Spanien:Ist Barcelona zu geizig oder Madrid zu gierig?

Pro-unity demonstrators wave the Spanish and Catalan flags as they gather in Barcelona

Demonstranten für die Einheit schwenken in Barcelona katalanische und spanische Flaggen.

(Foto: REUTERS)

Kataloniens Kampf um Unabhängigkeit ist auch ein Kampf gegen den intransparenten Fiskalpakt. Mit ein wenig Dialogbereitschaft hätte er sich verhindern lassen.

Von Thomas Urban, Madrid

In der Krise um die Zukunft der wirtschaftsstarken Industrie- und Tourismusregion Katalonien hat sich erwartungsgemäß die Zentralregierung in Madrid durchgesetzt: Die katalanische Führung will zwar ihre Absetzung nicht hinnehmen, hat aber kaum Mittel, dies zu verhindern. Das jüngste Kapitel in dem alten Konflikt hat ganz banal angefangen: Es war ein Streit um Geld, um den Finanzausgleich zwischen den 17 spanischen Regionen.

Der Beginn dieses Kapitels lässt sich datieren: Es war der 20. September 2012. Der damalige katalanische Regionalpräsident Artur Mas war nach Madrid zu Gesprächen mit dem neuen spanischen Premierminister Mariano Rajoy gekommen. Sie waren sich einig, dass drastische Sparmaßnahmen unvermeidlich seien. Doch dann äußerte Mas den Wunsch, über eine Reform des Finanzausgleichs zu sprechen, da dieser Katalonien weit über das geforderte Maß an Loyalität unter den Regionen belaste. Rajoy entgegnete sehr kühl, dass dieses Thema nicht zur Debatte stehe, Priorität habe die Bewältigung der Krise.

Der damalige Wirtschaftsminister der Region, Andreu Mas-Colell, hatte zwei Jahre zuvor eine Studie vorgelegt, dass im Durchschnitt acht Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung Kataloniens in andere Regionen abfließt, es also mit großem Abstand die Liste der Nettozahler anführt. 2009 belief sich das Minus für Katalonien demnach auf 16,4 Milliarden Euro. Mas-Colell ist kein wichtigtuerischer Regionalpolitiker, sondern eine wissenschaftliche Autorität: Er hat viele Jahre in Berkeley und in Harvard gelehrt und gehört der Akademie der Wissenschaften der USA an.

Im selben Jahr 2010 hatte das Verfassungsgericht auf Einspruch der von Rajoy geführten konservativen Volkspartei (PP) das Autonomiestatut für Katalonien annulliert, obwohl es bereits von den Parlamenten angenommen, von den Katalanen in einem Referendum bestätigt und sogar von König Juan Carlos unterzeichnet worden war. Rajoy hatte sich unter anderem an der Präambel gestört, in der von "katalanischer Nation" die Rede war. Das Statut hatte auch vorgesehen, dass das Gros des Steueraufkommens der Katalanen von Barcelona selbstbestimmt verwendet wird, so wie im Baskenland. Es war bei den Basken eine überaus erfolgreiche Maßnahme gegen den Separatismus, wie ihn in extremer Weise die Terrororganisation Eta verkörperte.

Den Finanzausgleich regelt kein Gesetz, sondern Madrid

Mit der Annullierung des katalanischen Statuts hatte Barcelona weiterhin mehr als 90 Prozent der Steuermittel an Madrid abzuführen. Der Finanzminister der Zentralregierung befindet über ihre Verteilung. Allerdings ist der regionale Finanzausgleich kein Gesetzeswerk, das von Madrid und den Regionalregierungen gemeinsam beschlossen wird und somit verbindliche Zahlen ausweist, mit denen jede Region kalkulieren kann. Vielmehr trifft die Zentralregierung die Entscheidungen allein. Den Löwenanteil machen feste Posten aus, nämlich die Ausgaben für den öffentlichen Dienst. Doch Investitionen in vielen Bereichen, von der Infrastruktur über Bildung bis zur Kunstförderung, werden einzeln ausgehandelt.

In Barcelona wird geklagt, dass die Finanzminister in Madrid bisher jeweils die Regionalregierungen begünstigt haben, die von ihrer eigenen Partei gestellt wurden. In Spanien regierten abwechselnd die Konservativen (PP) und die Sozialisten (PSOE), doch die katalanischen Regionalparteien, die in Barcelona meist den Premier stellten, haben keine Lobby in Madrid. Der Wirtschaftsprofessor Mas-Colell, der Autor der Expertise über das finanzielle Ungleichgewicht, berichtete von demütigendem Antichambrieren in der Madrider Ministerialbürokratie.

