübsche Idee, die später inflationäre Verwendung fand: Plötzlich ließ sich auch der Adel und die hohe Geistlichkeit ihre Siegelringe küssen, um sich der Unterwürfigkeit ihrer Untertanen zu versichern.

Ist Göring-Eckardt für Kubicki ein unerreichbares Gestirn? Oder möchte er sie nur unterwerfen? War es nicht ziemlich männerfeindlich von ihm, nicht auch die Hand von Özdemir geküsst zu haben? Für die Koalitionsverhandlungen könnten Antworten auf diese Fragen nicht uninteressant sein. Es ist ja schon ein Unterschied, ob man sich fremden Extremitäten aus absolut ehrlicher Bewunderung nähert, wie zum Beispiel einst Volker Schlöndorff bei Angela Merkel. Oder ob man eine eher utilitaristische Variante wählt, wie Silvio Berlusconi, der einst dem libyschen Diktator al-Gaddafi ähnlich am Handrücken klebte wie der Unbekannte, der kürzlich in Bad Vilbel einer Seniorin sodann die 40 000 Euro teure Uhr entriss. Klar ist: Sollte Kubicki weiteren Diskussionen aus dem Weg gehen wollen, sollte er künftig nur noch Luft-Bussis verteilen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: