Elektroautos:Gib Stoff

Strom statt Waschbenzin: Gut 130 Jahre nach Erfindung des Automobils stellt sich wieder die Frage: Wo sollen die Fahrzeuge eigentlich tanken?

Von Max Hägler und Stefan Mayr, Stuttgart/München

Es war im August 1888, der genaue Tag ist nicht überliefert. Zusammen mit ihren halbwüchsigen Söhnen Eugen und Richard setzte sich Bertha Benz ans Steuer des dreirädrigen Patent-Motorwagens Nummer 3 und fuhr von Mannheim nach Pforzheim. Die Reise ging 100 Kilometer lang über Stock und Stein; es war die wohl erste Fernfahrt eines Automobils - und zeigte den Skeptikern, dass man von nun an auch ohne Pferde vorankommen kann. Unterwegs ging der energischen Pionierin freilich schon auf halber Strecke der Sprit aus. Sie musste in Wiesloch bei Heidelberg, nun ja, nachtanken. Das Verb passt nicht ganz. Denn der dortige Stadtapotheker Willy Ockel half ihr mit einer Flasche Ligroin aus. Ligroin ist ein Leichtbenzin, das damals in kleinsten Mengen als Fleckenwasser an Hausfrauen abgegeben wurde. Bertha Benz wollte damals aber gleich mehrere Liter haben - sehr zum Erstaunen des Apothekers. Sie kippte die Flüssigkeit in den Tank und setzte ihre Fahrt auf ihrer komischen pferdelosen Kutsche fort. Und die Stadtapotheke wurde quasi die erste Tankstelle der Welt.

Gut 130 Jahre nach der Erfindung des Automobils im Jahr 1886 stehen die heutigen Pioniere der Fortbewegung vor ähnlichen Problemen: Was damals das Waschbenzin war, das ist heute der Strom.

Autos verkaufen sich nur, wenn man sie auch betanken kann

Wer sich aufmacht mit einem dieser neuartigen Elektrowagen, der tut sich oft schwer mit dem Nachladen - weil kaum Zapfsäulen zu finden sind, also Steckdosen. Zu den Urzeiten des Automobils sprangen Apotheken, Drogerien und auch Schmieden ein, die aus allerlei Behältnissen Benzinderivate verkauften. So ähnlich ist das heute mit dem Strom. Allerlei Steckdosen und Versorgungsfirmen und Kabel gibt es, völlig unkoordiniert bieten sie Energie an - oder auch nicht.

Elektroautos: Die Zukunft: Während das Auto lädt, soll man in der Stromtankstelle an der A8 bei Zusmarshausen einkaufen oder konferieren können. Der Fahrer gibt einfach an, wann er das Fahrzeug wieder abholt.

Die Zukunft: Während das Auto lädt, soll man in der Stromtankstelle an der A8 bei Zusmarshausen einkaufen oder konferieren können. Der Fahrer gibt einfach an, wann er das Fahrzeug wieder abholt.

(Foto: oh)

An diesem Freitag hat nun ein Konsortium von vier Autoherstellern die Arbeit aufgenommen, um Elektrowagen zuverlässiger mit Strom zu versorgen. Der gemeinsame Plan von BMW, Daimler, Ford und dem Volkswagen-Konzern: 400 Strom-Tankstellen in ganz Europa. Ein teures Vorhaben, das viele Millionen Euro Investitionen erfordert und beinahe zwei Jahre Vorlauf brauchte. Und doch macht diese so kleine Zahl der Ladestationen deutlich, dass die Elektromobilität noch ganz am Anfang steht. Zum Vergleich: Derzeit gibt es allein in Deutschland 14 000 Tankstellen, die Benzin und Diesel verkaufen.

Unter dem sperrigen Namen Ionity sollen Autos auf Fernstraßen geladen werden, mit 350 Kilowatt, zehn mal so schnell wie an den wenigen Ladesäulen, die bereits stehen. Wieso die Autoindustrie nun Tankstellen baut? Weil alle anderen zögern. Denn die Stationen sind teuer und noch weiß keiner so recht, wann sie sich bezahlt machen. Eine Schnellladesäule, an der zwei Autos angestöpselt werden können, kostet leicht einen sechsstelligen Euro-Betrag, und stehen mehrere Säulen nebeneinander, wie bei einer richtigen Tankstelle, müssen die Zuleitungen dick sein und mit Mittelspannung arbeiten, wie die Techniker sagen.

Bertha Benz kauft Kraftstoff, 1888

Die Vergangenheit: Bertha Benz hielt 1888 in Wiesloch, um in der Apotheke eine Flasche Ligroin zu kaufen.

(Foto: SZ Photo)

Es braucht also Strom, Platz und Technik - das kostet Geld, das sich wohl erst einige Jahre später wieder einspielt. Derzeit fahren nur 45 000 Elektroautos in Deutschland. Der Energieversorger EnBW, der schon einige Stromtankstellen aufgebaut hat, zählt an diesen durchschnittlich nur 0,6 Ladevorgänge pro Tag. Das Geschäftsmodell funktioniert also erst in Zukunft, nach langem Anlauf. "Deswegen gehen wir als Industrie in Vorleistung in diesem Feld, das nicht unser angestammtes ist, auch wenn sich diese Säulen nicht sofort rechnen werden", sagt BMW-Chef Harald Krüger. "Wir haben innerhalb Deutschlands große Unterschiede in der Versorgung, aber auch innerhalb Europas - und das wollen wir gemeinsam auf wichtigen Fernstraßen ausgleichen."

