Nachruf:Mit Odilo Lechner geht ein Menschenfreund

Nachruf: Abt Odilo Lechner hatte gehofft, trotz seiner fortgeschrittenen Krebserkrankung das Weihnachtsfest noch miterleben zu können. Nun ist er an diesem Freitag am frühen Morgen gestorben.

Abt Odilo Lechner hatte gehofft, trotz seiner fortgeschrittenen Krebserkrankung das Weihnachtsfest noch miterleben zu können. Nun ist er an diesem Freitag am frühen Morgen gestorben.

(Foto: Robert Haas)

Er hat das Kloster St. Bonifaz in der Karlstraße zur Heimat für viele gemacht, die sonst keinen Platz in der katholischen Kirche finden. Nun ist der Abt im Alter von 86 Jahren gestorben.

Nachruf von Monika Maier-Albang

Es gibt nicht viele Orte in München wie diesen. Man kann hier zusammenkommen zum Gebet und Menschen treffen, deren Lebenswege verschlungener sind, als die üblichen bürgerlichen. Die einen waren obdachlos oder sind es noch. Andere haben sich entfernt von ihrer Kirche, von der sie sich diskriminiert sehen, weil ihr Partner dasselbe Geschlecht hat. Es kommen Menschen in die Abtei St. Bonifaz, die sich in keiner anderen katholischen Gemeinde beheimatet fühlen - oder die noch nicht einmal katholisch sind.

Die Mönchsgemeinschaft hier lebt ein Selbstverständnis, das nicht selbstverständlich ist. Im hauseigenem Duktus klingt das so: "Benediktinische Weggemeinschaft schließt durch ihre Grundhaltung niemanden von dieser Weggemeinschaft aus." Nun hat der, unter dem St. Bonifaz fast vier Jahrzehnte diese Willkommens-Haltung gepflegt hat, die irdische Weggemeinschaft verlassen.

An diesem 3. November ist Odilo Lechner am frühen Morgen gestorben. Er hatte gehofft, trotz seiner fortgeschrittenen Krebserkrankung das Weihnachtsfest noch miterleben zu können - im vergangenen Jahr hat er das 60. Jubiläum seiner Priesterweihe gefeiert, am 25. Januar wäre sein 87. Geburtstag gewesen. Es war ihm nicht vergönnt.

Mit Trauer und Bestürzung hat Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler auf den Tod von Altabt Odilo Lechner reagiert. Der ehemalige Benediktinerabt der Klöster St. Bonifaz und Andechs, so Breit-Keßler, war "ein zutiefst frommer Mensch, umweht vom Geist der Freiheit". Seine Spiritualität war beispielgebend und "wahrhaft inspirierend". Odilo Lechner, sagte sie, hatte fraglose Autorität und faszinierende Ausstrahlungskraft weit über die Grenzen der eigenen Konfession hinaus. Der Münchner Kardinal Reinhard Marx würdigte Altabt Odilo Lechner als "prägende Gestalt" für die Stadt München und für die Benediktiner. Er sei "ein liebenswürdiger, weiser und menschenfreundlicher Mensch" gewesen.

Von 1964 bis 2003 stand Odilo Lechner als Abt den Benediktinern von St. Bonifaz in München und der Gemeinschaft in Andechs vor. Er tat das in einer Art, die man bei Managern (und ein solcher ist ein Abt nun mal auch) suchen muss: als Menschenfreund. Er folgte seinem Wahlspruch aus dem Psalm 119: "dilatato corde", "die Weite des Herzens", und hat das Kloster zur Heimat für viele gemacht. Das blieb es auch, nachdem Odilo Lechner aus dem Amt geschieden war.

Sein Wunschnachfolger Johannes Eckert führte sein Werk fort. Was nicht überdecken darf, dass auch die hiesigen Benediktiner vor denselben Herausforderungen stehen, wie andere Orden: Nachwuchsmangel und Überalterung, Mönche, die gehen, weil sie sich verlieben, Mönche, die der Gemeinschaft den Rücken kehren, weil sie sich dort nicht mehr wohlfühlen.

