Kurzkritik:Packende Erzählungen

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Pohl und Krampen bieten einen emotionssreichen Liederabend

Von Reinhard Palmer, Tutzing

Nach vierhändigen Klavierwerken und Streichquartetten fehlte nur noch der Liederabend, um alle Werke, die in Tutzing entstanden sind, im diesjährigen Festival aufgeführt zu haben. Zum 20. Jubiläum der Tutzinger Brahmstage durften daher die Lieder des op. 59 des Komponisten aus jenem Sommer 1873 in Tutzing nicht fehlen - auch wenn Liederabende heutzutage offenbar nur noch wenige Liebhaber ansprechen. Das Kunstlied an sich gehört aber im Werk von Brahms zu den feinsten Gattungen - was auch garantiert, dass sich der Saal des Tutzinger Schlosses selbst bei den Liederabenden immer noch vergleichsweise gut füllt.

Natürlich geht es bei Brahms längst schon um kein Strophenlied mehr, sondern um ein vollständig durchkomponiertes, präzise gestaltetes Lied, das der sorgfältig analysierten Dramaturgie des Textes folgt und aus ihr heraus zur musikalischen Entwicklung gelangt. Der warme Bariton von Christoph Pohl bot dafür ein wohliges Timbre, das vor allem der Romantik der Brahms-Lieder besonders entgegenkam. Aber Pohls Stimme verfügt auch über die nötige Flexibilität in der Stimme, dem reichhaltigen emotionalen Changieren adäquate Färbungen zu verleihen. Vor allem hielt sie auch reichlich Substanz für Verdichtungen und dramatische Höhepunkte parat, die diese Lieder letztendlich vom älteren biedermeierlichen Impetus deutlich absetzen. Es ist bei Brahms zweifelsohne von Vorteil, sowohl im Opern- wie im Lied-Fach zu Hause zu sein, zumal der Klavierpart, den der Komponist oft selbst übernahm, einen substanzvoll-intensiven Tonsatz darstellt, der entsprechend ausbalanciert werden muss. Tobias Krampen nahm seine gleichberechtigte Aufgabe wahr und gestaltete mit Pohl so packende Erzählungen von überaus ansprechender Diktion. Dem Duo ging es vor allem darum, den inhaltlichen Wechseln von Stimmungen eine übergreifende, konsistente Form zu geben. Dabei blieb auch Raum für emotionale Ausprägungen, die eine zeitgemäß verträgliche Ausdrucksform finden, obwohl ja Gedichte etwa von Heine, Groth, Daumer oder Goethe für heutige Ohren schon reichlich pathetisch klingen können. Eine große Aufgabe, denn das Programm bot doch ein breites charakterliches Spektrum: Von düsterer Schwere in "Nicht mehr zu Dir zu gehen" und dunkler getragenen Malerei in "Unbewegte laue Luft" bis hin zu ruhig fließender Schönmelodik in "Über die Heide", "Sommerabend" oder "Dein blaues Auge". Ob schaurig in "Der Tod, das ist die kühle Nacht", dramatisch in "Mehrfahrt", aufgewühlt in "Eine gute, gute Nacht" oder mit fröhlich bewegtem Blühen in "Es liebt sich so lieblich im Lenze": Kaum eine emotionale Ausprägung blieb im Programm unbeachtet. Das Publikum im Schloss reagierte mit frenetischer Begeisterung, die sich auch noch nach der Zugabe hielt.

© SZ vom 24.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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