Doping:Als ginge es um Shampoo

Doping: Die Kommission von IOC-Mitglied Denis Oswald analysiert und bewertet im russischen Doping-Skandal die Einzelfälle.

Die Kommission von IOC-Mitglied Denis Oswald analysiert und bewertet im russischen Doping-Skandal die Einzelfälle.

(Foto: Laurent Gillieron/AP)
  • Das Internationale Olympische Komitee wählt bei der Aufarbeitung der Dopingverstöße von Sotschi ein Verfahren, das Russland sehr entgegenkommt.
  • Statt ein klares Signal an den Weltsport zu senden, lässt es die Einzelfall-Prüfung zu - als ginge es um ein kontaminiertes Haarshampoo.
  • Die ersten Fälle zeigen, warum das Verfahren absurd ist.

Von Thomas Kistner

Gute Nachricht vom Internationalen Olympischen Komitee: Über die Teilnahme russischer Sportler an den Winterspielen 2018 in Pyeongchang soll schon im Dezember entschieden werden. Und nicht erst Ende Februar oder später, wenn die Spiele vorbei sind. Ernsthafter besehen, läuft diese Hängepartie auf das hinaus, was der Großteil der Sportwelt ohnehin erwartet vom Kreml-nahen IOC; und was die Ringe-Makler bereits 2016 bei den Sommerspielen in Rio de Janeiro trotz massivster Proteste praktiziert hatten: Natürlich dürfen Moskaus Helden, ungeachtet der Belege für staatlich orchestriertes Doping, in Südkorea an den Start.

Der Türöffner ist längst gefunden, verfeinert werden muss noch die Präsentation: So massive sportpolitische Coups brauchen eine gewisse juristische Verkleidung. Wie das aussehen dürfte, offenbart nun die erste Verteidigungsschrift, die zu der Causa kursiert.

Grundsätzlich sieht der Trick pro Russland so aus: Aus Sicht des IOC braucht es in der Staatsaffäre um tausend und mehr Dopingverstöße nicht etwa ein klares Signal an den Weltsport; es braucht hier schlicht die Einzelfall-Prüfung - als ginge es um ein kontaminiertes Haarshampoo. Die Frage ist also gar nicht, ob Russlands Sport zu bestrafen ist dafür, dass bei den Winterspielen 2014 im heimischen Sotschi das Anti-Doping-Labor als Betrugsnest fungierte und positive Urine eigener Athleten mit geheimdienstlicher Akribie in negative Urine umgetauscht werden sollten. Belege dafür liefern etwa einschlägige Kratzspuren an den codierten Probenfläschchen, die der zuständige Sonderermittler Richard McLaren gefunden und überprüft hatte.

Das IOC setzt zwei Kommisionen ein

Für viele Aufrechte im Weltsport stellt sich hier eingedenk des generalstabmäßigen Betrugs die System-Frage. Der 68 Mitglieder umfassende Verbund führender nationaler Anti-Doping-Agenturen (Inado) fordert Russlands Komplett-Ausschluss von Pyeongchang, wie schon bei den Rio-Spielen. Damals hatten zudem Föderationen wie der Behinderten-Weltverband IPC und sogar der Leichtathletik-Weltverband IAAF einen Kollektiv-Bann für russische Athleten verfügt. Es geht also. Aber nun kümmert sich das IOC um die Sache.

Der Ringe-Clan hat, um der Bedeutung seiner Russland-Entscheidung quantitativ Rechnung zu tragen, gleich zwei Kommissionen eingesetzt. Die eine, unter Leitung des Schweizer Ex-Politikers Samuel Schmid, prüft das Dopingsystem als solches und will seinen Report "in den nächsten Wochen fertigstellen" - als Basis für den IOC-Entscheid im Dezember. Die andere, unter dem getreuen Schweizer IOC-Mann Dennis Oswald, kümmert sich um die Einzelfälle. Sie hat alle russischen Proben noch einmal analysiert; zudem ging sie den Fällen von 28 russischen Sotschi-Startern nach, deren Proben mutmaßlich zwecks Urin-Austausch geöffnet worden waren.

Das System Sport schützt sich selbst

Seit Montag werden die Fälle beleuchtet, zum Auftakt die der russischen Langläufer Alexander Legkow und Jewgenij Below. Deren juristische Eingabe liegt nun vor. Und sie beinhaltet all die Volten, welche die Einzelfall-Strategie des IOC ermöglicht - und die einer breit angelegten Staatsaffäre völlig unangemessen sind: Es ist halt unmöglich, in jedem Einzelfall den Dopingnachweis zu führen. Wie auch - bei Athleten, deren Urinproben ausgetauscht worden sein sollen?

Die Absurdität solcher Verfahren zeigt die Verteidigungsargumentation der Russen-Läufer: Es sei nicht mal klar, wessen Urin in den geöffneten Behälter sei; ohne DNA-Test gäbe es keinen Schuldbeweis. Und selbst wenn der Urin des Sportlers im manipulierten Gefäß sei, hieße das nichts: Er könnte auch ohne Wissen des Athleten aus Klinik-Beständen oder anderen Dopingtests herangezogen worden sein.

Kronzeuge Rodtschenkow sagt, Athleten hätten Bescheid gewusst

Nach SZ-Informationen soll der 2016 in die USA geflohene russische Ex-Anti-Doping-Chef Grigorij Rodtschenkow dem Oswald-Stab gerade noch einmal versichert haben, die Athleten hätten damals gewusst, zu welchem Zweck sie vor den Spielen sauberen Urin abliefern mussten. Aber Whistleblowern wird im Sport traditionell kaum geglaubt - raffinierte Begründung: Sie standen früher ja auf der anderen Seite.

So einfach ist das. Dabei genügen strafrechtliche Variationen nicht den Anforderungen des Sports, dessen höchstes Gut die Integrität ist: seine Glaubwürdigkeit. Wenn dank der vom IOC gewählten Verfahrensweise nun jeder Athlet behaupten kann, er habe nicht gewusst, dass sein Urin manipuliert wurde, bricht die Beweisführung zusammen. Staatlich orchestriertes Systemdoping ist der stärkste aller Angriffe auf die Integrität des Sports, es bräuchte also stärkste Sanktionen. Sonst sind Betrugssysteme gar nicht zu bestrafen. Und dann darf jede Nation ihre Athleten hinter einem Schutzwall aus staatlichem Betrug und Vertuschungstricks verstecken.

Laut McLaren-Report profitierten mehr als 1000 Athleten im russischen System. Weil das IOC für so ein Problem auf Einzelfallprüfung setzt, wird Oswalds Stab das Präjudiz geben. Es dürfte das Kernsignal dieser Branche sein: Das System Sport schützt sich selbst.

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