Kostümfilm:Von wegen schwaches Geschlecht

Florence Pugh spielt die "Lady Macbeth" im gleichnamigen Spielfilmdebüt von William Oldroyd wunderbar vieldeutig zwischen boshaftem Kind und eisiger Psychopathin.

Von Annett Scheffel

Es gibt eine Einstellung in "Lady Macbeth", zu der der Regisseur William Oldroyd immer wieder zurückkehrt. Katherine, eine junge Frau, eingesperrt in einer Ehe mit einem wohlhabenden Widerling, sitzt regungslos auf einem Mahagoni-Sofa: die Augen starr geradeaus, die dicken Falten des blauen Kleides glatt gestrichen, das blasse Gesicht eingefroren. Nur eine Katze huscht durch die stille Leere. Die Szene wirkt wie ein Ruhepunkt inmitten des Gefühlsstrudels aus Wut, Lust und Entschlossenheit, in die die Hauptfigur seines Spielfilmdebüts hinabgezogen wird.

Man kennt das Bild dieser Frau aus Kostümfilmen und den Gesellschaftsromanen des 19. Jahrhunderts. Und doch ist Katherine anders - oder besser: vieles auf einmal. Sie ist Madame Bovary und Anna Karenina, eine leidenschaftliche Frau und Gefangene der bürgerlichen Verhältnisse. Sie ist Lady Macbeth, mit einem "Ehrgeiz, zum Aufschwung eilend", wie es bei Shakespeare heißt. Und sie ist unter den schweren, viktorianischen Stoffschichten eine moderne Femme fatale, waghalsig und skrupellos.

Mit Shakespeare hat "Lady Macbeth" weniger zu tun, als der Titel vermuten ließe. Stattdessen ist Oldroyds Film eine Adaption der russischen Novelle "Die Lady Macbeth von Mzensk" von Nikolai Leskow aus dem Jahr 1865, die zur gleichen Zeit in Nordengland spielt. Wir begegnen Katherine am Traualtar, mit einem weißen Schleier vor dem Gesicht. Der reiche Kaufmann Boris hat sie zusammen mit einem Stück Land für seinen Sohn gekauft: Wie viel ihm an dieser Ehe liegt, offenbart der schroffe und impotente Bräutigam Alexander gleich in der klaustrophobischen Beengung der Hochzeitsnacht. Die endet mit einer nackten, gedemütigten, aber unberührten Katherine, die sehr bald feststellen muss, dass ihr Leben in dem großen, kalten Herrenhaus das einer Gefangenen ist.

Lady Macbeth

Sieht aus wie ein Kostümfilm, ist aber ein viktorianischer Psychothriller: Florence Pugh als „Lady Macbeth“.

(Foto: Koch Films)

Es passiert dann erst einmal wunderbar wenig in den einsamen Räumen, in denen sie fortan ihre monotonen Tage verbringt. In der Grabesstille des Hauses scheinen das Knarren der Dielen und das Stöhnen der Zugluft umso lauter. Nichts an diesem Ort darf seinen vorgesehenen Platz verlassen - kein Möbelstück oder Teekännchen, kein Bediensteter und schon gar nicht die junge Ehefrau. Darüber herrscht Schwiegervater Boris mit finsterer Miene. Es ist eine Welt ohne jede Polsterung.

Katherine wirkt in diesem Haus wie ein schläfriges Tier: ein zum Stillstand gezwungenes Wesen, sorgfältig präpariert in Reifrock und Korsett, gerahmt in fein komponierten Filmbildern, festgesteckt wie in einem Glasschaukasten, aus dem sie in die wilde Moorlandschaft hinausschaut. Doch schon bald beginnt die junge Frau, sich gegen die Langeweile aufzulehnen: erst mit viel Wein, dann mit einer stürmischen Liebesbeziehung zum Stallknecht Sebastian. Der Freiheitsdrang macht aus ihr eine Ehebrecherin, bald auch eine Mörderin.

Die 21-jährige Florence Pugh ist in der Rolle dieser jugendlich-kühnen Antiheldin eine echte Entdeckung. Und gemeinsam mit seiner Hauptdarstellerin erneuert William Oldroyd in "Lady Macbeth" ein ganzes Genre. Sein Kostümdrama ist eine minimalistisch-strenge Angelegenheit - und ein viktorianischer Psychothriller im englischen Hochmoor. Oldroyds trockener Stil erinnert mehr an die Coen-Brüder als an eine Jane-Austen-Verfilmung.

Statt großbürgerlichem Pomp, wallender Gewänder und steifer Abendgesellschaften findet der Zuschauer kühle Nüchternheit: in der Art und Weise, wie die Charaktere miteinander sprechen, in der Ausgestaltung ihres Alltags, der Einrichtung des Herrenhauses und den langen, statischen Kameraeinstellungen. Dass der psychologische Reiz der Geschichte nie verloren geht, liegt vor allem an Pughs elektrisierendem Schauspiel und ein paar raffinierten Wendungen im Drehbuch von Alice Birch.

Köstlich, wie viel Unverschämtheit und heimliche Verachtung sie in das kleine Wort "Sir" legt

Durch das Auftauchen schwarzer Charaktere wird "Lady Macbeth" zu einer scharfsinnigen Analyse der Dynamik von Klasse, Geschlecht und Rasse. Schwarz ist nicht nur Anna, Katherines Hausdame und engste, wenn auch unfreiwillige Gefährtin, sondern auch ihr Liebhaber Sebastian. Durch die Einbindung schwarzer Figuren bricht William Oldroyd mit der Konvention des Kostümfilms als abgeriegeltem Terrain einer rein weißen Gesellschaft.

Zudem erschafft die Anwesenheit dieser Figuren eine Vielzahl gesellschaftlichen Ströme und Gegenströme. Annas und Sebastians Beziehung zur weißen Hausherrin - als Frau auf anderer Ebene selbst in die Rolle der Untergebenen gezwungen - verändert und verkompliziert sich im Laufe des Films. Der Film dringt immer tiefer in das komplexe Geflecht verschiedener Machtverhältnisse ein: Mann und Frau, Reich und Arm, Weiß und Schwarz.

Bemerkenswert ist das vor allem, weil der Zuschauer schon von der Komplexität der weiblichen Hauptfigur völlig in den Bann geschlagen wird. Katherine trägt die strengen Kleider und Flechtfrisuren zwar so, wie es von einer sittsamen Ehefrau verlangt wird, aber sie weigert sich, ihr Unglück schweigend hinzunehmen. Es ist köstlich, wie viel Unverschämtheit und heimliche Verachtung Florence Pugh in das kleine Wort "Sir" legen kann.

Das ist das Spannende an ihrer Darstellung der Katherine: dass man auch, als sie bereits über ihrer zweiten Leiche steht, nie ganz sicher ist, ob man hier noch ein boshaftes Kind vor sich hat oder schon eine skrupellose Frau, eine stolze Individualistin oder eine kaltblütige Psychopathin.

Die Frage nach der Frau als Opfer wird hier so oft gedreht und gewendet, dass man auf wunderbare Weise durcheinanderkommt. Eben diese Uneindeutigkeiten machen "Lady Macbeth" zu einer kleinen Sensation.

Lady Macbeth, Großbritannien 2016 - Regie: William Oldroyd. Buch: Alice Brich. Kamera: Ari Wegner. Schnitt: Nick Emerson. Mit: Florence Pugh, Cosmo Jarvis, Naomi Ackie, Christopher Fairbank, Paul Hilton. Koch Films, 89 Minuten.

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