Revolution:Die ewige Lust an der Revolution

Jan 25 2014 Kiev Ukraine A protester on a burned bus holds a chainsaw as confrontations betwe

Konfrontation zwischen Protestierenden und Polizei auf dem Majdan in Kiew im Januar 2014.

(Foto: imago stock&people)

Frankreich, Ukraine, Russland: In Revolutionen fasziniert das Pathos. Können offene Gesellschaften diesen Wunsch nach großen Gefühlen nutzen?

Von Jens Bisky

Im Februar 2017 überfielen Rechtsradikale eine Ausstellung des Kiewer Grafikers und Anarchisten David Tschytschkan. Sie drängten den Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes in die Ecke, schmissen Bücher auf den Boden, zerrissen Bilder oder schossen auf sie. Die Ausstellung im Zentrum für visuelle Kultur widmete sich den Folgen des demokratischen Aufbruchs in der Ukraine, sie fragte nach dem Erbe des Euromaidan, der "Revolution der Würde". Ihr Titel lautete "Die vertane Chance".

Ein Video des Überfalls, aufgezeichnet von einer Überwachungskamera, kann man sich auf Youtube ansehen. Worum es ging, wie die Revolution sprachlos wurde, berichtet die Kiewer Autorin und Verlegerin Kateryna Mishchenko in der Zeitschrift Osteuropa (Revolution retour. 1917 - 2017. Vorwärts und stets vergessen, Osteuropa, Heft 6-8/2017, hrsg. von Manfred Sapper, Volker Weichsel, 480 Seiten, 32 Euro). Tschytschan habe dargestellt, wie sich Vergangenheit und Zukunft, Reales und Imaginäres, Gemeinschaftserlebnis und Feinderklärungen überlagerten. Es sollte darüber gesprochen werden, dass die "Dekommunisierung", das Abräumen sowjetischer Denkmäler in der Ukraine, der Bildersturm, nicht helfe, die sowjetischen politischen Praktiken loszuwerden. "Werden wir", fragt Mishchenko, "den Mut haben zu bekennen, dass es auf der ukrainischen Seite Neonazis gibt?" Oder wolle man aus Angst vor Kreml-Propaganda davor die Augen verschließen? Gegen die Randalierer verteidigt Mishchenko die revolutionären Erfahrungen des Maidan, die dort vielfach praktizierte "Ökonomie des Schenkens", der Solidarität.

Der Internationalismus der Kommunisten? War eher ein Inter-Nationalismus

Vom Maidan her fällt neues Licht auch auf das Jahr 1917. Dabei geht es in der Ukraine weniger um die Ereignisse in Petrograd und Moskau, um die russischen Revolutionen, sondern vielmehr um die Jahre 1917 bis 1921 und die damaligen Versuche, einen unabhängigen ukrainischen Staat zu etablieren. Die Politikwissenschaftlerin Tatiana Zhurzhenko beschreibt im selben Heft die erinnerungspolitischen Debatten und Grabenkämpfe, die Inanspruchnahme von Märtyrern für die Gegenwart, die Erfindung fragwürdiger Traditionen. Hinzu kommt immer der grundsätzliche Streit über den Charakter des Maidan, den in Russland viele für einen von außen herbeigeführten Regimewechsel, für "eine fabrizierte Revolution" halten. Nach dieser Logik wäre die Oktoberrevolution "der erste Maidan: eine deutsche Verschwörung mit dem Ziel, den russländischen Staat zu destabilisieren, indem der deutsche Generalstab radikale Elemente einschmuggelte?" Es ließe sich weiter zurückgehen, dann erschiene die Februarrevolution als "ein Komplott der Liberalen gegen die Monarchie".

Tagesaktuelle Dringlichkeit hat das Revolutionsjubiläum in Deutschland nicht. Ein richtiger Streit ist bisher ausgeblieben, aber das Interesse an den Ereignissen ist groß, größer noch vielleicht die Lust, allgemein von Revolution zu reden. Das ist nicht verwunderlich, berufen sich doch viele Staaten auf eine Gründungsrevolution, halbherzig tut dies seit 1989 auch die Berliner Republik. Obendrein wird allerlei Wandel gern als Revolution etikettiert; von der industriellen über die sexuelle bis hin zur digitalen. In politischen Revolutionen geht es freilich vordringlich um Macht, darum, dass bislang Ausgeschlossene, Erniedrigte, Sprachlose einen Raum für politisches Handeln erobern. Es werden, in der Theorie, dabei nicht nur die Herren ausgewechselt, es wird Herrschaft grundsätzlich in Frage gestellt.

Mit der Oktoberrevolution etwa entstand ein neues Modell: Einparteienherrschaft, abgesichert durch Geheimpolizei und Propaganda. Ist das im Jahr 2017 von mehr als antiquarischem Interesse? Verbinden sich damit prinzipielle politische Fragen, jenseits von Traditionspflege oder antitotalitärem Konsens?