1964 übernahm Lechner die Leitung der Gemeinschaft - da war er erst 33 Jahre alt und damit der jüngste Benediktinerabt der Welt. Als dienstältester Abt der Welt schied er 2003 aus dem Amt. Er war so klug gewesen, diesen Abschied nicht so lange hinauszuzögern, bis ihm keine Zeit mehr blieb, das zu tun, wonach er sich lange gesehnt hatte: zu schreiben. Und das tat er dann reichlich, zur Freude seiner großen Leserschaft. Er hat Bücher über die "Kraft der Stille" geschrieben, über "die Fülle des Lebens" und noch über das Leben als Pilgerweg, übers Meditieren und zuletzt auch übers Altern. "Man wird halt nicht jünger", hat er es genannt, in seiner Mischung aus Volksnähe und Lausbubensinn.

Als Altabt blieb Odilo Lechner im Kloster wohnen und der Gemeinschaft verbunden, hatte aber auch seinen eigen Bereich: Er hielt Vorträge, leitete Exerzitien. Und, natürlich, feierte er weiterhin Gottesdienst, kam als Firmspender in die Gemeinden, hörte Beichte, blieb ein gefragter Seelsorger, Zuhörer und Ratgeber. In den vergangenen Jahren nur wurde es still um ihn; mit der fortschreitenden Krebserkrankung schwanden seine Kräfte. Er stand zwar nach wie vor jeden Morgen um sechs Uhr auf, doch nach Gebet und Frühstück musste er sich erst einmal wieder hinlegen. Seine Gedanken hat er zuletzt diktiert, sie selber aufzuschreiben, wurde ihm zu mühsam. Den Abt, der mit dem Rad durch die Straßen fährt (Odilo Lechner machte nie den Führerschein), konnte man schon eine Zeitlang nicht mehr sehen. Ein Gehstock hat Odilo Lechner zuletzt gestützt.

Eigentlich wollte er Dichter oder Schrankenwärter werden

Schon als Junge hatte der gebürtige Bogenhausener davon geträumt, ein berühmter Dichter zu werden. "Die Vorstellung, mich auf dem Theaterbalkon zu verbeugen, gefiel mir," sagte er einmal. Doch die Zeiten waren hart nach dem Krieg. Der Vater arbeitete als Beamter bei der Bayerischen Staatsbank, "von daher war ich Realist genug", schrieb Lechner einst, um zu wissen, dass er vom Dichten allein wohl nicht würde leben können. Also träumte er von einem Leben, das heute wie ein kleinbürgerliches Idyll wirkt: Zum Geldverdienen wollte er, der als - wie er es formulierte - "mit Liebe verwöhntes Einzelkind" aufwuchs, als Schrankenwärter arbeiten, "an einer abgelegenen Bahnstrecke", wo er die Schranke nur ein paar Mal am Tag herablassen müsste. Den Rest der Zeit könnte er dichten, seine Frau würde den Garten pflegen, in dem die Kinder herumtollen. Er entschied sich dann doch anders.

Nach dem Abitur 1949 im niederbayerischen Benediktinerkloster Metten begann Lechner ein Studium der Philosophie und Theologie. In paradoxer Weise hatte sein alter Lehrer am Wilhelmsgymnasium in München bei dieser Entscheidung geholfen. Der war ein fanatischer Nazi und Kirchenhasser - und für Lechner, der damals noch Hans Helmut hieß, war am Ende der Schulzeit klar, dass er so auf keinen Fall werden wollte. 1952 trat er ins Kloster St. Bonifaz ein. 1956 wurde er zum Priester geweiht, war zunächst Seelsorger in der Pfarrei St. Bonifaz und dann Assistent am Philosophischen Institut der Benediktiner in Salzburg.

1962 promovierte er mit einer Arbeit über den Kirchenlehrer Augustinus. Der Stadt München, in der er geboren wurde, blieb er zeitlebens verbunden. "So Gott weiter Leben, Gesundheit und Verstand schenkt", werde er das zu nutzen wissen, hat er vor zehn Jahren gesagt, vor der Feier des 50. Jahrestages seiner Primiz. Er hat es getan. Ein erfülltes Leben ist nun zu Ende gegangen; wer ihn gekannt hat, wird ihn vermissen. Sein letzter Wunsch: Eine Spende für die Obdachlosenhilfe der Benediktiner statt Kränzen und Blumen am Sarg. Und zum Festmahl nach der Beerdigung sind die Obdachlosen geladen.

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