"Melken der katalanischen Kuh"

Die Regierung Rajoy versuchte, die Expertise Mas-Colells zu diskreditieren: Eigentlicher Hintergrund sei der sprichwörtliche Geiz der reichen Katalanen, ihnen fehle es an Solidarität mit den ärmeren Regionen. In Barcelona wurde auf die gigantischen Korruptionsaffären verwiesen, in die Regionalpolitiker der PP und der PSOE verwickelt sind. Diplomaten und Ökonomen sind sich in ihrer Beurteilung des Konflikts nicht einig, denn die Zentralregierung legt dazu völlig andere Zahlen als Barcelona vor. Unbestritten ist nur, dass der Finanzausgleich von Madrid willkürlich und überaus intransparent gehandhabt wird.

Jedenfalls griffen Verfechter der katalanischen Unabhängigkeit, bis 2012 eine Randgruppe, das Thema auf, das Schlagwort von der "Ausplünderung Kataloniens" machte die Runde. Der als ungerecht gegeißelte Fiskalpakt gab ihnen großen Auftrieb. Rajoy erkannt nicht, welches Gewicht das Thema bekam, und lehnte nach wie vor eine Reform ab. Auch begriff er nicht, dass Artur Mas darauf beharrte, weil er nach der von Rajoy betriebenen Annullierung des Autonomiestatuts seinen katalanischen Landsleuten zumindest einen Kompromiss bieten musste.

Die brüske Ablehnung aller Vorschläge Barcelonas durch Rajoy wurde in Katalonien als doppelte Niederlage angesehen: kein neues Autonomiestatut und fortwährendes "Melken der katalanischen Kuh". Angesichts dieser Blockadepolitik Madrids vollzog Mas, der bisher die Unabhängigkeit Kataloniens abgelehnt hatte, einen Schwenk: Die von ihm geführten Liberalkonservativen in Barcelona schlossen sich mit den Independistas, den Befürwortern der Abspaltung von Spanien, zusammen. Bei den Regionalwahlen 2015 bekamen sie gemeinsam 72 der 135 Sitze im Parlament zu Barcelona, allerdings nur 48 Prozent der Wählerstimmen. Mas' Nachfolger Carles Puigdemont verschärfte den von diesem eingeleiteten Sezessionskurs.

Jenseits der Zahlen verweisen die Katalanen auf Offensichtliches: Ein Vergleich der Autobahnanbindungen und der U-Bahnen fällt eindeutig zu Gunsten Madrids aus. Der Hauptbahnhof der Hafenstadt Tarragona, eines Knotenpunkts für Import und Export, ist in erbärmlichem Zustand, aber in Zentralspanien wurden modernste Bahnhofskathedralen an Höchstgeschwindigkeitstrassen gebaut, die nicht ausgelastet sind. In Katalonien ist vieles in der Infrastruktur veraltet und ausbaufähig. Auf dem Flughafen Madrid-Barajas sind die Gehälter der Sicherheitsleute 25 Prozent höher als in Barcelona-Prats, obwohl beide Gruppen vom Innenministerium bezahlt werden. In der Region Madrid befinden sich fast alle neuen staatlichen Forschungsinstitute, in Barcelona aber keines.

Reden alle Regionen mit, wird Katalonien überstimmt

Rajoy steht in den Augen der Katalanen für die Stärkung des Zentralstaats. In Barcelona, dem Zentrum der spanischen Computerindustrie und IT-Firmen, aber ist man der Meinung, man würde die eigene Region besser allein verwalten und international konkurrenzfähig halten. Die spanische Bürokratie sowie die ärmeren Regionen werden als Klotz am Bein begriffen. Erst Anfang dieses Jahres kamen erste Signale aus dem Kabinett Rajoy, dass man in Madrid doch auf die Forderung nach einer Reform des Fiskalpakts eingehen könnte.

Allerdings zeigte sich rasch, dass keineswegs an bilaterale Verhandlungen gedacht war, wofür es einigen Grund gäbe, denn Katalonien ist die wirtschaftsstärkste Region. Vielmehr wollte man in Madrid alle Regionen an einen Tisch bringen. Die katalanische Führung signalisierte sofort, dass sie daran nicht interessiert sei, weil sie dann stets überstimmt würde.

Beim Thema Fiskalpakt weiß Puigdemont die überwältigende Mehrheit der Einwohner der Region hinter sich. Doch aus Angst vor den ungewissen Folgen für die Wirtschaft unterstützen deutlich weniger als 40 Prozent seinen Kurs, der auf die schnelle Trennung von Madrid abzielt. Nach Meinung zahlreicher Wirtschaftsexperten hätte Rajoy die Eskalation dieser Tage leicht verhindern können, wenn er beim Fiskalpakt von Anfang an Dialogbereitschaft bekundet hätte.

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