Klarer sieht man heute, wie eng in den von kommunistischen Parteien geführten Revolutionen soziale und nationale Fragen verbunden waren. In seinem monumentalen Essay "Die Farbe Rot" (SZ vom 28.9.) spürt Gerd Koenen dieser Verschwisterung nach, zeigt, wie im Zarenreich nationale Demütigung und soziale Erbitterung zusammentrafen und einander befeuerten. Das ist im Rückblick auf vorherige Revolutionen, auf 1789 und 1848 nicht überraschend. Die bürgerliche Gesellschaft konstituiert sich als nationale, die nationale Öffentlichkeit ist die Bühne, auf der bürgerliche Freiheiten erstritten und wahrgenommen werden.

Es trifft dies aber auch auf Revolutionen im Namen des Proletariats zu. Die bleibende Leistung des Kommunismus im 20. Jahrhundert sieht Koenen nicht in der Erfüllung von Heilsversprechen wie Ende der Ausbeutung, Gerechtigkeit oder Überwindung der Anarchie des Marktes. Die Stärke des Kommunismus lag im nation building: "Insoweit ein Hauptresultat des 20. Jahrhunderts die vollständige Organisation der Weltbevölkerung in Einzelstaaten war, zeigte sich der Kommunismus mit all seinen theoretischen Verirrungen, paranoiden Weltideen, untauglichen Produktionsweisen und autoritär deformierten Sozialformen letztlich doch auf der Höhe der Zeit." Den viel beschworenen Internationalismus der kommunistischen Bewegung will Koenen mit Bindestrich schreiben - "Inter-Nationalismus". Das war und ist ein Gegenentwurf zum Kosmopolitismus.

Es stellt sich die Frage, wer den Kalten Krieg wirklich gewonnen hat

Die liberalen Kräfte haben sich im glücklichen Augenblick nach 1989 mit dem Glauben blamiert, sie würden mit dem Strom schwimmen und hätten dabei den Wind der Geschichte im Rücken. Die Überzeugung, Demokratie setze sich notwendig durch oder ließe sich exportieren, hat sich ebenso als Irrglaube erwiesen wie die Annahme, soziale Fragen, etwa nach Arbeiterrechten, Reichtumsverteilung, Chancengleichheit, fänden ihre Antwort auf den Märkten, im freien Spiel der Kräfte, die man nur gewähren lassen müsste.

In den Neunzigerjahren wurden die gerade in den postkommunistischen Ländern auflodernden Nationalismen gern wegerklärt, das seien Relikte, Überbleibsel eines Alten, das im Laufe der Zeit verschwinden werde. Heute ist zu erkennen, dass es die Globalisierungsprozesse selbst sind, die überall neue Abgrenzungsbestrebungen, Nationalismus und Regionalismus, hervorbringen.

Der Economist hat vor Kurzem den ehemaligen KGB-Offizier Wladimir Putin als neuen Zaren porträtiert. Nimmt man hinzu, dass Russland wieder eine geopolitisch entscheidende Rolle spielt, die Volksrepublik China unter Führung der Kommunistischen Partei eine prosperierende Weltmacht ist, in Washington gerade geprüft wird, inwiefern die Präsidentschaftswahlen von Moskau aus beeinflusst wurden, und dass Nordkorea eine ernsthafte militärische Bedrohung ist, dann stellt sich die Frage, wer den Kalten Krieg gewonnen hat, auf neue Weise. Postkommunistische Situation? Wirklich?

In seiner Revolutionskomödie "Trommeln in der Nacht" ließ Bertolt Brecht den Kriegsheimkehrer Andreas Kragler die Kämpfe im Berliner Zeitungsviertel unter rot glühendem Mond resümieren: "Es ist gewöhnliches Theater. Es sind Bretter und ein Papiermond und dahinter die Fleischbank, die allein ist leibhaftig." Das Theatrale der Revolution fasziniert bis heute in Gesellschaften, die vom Individualismus und damit zugleich vom Unbehagen am Individualismus geprägt sind. Da mag, wie bei den Revolutionsbeschwörungen auf Twitter, Phrasendrescherei dabei sein.

Aber das Verlangen nach Gemeinschaft und nach starken politischen Leidenschaften ist ernst zu nehmen. Darin äußert sich der Wunsch, einmal als ganze Person zu agieren, statt zwischen sozialen Rollen zu switchen, Probleme kleinzuarbeiten, Kompromisse zu schließen, Politik rechtsförmig zu betreiben. Können offene Gesellschaften von diesem Verlangen nach Neuanfang profitieren oder sind sie verdammt, immer nur davor zu warnen?

Der Historiker François Furet meinte, die Französische Revolution habe einen Anfang, aber kein Ende, dafür sei ihr Versprechen zu umfassend gewesen. Im heutigen Moskau ist 1917 an sein Ende gekommen, nicht aber in Kiew.

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