In gewisser Weise sei die Autoindustrie damit "Pionier". So wie vor 130 Jahren Carl Benz und seine Ehefrau Bertha. Oder anders gesagt: "Wenn keine Infrastruktur da ist, kaufen die Menschen keine Autos", meint Krüger. "Das bedingt sich gegenseitig." Und das ist ein Problem, denn die Fahrzeugindustrie muss in den kommenden Jahren mindestens einen Teil ihrer Flotte elektrifizieren. Anders als mit solchen Null-Emissions-Autos sind die harten Abgasvorschriften der Europäischen Union bald nicht mehr zu erfüllen.

Tankstelle in der Nähe von München, 1960

In den Sechzigern waren Tankstellen das Symbol des Wirtschaftsaufschwungs.

(Foto: Fritz Neuwirth)

Bei der passenden Infrastruktur geht es allerdings völlig ungeordnet zu. Denn in Deutschland müssen die Säulen zwar der Bundesnetzagentur gemeldet werden, damit beim Laden nicht das Stromnetz aus dem Tritt kommt. Und es gibt mittlerweile diverse Millionen-Subventionen von der EU und auch der Bundesregierung, die den Bau von Stromtankstellen unterstützen und von denen auch das Ionity-Konsortium profitiert.

Aber die Standorte regelt allein der Markt: Wo viel Verkehr ist, wird eher gebaut. So will die schwäbische Firma Sortimo an der Autobahn A8 in Zusmarshausen bei Augsburg bereits im kommenden Jahr die angeblich größte Stromtankstelle der Welt in Betrieb nehmen: 144 Steckdosen wird sie haben. In Städten kümmern sich oft die lokalen Stadtwerke um Steckdosen, aber mit völlig unterschiedlichem Enthusiasmus: In Solingen oder Duisburg gibt es praktisch keine Steckdosen, auch München ist eher schlecht abgedeckt. Viel besser versorgt ist Stuttgart, wo EnBW für Ladepunkte sorgt. Nun will der staatseigene Energiekonzern bis zum Jahr 2020 in ganz Deutschland einen dreistelligen Millionenbetrag in stärkere Stromleitungen und 1000 Ladesäulen investieren und damit zum Marktführer werden. Doch tut sich allenthalben ein Problem auf, das es damals bei Bertha Benz noch nicht gab: Wie kommt die Energie ins Auto? Und wie bezahlt man? Statt eines Trichters braucht es Stecker, die aber immer noch nicht einheitlich sind. Im Schnellladebereich sind drei verschiedene auf dem Markt. Auch das Zahlen ist kompliziert: Anstatt Bargeld auf die Theke zu legen, müssen derzeit Automaten bedient werden, die oft nur mit irgendwelchen Zahlkarten funktionieren. Der Preis ist dabei weit unklarer als in der Apotheke oder den Tankstellen mit ihren Preistafeln: Manche Systeme berechnen die Zeit, in der das Kabel mit dem Auto verbunden ist - damit der Parkplatz recht schnell wieder frei wird. Bei EnBW kostet das sechs Euro pro Stunde, bei Roamingpartnern werden 21 Euro fällig. Anderswo wird die gelieferte Energie berechnet, zwischen 30 und 50 Cent je Kilowattstunde kostet das.

Ionity wiederum hat sich noch nicht festgelegt. Bei der ersten Tankstelle der Welt, in Wiesloch, zahlte Bertha Benz für den Treibstoff 30 Pfennig je Liter. Und wenn man so will, ist dieser Ort bis heute in Betrieb. Alle zwei Jahre wird dort die legendäre Tank-Szene nachgespielt, wenn der "Allgemeine Schnauferl-Club" seine Bertha-Benz-Erinnerungsfahrt veranstaltet. Adolf Suchy, der Betreiber der historischen Apotheke, bringt dann eine Glasflasche mit drei Litern Ligroin die Freitreppe herab und füllt sie in den Tank eines Oldtimer-Dreirads. Unterm Jahr schenkt der heutige Apotheker an Tankstellenfans in kleinen Reagenzgläsern sein ganz spezielles Ligroin aus. "Das ist ein Kräuterdestillat", sagt er schmunzelnd, "es schmeckt genauso aromatisch wie Lösungsmittel."

400 E-Tankstellen

mit "Tausenden" ultraschnellen Ladepunkten will das Konsortium der Auto-Konzerne Daimler, Volkswagen, BMW und Ford bis 2020 an Europas Fernstraßen errichten. Die Säulen sind 350 Kilowatt stark, damit soll die Wartezeit beim Laden massiv verkürzt werden. Noch in diesem Jahr sollen in Deutschland, Österreich und Norwegen die ersten 20 Stationen unter dem Markennamen Ionity eröffnen - an ihnen können alle Automarken aufgeladen werden.

Benzin für Autos gibt es indes bei Suchy nicht mehr. Und auch Elektro-Autos können bei ihm nicht aufgeladen werden. "Wenn ich könnte, hätte ich längst eine Ladesäule aufgestellt", sagt der Chemiker, "aber leider ist die Apotheke inzwischen mitten in der Fußgängerzone."

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